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Panorama: Flipper retten

An der deutschen Ostsee gibt es kaum noch Schweinswale – das soll sich ändern

„Flipper!“ – das rufen sie, die Segler, wenn sie bei einem Törn draußen auf der Ostsee diese Silhouette entdecken. Tatsächlich, es gibt Säugetiere aus der Familie der Delfine in unseren Breitengraden: Schweinswale. Noch gibt es sie, muss man sagen. Denn in der zentralen Ostsee schwimmen nur noch 200 bis 500 Exemplare, warnt jetzt die Umweltschutzorganisation „Worldwide Fund for Nature (WWF)“ und hat eine deutschlandweite Aufklärungsaktion gestartet. Immer wieder stranden tote Tiere, mit Schnittverletzungen, weil sie in Schiffsschrauben oder Fischernetze gerieten. „Die einzige Walart, die in Deutschland zu Hause ist, droht auszusterben“, sagt Christiane Feucht vom WWF-Ostseeschutz „Baltic Sea Marine Conservation“. Die Ostsee-Schweinswale seien die am stärksten bedrohte Säugetierpopulation Europas. Deswegen fordern Umweltschützer jetzt die Minister der Ostsee-Anrainerstaaten auf, bei der Konferenz im November im geplanten „Aktionsplan Ostsee“ auch Schutzmaßnahmen für das Säugetier mit den ausdrucksstarken Augen und dem Lächeln im Gesicht zu beschließen. „Wenn jetzt die Ostsee-Pipeline gebaut wird, werden weitere Tiere durch die Bauarbeiten und auch die Sprengung alter Munition auf dem Grund des Meeres verenden“, sagt Christiane Feucht.

„Die Tiere, die man auch Kleine Tümmler nennt, sind sehr gelehrig und gesellig, bei Versuchen mit Spiegeln hat man herausgefunden, dass sie sich sogar selbst erkennen“, sagt die WWF-Expertin. In den USA werden Delfine bei Therapien mit kranken Kindern eingesetzt, Delfinstaffeln spüren für die Marines Munition im Boden auf. „Bei uns Fischern hieß es früher immer, wenn man eine Gruppe Schweinswale sieht, nichts wie hin, da müssen Fischschwärme sein“, sagt Norbert Kahlfuss, geschäftsführender Vorsitzender des Verbandes der Küsten- und Kutterfischer Mecklenburg-Vorpommern. Doch das war früher.

Heute bekommen Fischer kaum noch Schweinswale zu Gesicht. Und wenn, hängen sie es nicht an die große Glocke. Denn die bis zu zwei Meter großen Säugetiere kommen ihnen vor allem als ungewollter Beifang in Stellnetzen an Deck. Die Tiere schwimmen auf der Jagd nach Fisch versehentlich in die Netze, bekommen Panik, verheddern sich, scheuern sich die Fäden ins Fleisch. Und ertrinken: Eigentlich müssen die Kleinen Tümmler alle sechs Minuten zum Luftholen an die Meeresoberfläche. „Wir Fischer haben ebenso wie die Umweltschützer keinerlei Interesse daran, Schweinswale im Netz zu haben, was sollen wir mit dem Zeug, verkaufen können wir das nicht, und die Tiere tun einem ja auch leid“, sagt Kahlfuss für seine 400 Mitgliedsfischer im Verband.

27 000 Tonnen Hering dürfen die deutschen Ostseefischer zusammen jedes Jahr aus dem Meer holen, 10 000 Tonnen lautet die erlaubte Fangquote beim Dorsch. Auch Sprotte geht ins Netz, und Lachs, aber das eher weiter oben im Norden, in skandinavischen Regionen. Der WWF schätzt indes, dass 60 Prozent aller Fänge in der Ostsee illegal sind, da werde also weit mehr leer gefischt und weit mehr Beifang entsorgt, als die offiziellen Zahlen erahnen lassen, vermutet auch WWF-Ostsee-Projektleiter Jochen Lamp. Doch zumindest deutsche Verbandsfischer und Umweltschützer ziehen jetzt an einem Strang und wollen Schutzaktionen starten. Treibnetze, die hiesige Fischer nicht mehr benutzen, sind ab 2008 ostseeweit verboten. Bislang wird Hering weit draußen in der hierzulande meist nur rund 40 Meter tiefen Ostsee mit sogenannten Stellnetzen gefischt. 40 Millimeter eng sind die Maschen, da verkeilen sich die Fische mit ihren Kiemen, kommen nicht mehr raus und werden an Land später einzeln rausgepult. Zwei, drei Kilometer lang sind die kompletten Netzwände im Meer. „Einige davon treiben auch herrenlos umher, auch das ist eine Gefahr“, sagt Christiane Feucht. Gut zehn Zentimeter ist die Maschendichte beim Dorschnetz, meist grün ist das dünne Nylon, auch für Schweinswale schlecht zu orten. Fünf Kleine Tümmler kommen darin pro Jahr in Deutschland zu Tode, so die offiziellen Fundzahlen des WWF.

Doch es gäbe Alternativen, und die erproben jetzt Umwelt- und Fischerverband gemeinsam. Netze mit Bariumsulfat seien von den hochempfindlichen, auch extrem auf Lärm reagierenden Tieren besser zu orten als reine Nylonnetze, sagt Fischereiverbandschef Kahlfuss. Eine weitere Alternative seien Fangkörbe, eine Mischung aus Netz und Reuse, würfelförmig mit Öffnungen, in die die kleinen Fische, nicht aber die Kleinen Tümmler hineinkommen. „Doch das kostet alles Geld“, sagt Kahlfuss, „unsere Kleinfischer können ihre Flotten auch nicht von jetzt auf gleich umstellen.“ Doch die Tierschützer wollen, dass der Stein, den sie jetzt ins Wasser werfen, noch größere Wellen schlägt. „Wir brauchen neue Technologien wie schallhemmende Blasenvorhänge oder Signalsender, die die Wale vor Gefahrensituationen warnen“, fordert Jochen Lamp. Zudem müssten mindestens zehn Prozent der Ostsee als Schutzgebiet ausgeschrieben und der illegale Fang durch Kontrollen unterbunden werden, fordert Christiane Feucht.

Auch der Verbraucher hat eine gewisse Macht. Der WWF hat eine Liste zusammengestellt, welche Fische man ohne schlechtes Gewissen kaufen kann und welche bedroht sind (Grafik).

Zum Glück sind in den dänischen Gewässern noch etwa 20 000 Tiere einer anderen Schweinswalgattung heimisch – die sich aber mit den bedrohten Schweinswalen nicht kreuzen. Und es drohen noch ganz andere Gefahren. Durch den Klimawandel sollen die Wassertemperaturen noch drastischer steigen, durch die Gifte im Wasser verenden Tiere, auch ohne Netze. Und weil immer weniger salzhaltigeres Nordseewasser in die Ostsee einströmt als in früheren Jahrzehnten, schwebt Dorschlaich nicht mehr im dichteren Salzwasser, sondern sinkt zu Boden und geht verloren. So wird der Schweinswal nicht nur in Netzen sterben, sondern womöglich auch noch verhungern.

Annette Kögel

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