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Immer weniger Helfer: Freiwillige Feuerwehren in der Krise

Wer löscht in Zukunft, wenn es auf dem Land brennt?  Die Feuerwehr hat im vergangenen Jahr mehr als 13.000 Freiwillige verloren und in der Folge hunderte Wachen geschlossen. Für einige Dörfer wird es langsam brenzlig, die Politik denkt über Zwangsdienste nach. Ein Lagebericht.

Brandmeister Werth kniet vor seiner Feuerwache und kämpft mit einer Tube Schmierfett gegen den Verfall. Es ist halb zehn, ein grauer Samstagmorgen im Herbst, eine eisige Brise zieht von Osten über die Ueckermünder Heide. Bald kommt der Frost, Werth macht seine Wache winterfest. Er öffnet die schwarze Tube und schmiert Fett auf die Kupplung eines Feuerwehrschlauchs.

Neben Werth parkt ein blitzblank geputztes Feuerwehrauto. Eine Leiter, 20 Schläuche, sechs Sitze. Das Auto ist bei Einsätzen nur selten voll besetzt, aber kleinere Löschfahrzeuge gibt es nicht. Heute sind außer Werth nur zwei Männer gekommen. Sie stehen in bunten Winterjacken vor der Wache, treten von einem Fuß auf den anderen und wärmen sich die Hände an Plastikbechern, die weich sind vom heißen Kaffee. „Eine Misere ist das“, sagt Werth, packt die Tube weg und steht auf. „Einfach eine Misere.“

Uwe Werth verwaltet die Reste einer sterbenden Tradition. Er ist Hauptmann der freiwilligen Feuerwehr in Rossow, einem Dorf zwischen Kartoffeläckern und Windrädern im Osten Mecklenburg-Vorpommerns. Es gibt eine Hauptstraße, über die Lastwagen mit polnischen Kennzeichen rumpeln, und es gibt ein Geschäft für Haustüren. „Angela’s Imbiss“ gegenüber der Wache hat vor kurzem zugemacht. Das Dorf schrumpft, aktuell hat es noch 438 Einwohner, 14 weniger als Anfang des Jahres. So geht das schon lange.

Genauso schnell wie das Dorf schrumpft die Feuerwehr. 18 Mitglieder hat Werths Feuerwache, es waren mal doppelt so viele. Werth ist 53 und liegt damit ziemlich genau im Durchschnitt seiner Kameraden. In ein paar Jahren sind sie zu alt für die Feuerwehr. „Dann ist Schluss hier“, sagt Werth.

Nachwuchs gibt es keinen mehr, und der Hauptmann hat aufgehört, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Vor drei Jahren, da hatte er noch eine Handvoll Jugendliche. Aber kein Einziger ist geblieben. Abenteuer, sagt Werth, holen sich die Jungen heute lieber am Computer oder nachts in der Disco in Neubrandenburg. Werth und seine Kameraden sehen die jungen Leute oft nur noch, wenn sich mal wieder ein Auto auf dem Heimweg von der Disco überschlagen hat.

Uwe Werth stemmt einen Kanister hoch und kippt Frostschutzmittel in die rote Löschwasserpumpe des Autos. Wenigstens den Kampf gegen den Winter will er gewinnen.

Die deutschen Feuerwehren haben im vergangenen Jahr mehr als 13 000 Freiwillige verloren. So viele wie nie. Kleine Gemeinden wie Rossow müssen sich fragen: Wer schneidet in Zukunft die Verletzten aus den Autos? Wer löscht, wenn im Sommer das Gestrüpp am Ortsrand Feuer fängt und droht, das Dorf abzubrennen?

Fehlender Nachwuchs - das Problem ist nicht neu

In Berlin sitzt ein runder Mann mit weißem Bart vor einem Ölgemälde mit lodernden Flammen und malt mit den Händen eine Zwiebel in die Luft. Die Zwiebel hat für den Mann eine wichtige Bedeutung. Sie erklärt, warum die sterbende Feuerwache von Uwe Werth keine Ausnahme ist.

Die Zwiebel symbolisiert die Altersstruktur der deutschen Bevölkerung, oben dünn, unten dünn, in der Mitte dick. Der Mann, der mit den Händen durch die Luft fährt, heißt Hans-Peter Kröger und ist Präsident des Deutschen Feuerwehrverbands. Sein Problem ist: Die Deutschen bekommen immer weniger Kinder. Die Zwiebel wird langsam zur Möhre, insgesamt schlank und oben dicker als unten.

Weil viele ältere Feuerwehrmänner wie Uwe Werth demnächst in den Ruhestand gehen, wäre jetzt der Moment, in dem junge Leute aus dem Bauch der Zwiebel aufrücken und die Feuerwachen übernehmen. Die Jungen löschen für die Alten, so würde das System funktionieren, es ist ein bisschen wie mit der Rente. Doch die Möhre verhindert das.

Kröger setzt sich eine Lesebrille auf die Nase und fährt mit dem Finger über ein Blatt Papier, die aktuellen Mitgliedszahlen. Er weiß schon lange um das Nachwuchsproblem. „Leute“, habe er seine Kollegen schon vor 20 Jahren gemahnt, „ihr müsst jetzt so viel Speck ansetzen, dass ihr den Mitgliederschwund verkraftet.“

Also ließ Kröger das Mindestalter für den Eintritt in die Jugendfeuerwehr senken. Auf sechs Jahre. Seit Kinder ein knapper Rohstoff sind, stehen die freiwilligen Feuerwehren in einem ständigen Wettlauf mit den Sportvereinen. Sie werben heute schon in Kindergärten um Mitglieder.

Kröger hat auch dafür gesorgt, dass mehr Feuerwachen Damentoiletten bekommen. Er hat Plakate drucken lassen mit Slogans wie „Frauen an den (Brand-)Herd!“. Die Idee war ein Erfolg, fast jedes vierte Mitglied der Jugendfeuerwehr ist heute ein Mädchen. Kröger hat mit dem Arbeitgeberpräsidenten verabredet, dass junge Feuerwehrleute eine Lehrstelle in ihrem Dorf bekommen, damit sie dort bleiben. Wie ein Goldschürfer hat der Feuerwehrpräsident nach immer neuen Quellen für Nachwuchs gesucht.

Im Westen hatte er Erfolg, dort ist der Mitgliederschwund gebremst. Aber im Osten ist das anders. Kröger nimmt jetzt die Lesebrille ab und legt sie auf die Tischplatte vor sich. Allein in Sachsen-Anhalt haben im vergangenen Jahr mehr als hundert Feuerwachen geschlossen, 2000 Freiwillige sind ausgeschieden. „Das ist übel“, sagt der Feuerwehrpräsident und streicht sich über den Bart.

Das Problem von Präsident Kröger, von Brandmeister Werth und der Gemeinde Rossow, die bald keine Feuerwehr mehr hat, ist nur die sichtbare Spitze eines sehr viel größeren Problems: die Landflucht in den neuen Bundesländern.

In Uwe Werths gelb gestrichenem Haus, keine hundert Meter von der Wache, ist es warm. Auf dem Klavier im Wohnzimmer stehen gerahmte Fotos von zwei jungen Frauen: Werths Töchter. Sie sind hier geboren und aufgewachsen. Heute arbeitet die eine in Gera, die andere in Hamburg.

So ist das überall im Osten: Die Jungen gehen. In die Städte oder in den Westen. Das Leben auf dem Dorf scheint nur noch ein Übergangszustand zu sein, eine notwendige Etappe auf dem Weg in ein anderes Leben. Eines mit Zukunft und Arbeit. Zurück bleiben Dörfer wie Rossow, in denen nur noch der Friedhof wächst.

Im sächsischen Hoyerswerda hat man vor ein paar Jahren begonnen, ganze Stadtviertel einzureißen. Das Städtchen hatte seit der Wende die Hälfte seiner Einwohner verloren. Angesichts ausgestorbener Straßenzüge sah man die Lösung nur noch in der Schrumpfkur.

Immer mehr Bürgermeister müssen ihre Schulgebäude schließen, weil sich der Betrieb für die paar Schüler nicht mehr lohnt. Busse holen die übrigen Kinder ab und bringen sie in Schulen, die zwar weit weg sind – aber dafür wenigstens voll.

Was noch übrig ist an Infrastruktur, wird zusammengefegt. Das passiert nun auch der freiwilligen Feuerwehr. Weil die jungen Menschen nicht mehr in der Nähe arbeiten und bei Alarm zur Wache rennen, vergrößert man den Einzugskreis. Brennt es in einem Dorf, heulen die Sirenen auch in den Nachbardörfern. Aber selbst das löst das Problem von Rossow nicht.

Ein Gesetz schreibt vor, dass es nicht länger als zehn Minuten dauern darf, bis die Feuerwehr eintrifft. In Rossow sind es 13 Kilometer bis zum nächsten größeren Ort. In zehn Minuten ist das nicht zu schaffen. Bevor Brandmeister Werth seine Wache in ein paar Jahren zumacht, muss es einen anderen Plan geben.

Per Shuttlebus zur Arbeit

Das Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern arbeitet an einem Papier zur Zukunft des „flächendeckenden Brandschutzes und der Einsatzfähigkeit der Feuerwehren tagsüber“. Was darin steht, ist noch nicht klar. Aber mögliche Szenarien gibt es.

In Brandenburg wird demnächst ein Shuttlebus die Feuerwehrleute von der Arbeit holen und zum Einsatz bringen, um Zeit zu sparen. Anderswo erwägt man, alle Bürger unter 60 zur Feuerwehr einzuberufen. Rechtlich wäre das möglich. Am wahrscheinlichsten ist es aber, dass in kleinen Dörfern künftig Angestellte der Gemeinde zum Feuerwehrdienst verpflichtet werden. Bis der Löschwagen aus der nächsten Stadt da ist, könnte dann zum Beispiel der Friedhofsgärtner einspringen.

Brandmeister Werth hört solche Vorschläge nicht gern. Der Feuerwehrdienst als lästige Bürgerpflicht – was ist bloß aus dem ruhmvollen Ehrenamt geworden?

„Feuerwehrmann ist kein Beruf“, sagt Stefan Sträubig. „Feuerwehrmann ist eine Berufung.“ Sträubig steht in einem knallroten Haus in Berlin-Reinickendorf vor einem Wald aus hochgestreckten Kinderarmen. Er trägt einen blonden Schnäuzer, Sicherheitsstiefel und ein nachtblaues Sweatshirt, darauf steht „Feuerwehrmuseum Berlin“.

Sträubig leitet das Museum. Mit einem Knopfdruck kann er ein nachgebautes Wohnzimmer mit Qualm fluten. Er zeigt Wasserspritzen aus dem 17. Jahrhundert, präsentiert verschmorte Helme und erklärt den Einsatz von Rettungstauchern. Sträubig ist Herr über 800 Quadratmeter Abenteuer und Heldentum.

An diesem Vormittag steht vor ihm die Klasse 5b der Heide-Grundschule. Die Kinder schnippen mit den Fingern. Sträubig hat gefragt: Wer will später mal zur Feuerwehr?

In Umfragen nach den angesehensten Berufen landet der Feuerwehrmann seit Jahren zuverlässig auf Platz eins. Löschen, Retten, Bergen, in Sträubigs Museum ist dieser Mythos auf ewig konserviert. Und die schnippenden Finger der 5b beweisen: Der Mythos funktioniert noch immer. Nur nicht immer dort, wo man ihn braucht.

Brandmeister Werth tritt in ein Haus, das gefüllt ist mit verblichenem Feuerwehrruhm. In besseren Jahren war in dem Haus eine Schule untergebracht, jetzt riecht es nach Dachboden. An der Wand hängen Wimpel aus der DDR und Schwarz-Weiß-Fotos, staubige Pokale erinnern an Siege in Löschwettbewerben, die Jahrzehnte zurückliegen. Es war die Glanzzeit der Rossower Feuerwehr. An einem Tag wie heute kamen nicht drei, sondern 15 Mann, um die Wache winterfest zu machen. Nachmittags tranken sie zusammen Bier und planten den nächsten Umzug der Schalmeienkapelle.

Heutzutage leitet Werth in dem Raum die Fortbildung der letzten Feuerwehrmänner von Rossow. Alle zwei Wochen unterrichtet er abends in Gerätekunde, Löschwasserversorgung oder Funkbedienung. Ein paar Dinge gibt es immer zu besprechen, das nächste Erntefest oder die Straßensperrung zum Martinsumzug. Die Feuerwehr ist noch immer der kulturelle Pfeiler im Dorf. Auch wenn das Dorf um den Pfeiler allmählich zerbröckelt.

Mittags schließt Werth das Tor zur Feuerwache und dreht den Schlüssel um. Die Schläuche sind geordnet, die Sägen geölt. Die Kameraden in den bunten Winterjacken werfen ihre Kippen in ein leeres Pilsfass an der Hauswand, steigen auf ihre Fahrräder und nicken sich zum Abschied zu. Man sieht sich nächstes Wochenende.

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