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Panorama: Freunde steuern

Aufregende Abende, kurzfristige Verabredungen – das Handy verändert das Verhalten. Und jetzt kommt die Videoverbindung

Am Anfang steht eine SMS. „Hi, Lust, heute was zu machen?“, fragt Lena, 21 Jahre alt. Milena, ihre gleichaltrige Freundin, meldet sich. Lena hat eine Idee, die Verabredung steht. Wenig später sitzt Lena im Bus, doch auf dem Display leuchtet plötzlich eine SMS: „Sorry, wird 30 min später“. Gut zu wissen, denn so lange hätte Lena sonst kaum auf ihre Freundin gewartet. Drei Stunden später, die Nacht in Trier ist noch lang und andere Freunde vielleicht noch unterwegs, da leuchtet Lenas Handy. Eine andere Freundin fragt per SMS: „Hi, wo seid ihr? Noch was trinken?“ – „Sind im Tex, wollt ihr kommen?“ – „Ja, bis gleich!“

Für die aufregende Gestaltung eines Abends ist die SMS für Lena der Schlüssel, um kurzfristig Verabredungen zu treffen und andere abzusagen. Weg ist der Zwang, schon Tage vorher zu planen und sich exakt auf Ort und Zeit festzulegen. „Heute ändert sich alles so schnell, da muss man auch schnell reagieren können“, sagt Lena.

1994 wurde auf der Cebit in Hannover erstmals der „Short Message Service“ (SMS) vorgestellt. Es war der Beginn eines beispiellosen Siegeszugs. Die SMS hat die Kommunikation der Menschen nachhaltig verändert. Die Videohandys, die jetzt auf der Cebit vorgestellt werden, dürften die Entwicklung forcieren. Die Telefonierenden können sich in bewegten Bildern sehen.

Werden Jugendliche zu „mobilen Vergnügungsbüros“, denen feste Verabredungen zunehmend lästig werden und die nicht mehr in der Lage sind, es den ganzen Abend an einem Ort auszuhalten? „Quatsch“, sagt Lena. „Ich finde nicht, dass man hektischer wird. Wenn ich mit Leuten losgehe, bin ich nicht so wechselhaft, dass ich gleich gehe, wenn ein Lied schlecht ist. Das ist eher typabhängig und hat nichts mit dem Handy zu tun.“ Sie mag die Flexibilität und die Chance, auch noch eine Planänderung durchzugeben, wenn Freunde schon unterwegs sind. „Oft kannst du gar nicht absehen, ob in der vereinbarten Kneipe überhaupt noch ein Platz frei ist.“ Dann geht’s einfach in die nächste und die Freunde erfahren den neuen Treffpunkt gleich per SMS.

Egal ob beim Konzert, auf dem Flohmarkt, samstags bei Ikea oder bei anderen Großveranstaltungen: Eine SMS hilft, Leute schnell wieder zu finden – oder neue kennen zu lernen. „An Karneval habe ich mit jemandem die Handynummern ausgetauscht. Betrunken geht das ja leicht.“ Schwer ist es, „am nächsten Tag nüchtern auch wirklich anzurufen. Mir fällt’s dann einfacher, eine SMS zu schreiben. Da kann ich mir überlegen, was ich sage und den Text noch drei Mal durchlesen“, sagt Lena.

Und wenn der Typ bei genauerer Betrachtung doch nicht mehr so toll ist, „kann man seine SMS auch super ignorieren. Es ist einfacher, Leute auf Distanz zu halten, in dem ich so tue, als hätte ich die SMS nie bekommen.“ Falls aus der Bekanntschaft doch eine Beziehung wird, bekommt die SMS eine ganz neue Bedeutung. „Wenn ich meinen Freund tagsüber nicht sehe, ist das eine kleine, nette Aufmerksamkeit.“ Im Vergleich zu einem Anruf ist eine „SMS billiger und ich kann sie mir immer wieder durchlesen“.

Dass Liebes-SMS in einer Beziehung beide unter Erwartungsdruck setzen, findet Lena nicht. „Es ist mir lieber, wenn es nach einiger Zeit weniger SMS werden, die aber ernst gemeint sind, als wenn sie abgedroschen klingen.“ Manchmal schickt sie aber doch eine Message als implizites Signal: Kümmere dich um mich! „Wenn dann nichts kommt, werde ich sauer. Bei meiner letzten Beziehung habe ich gemerkt, dass es den Bach runtergeht, als am Tag keine SMS mehr von ihm kamen“. Dass Kurzmitteilungen gerade im Zwischenmenschlichen äußerst aufschlussreich sein können, hat Fußballstar David Beckham eindrucksvoll demonstriert. Seine Affären flogen auf, weil er Liebes-SMS gleichen Inhalts an mehrere Frauen verschickte. Die britische Presse warnte vor dem unbedachten versenden von SMS.

Und nicht nur Beckham wurde überführt: „Eine Freundin von mir hatte mal Besuch von ihrem Freund. Der brachte noch ein Mädchen mit und stellte sie als gute Bekannte vor“, erzählt Lena. „Als meine Freundin sich dann mal heimlich seine SMS durchlas, fand sie eine, aus der eindeutig hervorging, dass er mit der anderen eine Affäre hatte.“ Erwischt! Das Handy als Kontrollorgan? Ob nun das stöbern in fremder Post oder misstrauische „Wo warst du?“-SMS: Längst warnen Studien vor dem „Verpflichtungsgefühl auf jedes Klingeln zu reagieren“.

Sorgeberechtigte – und auf` ,Sorge’ liegt hier die Betonung – sehen das Gerät als Möglichkeit, ihren Kontrollbereich auszudehnen. „Meine Eltern haben meine Schwester anfangs echt unter Druck gesetzt, wenn sie mal unterwegs, aber per Handy nicht erreichbar war“, erzählt Lena, „bei mir ist das aber nur einmal vorgekommen. In der Beziehung habe ich so eine Kontrolle noch nicht erlebt.“

Auch den „Verlust des realen Bezugs“ und „inhaltlich belanglosere und unauthentischere“ Kommunikation beklagt die Wissenschaft. Sicher, denn welcher tiefsinnige Gedanke lässt sich schon in 160 Zeichen tippen, geschweige denn im Supermarkt zwischen Wühltisch und Wursttheke erörtern.

Der finnische Sozialwissenschaftler Timo Kopomaa von der Helsinki University of Technology kritisiert, einerseits entstehe eine „Kultur der Unterbrechungen“. Andererseits könnten Situationen jederzeit zugunsten neuer Situationen aufgelöst werden, je nachdem, wie sich die Lage ändert. Die Menschen maximierten mit dem Handy ihr Kontaktpotenzial. „Das Mobiltelefon fördert und intensiviert einen vergnügungsorientierten urbanen Lebensstil, bei dem man sich in Clubs, in Lounges und auf Partys trifft.“

„Man kann keine Beziehung primär übers Handy steuern“, sagt Lena. Doch hat wirklich irgendwer vor, das direkte Gespräch und die Intimität durch einen elektronischen Satzfetzendialog zu ersetzen? Nein. Doch „wenn ich eine SMS bekomme, bin ich glücklich, weil ich weiß, er denkt an mich“.

Christine Wetzel

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