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Panorama: Feiern im Untergrund

Von Anna Schwan, New York Der Weg in die Nacht führt durch dunkle verlassene Straßen, vorbei an riesigen Lagerhäusern. Ein Blick auf den Flyer zeigt: Die Adresse stimmt.

Von Anna Schwan, New York

Der Weg in die Nacht führt durch dunkle verlassene Straßen, vorbei an riesigen Lagerhäusern. Ein Blick auf den Flyer zeigt: Die Adresse stimmt. Vor uns liegt ein altes Industriegebäude mit Lkw-Rampen, der weiße Anstrich blättert. Dem Haus ist nicht anzusehen, dass hier, oben im Loft mit großartigem Blick auf die Skyline Manhattans, die derzeit aufregendsten Partys New Yorks stattfinden. Kartenkontrolle an einem wackeligen Tisch. Ein alter Lastenaufzug soll uns in den neunten Stock bringen. „Rumm" schließen die Luken – horizontal, nicht vertikal. Noch bevor sie sich wieder öffnen, ist der Beat zu hören, er gräbt sich in die Magengrube. Ächzend öffnen sich die Aufzugtüren wieder, und dann passiert alles auf einmal: Feuerspucker sprühen Flammenfontänen, Videoprojektionen lassen die Wände zucken, neonfarbene Mädchen tanzen Performances, und der Techno-Jungle hämmert direkt ins Herz.

Die Partys im Lunatorium in Dumbo sind eines der letzten Relikte des alten New York, der Zeit vor Rudolph Giuliani, als die Stadt noch wild und anarchisch war. Im Untergrund haben sie weiter existiert, während die Behörden die Straßen reinigten von Gewalt – und auch von der Avantgarde. Aber jetzt drängen sie langsam wieder in den Alltag der New Yorker, als Zeichen eines neuen Aufbruchs in der Szene – nicht so glamourös, nicht so teuer, dafür aber kreativer als es im New York der 90er möglich war. Die schicken Mainstream-Clubs, denen Bret Easton Ellis in „Glamorama" ein Denkmal gesetzt hat, werden abgelöst von einem Revival der Underground-Partys.

Mit den Machern vom Lunatorium konkurriert das Team vom Madagascar Institute. Das Kollektiv junger Künstler und Partymacher aus Brooklyn bewirbt seine Veranstaltungen nur über kryptische E-Mails und stellt schon auf der Website ( www.madagascarinstitute.com ) klar: „Fear is never boring". Ihre Partys heißen deshalb auch „Festival of the Hurting" oder „Madagascar Feast". Bei den Unerschrockenen haben sich die Events längst zu Kultveranstaltungen entwickelt – von der Stierjagd à la Pamplona und dem Kampf gegen den Papierbullen spricht man bis heute.

Die schickere Variante des neuen Untergrunds findet in Hotel-Bars statt, zum Beispiel im Tribeca Grand. Gerade erst ist da die deutsche Mädchen-Punkband „Chicks on Speed" aufgetreten, kommende Woche wird New Yorks Lieblings-Electro-DJ Spooky auflegen. Eigentlich sind das aber nur Ausnahmen. Die meisten Clubs der neuen Ära finden sich in Brooklyn und der Lower East Side – an den gewohnten Spielplätzen der Kreativen. Aus den Boxen dröhnt alles zwischen Electro und Punk – nur kein Mainstream, und die Tanzwütigen dürfen bleiben, so lange sie wollen. Aber auch gemütliche Lounges leben in der neuen Partyszene weiter fort. Das Halcyon etwa – mit Nierentischen, Cordsofas und Stofflampen ein Kitschparadies im Stil der 60er – ist für viele zu einem zweiten Zuhause geworden, weil es an allen Tagen der Woche geöffnet ist.

Auch in Williamsburg, wo mehr als 4000 New Yorker in ihrer Einkommenssteuererklärung als Beruf „Künstler" angeben, bieten die Clubs extravagante Programme: Das Galapagos lockt seine Zielgruppe mit Installationen, Ausstellungen und Performances auf der angeschlossenen Kleinbühne. Im Luxx wird Punk-Rock gespielt. Die Szene aus Alt-Rockern, Neo-Punks, schwulem Schick und Designstudenten tanzt zu so genanntem Electroclash. „Berliniamsburg" haben die Gastgeber ihre Party genannt; das soll an die Dekadenz der 20er Jahre erinnern. Die neuen Nächte in New York – ein Willkommen an alle, die im Urban Underground eine andere Realität finden wollen.

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