zum Hauptinhalt

Panorama: Essen vom Teller der Königin

Zwischen Auktionshäusern und dem Adel herrscht eine Beziehung der besonderen Art. Warum das so ist

Es war einmal ein junger schöner Märchenprinz. Er studierte in New York Wirtschaft und Geschichte und hoch oben im deutschen Norden besaß er ein zauberhaftes Schloss. Es hatte nur einen kleinen Makel: Die Marienburg war nie ganz zu Ende gebaut und auch kaum jemals bewohnt worden, weil – und nun lauschen wir einem Erzähler, der umso berufener scheint, als er selbst aus einer über 400 Jahre alten Patrizierfamilie stammt: „Der letzte hannoversche König Georg V. ließ dieses Kleinod, von der Bevölkerung auch Neuschwanstein des Nordens genannt, zwischen 1858 und 1867 erbauen und schenkte es seiner Frau Marie zum Geburtstag. Leider besetzte die preußische Armee das Königreich des Welfen ausgerechnet kurz vor Abschluss der Bauarbeiten. Georg musste fliehen, Marie wohnte mit Töchtern und Hofstaat zunächst weiter auf der Marienburg, folgte ihrem Mann aber später ins österreichische Exil, entnervt von den Schikanen der Preußen.“ Heinrich Graf von Spreti, denn so heißt der kundige Chronist, senkt die Stimme: „Was fast niemand weiß, der König war blind! Das Modell der Marienburg ließ er aus Kork bauen, damit er es tasten konnte. Ist das nicht romantisch?“

Herzzerreißend. Zwar reichen die Wurzeln der aus Ravenna stammenden Spretis nicht ganz so weit zurück wie die von Europas ältestem Fürstenhaus. Doch der Graf, seit 1998 Präsident von Sotheby’s Deutschland, steht dem königlichen Haus Hannover immerhin so nahe, dass er, zusammen mit Philipp Herzog von Württemberg, Geschäftsführer des Auktionshauses in Deutschland, und Christoph Graf Douglas, Berater der Hannovers, mit der größten und wohl spektakulärsten Schlossauktion der jüngeren Geschichte beauftragt wurde. Auf der Marienburg versteigerte das Trio im Oktober über 20 000 Objekte aus dem Besitz und erzielte den sagenhaften Erlös von über 41 Millionen Euro – dreimal so hoch wie zunächst erwartet. Das Geld stecken der 22 Jahre alte Schlossherr Ernst August von Hannover jr. und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Christian, die beiden Söhne des berüchtigten Ernst August, in eine Stiftung zur Erhaltung der familiären Kulturgüter. Seit ihrer Entstehung sind Adel und Auktionshäuser eng miteinander verflochten. Schon die erste Versteigerung des Briten James Christie, Gründer von Christie’s, galt 1766 in London einem anonymen Edelmann. Wo sich über Generationen Erbstück auf Erbstück häuft, muss auch im größten Palast irgendwann Platz geschaffen werden. Und so kamen sie nach und nach in Scharen, die Marquis und Dukes von Bath bis Buckingham, die Dachböden, Keller oder gar ganze Flügel ihrer Landsitze und Burgen ausmisten wollten. Oder sich, ebenfalls kein Einzelfall, von wertvollem Mobiliar und Antiquitäten der Vorfahren trennen mussten, weil sie Geld, immer mehr Geld, zur Erhaltung ihrer Güter brauchten.

In jenen Jahren zunehmender revolutionärer Unruhen in Frankreich verlagerte sich der Kunstmarkt zudem von Paris nach London. Auktionen mit dem Interieur von Schlössern, in England schlicht „houses“ genannt, wurden zum neuen gesellschaftlichen Ereignis, wie Christiane Gräfin zu Rantzau erzählt, die das Christie’s Büro in Hamburg leitet: „Eine unserer berühmtesten Kundinnen war Katharina die Große. Auf der Gemäldeauktion von Sir Robert Walpole erwarb die russische Zarin den Grundstock für die Sammlung der Eremitage in St. Petersburg.“ Christie’s und Rivale Sotheby’s, in London bereits 1744 von Samuel Baker gegründet, wurden unter anderem deshalb zu den weltweit führenden Agenten nobler Klienten, weil sie dem britischen Adel nahe waren. So fiel es ihnen leicht, Kontakte zur noblen Verwandtschaft in anderen Kontinenten aufzubauen.

Vor allem aber verstanden sie es von Anfang an, Mitglieder der Aristokratie als Repräsentanten und Vertraute einzubinden. „Wir haben alle dieselbe traditionsbewusste Erziehung genossen und kennen die Gepflogenheiten und Empfindlichkeiten aus eigener Erfahrung“, erklärt Graf Spreti die vielfach erprobte Verbandelung. Während Sotheby’s die Rothschilds und die Windsors, die Markgrafen und Großherzöge von Baden und Fürstin Gloria von Thurn und Taxis zu seinen glamourösen Kunden zählt, kann Christie’s auf Namen verweisen wie Diana, Prinzessin von Wales, die Könige von Preußen, Prinzessin Maria Beatrice von Sayoyen, den Fürsten Reuß und die auch hier aktiven Barone Rothschild.

Fast jede Versteigerung war ein rekordreifer Erfolg. Je mehr der politische und wirtschaftliche Einfluss des Adels schwand, desto begehrter waren ihre Schätze als Souvenirs vergangener historischer Pracht und Macht. Selbst die Auktionatoren sind immer wieder erstaunt, welche Summen sogar beschädigte Gemälde oder verschlissene Stoffe und zerrissene Tapeten erzielen. „Man erwirbt Geschichte“, sagt Spreti, „ein Objekt, das die eigene Sammlung, ob von Schnupftabakdosen oder Ritterrüstungen, buchstäblich adelt“. Außerdem bieten Adelstrophäen hervorragenden Gesprächsstoff in der Art von: „Heute essen wir von den Tellern der englischen Königin“, so Spreti. Als Devotionalien der neuen Geldaristokratie leben höfische Juwelen, Porzellane und Gobelins in bürgerlichen Salons und Hotels wohl besser weiter als in staubigen Burgzimmern. Die Nachfrage, da sind sich die Experten einig, steigt weiter. Nachschub gibt es auch deshalb, weil immer weniger Mitglieder der Nachwuchsaristokratie ihr Erbe im gesamten Umfang antreten wollen oder erhalten können.

Zuletzt versteigerte Fürstin Gloria von Thurn und Taxis in New York bei Phillips, dem dritten und kleinsten, aber mondänsten im Bund der internationalen Auktionshäuser, rund hundert Werke aus ihrer Sammlung zeitgenössischer Kunst. Anders jedoch als bei den vorausgegangenen Versteigerungen historischer Pretiosen auf Schloss St. Emmeram in Regensburg fiel hier der Bonus der fürstlichen Provenienz nicht ins Gewicht. Ausschlaggebend, so Phillips- Chef Simon de Pury, „war dieses Mal allein der Adel der Qualität“.

Eva Karcher[München]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false