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Panorama: Ganz in der Tradition der Kirche

Nach der Papstwahl habe ich mehrfach gelesen, dass jetzt viele eine Modernisierung der Kirche erhoffen. Die Kirche solle den Zölibat lockern, die Rolle der Frau stärken, Moralvorstellungen liberalisieren, Homosexualität enttabuisieren, und so weiter.

Nach der Papstwahl habe ich mehrfach gelesen, dass jetzt viele eine Modernisierung der Kirche erhoffen. Die Kirche solle den Zölibat lockern, die Rolle der Frau stärken, Moralvorstellungen liberalisieren, Homosexualität enttabuisieren, und so weiter. Ich verstehe nicht, wieso dazu „Modernisierung“ erforderlich ist. Um diese Ziele zu erreichen, muss die Kirche traditionsbewusster werden.

Was moderne Moralvorstellungen betrifft, könnte sie an das Erbe von Innozenz VIII. anknüpfen. Innozenz (Papst von 1484 bis 1492) war ein ultramoderner Single und sah den Zölibat extrem kritisch. Angeblich zeugte er mit verschiedenen Partnerinnen acht Knaben und acht Mädchen. Von ihm heißt es, niemals vor ihm oder nach ihm habe ein Papst mit so viel Berechtigung den Titel „heiliger Vater“ getragen. Der Pionier der Gleichberechtigung aber hieß Alexander VI., 1492 bis 1503. Damals regierte de facto ein Paar auf dem heiligen Stuhl. Die Mätresse des Papstes, Giulia Farnese, wurde von den Gläubigen „Braut Christi“ genannt.

Zur Homosexualität hatte kaum ein Papst ein so liberales Verhältnis wie Sixtus IV., der 1471 gewählt wurde. Leider wird Sixtus auch die Angewohnheit nachgesagt, sogenannte „Lustknaben“ zu Kardinälen zu ernennen. Immerhin erreichte er auf diese Weise eine spürbare Verjüngung des Kardinalskollegiums.

Auch das Verhältnis zu den anderen Weltreligionen müsse enger werden, so hört man oft. Nun, Paul IV., 1555 bis 1559, hat sich intensiver als jeder seiner Nachfolger um das Verhältnis zum Judentum gekümmert. Er verkündete, dass es Pflicht der Juden sei, in Ghettos zu leben, und zwang sie, gelbe Kennzeichen zu tragen.

Manchmal hatten Päpste Spitznamen, die Schlüsse auf eine unkonventionelle Amtsführung zulassen. Gregor VII. hieß „der heilige Satan“. Julius II. wurde von Martin Luther „der Blutsäufer“ genannt. Julius’ Nachfolger Leo X. war mit 37 Jahren relativ jung. Er musste nach der Papstwahl erst noch schnell zum Priester geweiht werden. Leo war der Partypapst – sein Lebensstil führte den Vatikan allerdings an den Rand des Ruins. Außerdem trat er gern in Begleitung seines Hofnarren auf.

Familienförderung wurde im Vatikan lange groß geschrieben. Es war üblich, dass Päpste ihre Verwandten unterstützten, indem sie diese zu Kardinälen ernannten. Zu den wenigen total langweiligen Päpsten dieser Epoche gehört Kalixt III., 1455 bis 1458, von dem es im Lexikon heißt: „Er hatte keine Affären und auch keine Kinder.“

Wer jetzt wütend ist, weil ich einige frühmoderne, auch dem damaligen Zeitgeist geschuldete Traditionen erwähne, dem sei gesagt: Entschuldigung, ich habe die Geschichte nicht gemacht. Ich referiere doch nur. Heute kommt so was bestimmt nicht mehr vor.

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