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Forschung: Gier ist ganz gewöhnlich

Der Fall Bsirske bestätigt, was Forscher wissen: Der Mensch ist gefangen im Verlangen. Jeder möchte etwas Besseres sein als sein Nachbar.

Die Gewerkschaft Verdi bestreikt die Lufthansa – und was macht Gewerkschaftsboss Frank Bsirske? Der Mann sonnt sich in der Südsee, wohin er ausgerechnet per Lufthansa-Maschine geflogen sein soll. In der ersten Klasse, kostenlos, zusammen mit seiner Ehefrau.

Letztes Jahr Nicolas Sarkozy, der sich per Privatjet auf die 60-Meter-Luxusyacht eines Milliardärs einladen ließ, nun Bsirske. Man fragt sich: Was treibt ohnehin privilegierte Menschen wie Sarkozy und Bsirske eigentlich dazu, ihren Ruf zu ruinieren, nur für ein kleines Extra, für ein bisschen Luxus? Diese Leute, könnte man meinen, haben doch genug! Woher also diese Gier?

Die bittere Wahrheit liegt vermutlich in unserer Natur. Sind wir nicht alle gierig? Doch. Wir alle haben ein gieriges Gehirn, dem es nicht so sehr auf den absoluten Luxus ankommt, sondern auf etwas ganz anderes: Darauf, etwas besser dazustehen als der Nachbar. Etwas mehr zu haben als der Durchschnitt. Mit einem Wort: privilegiert zu sein.

Vor allem etwas Angenehmes, das wir nicht erwartet haben, scheint unsere Lustgefühle auf Trab zu bringen – und sei es noch so etwas Kleines. Das lässt sich sogar bis ins Gehirn verfolgen. So hat der Psychiater Gregory Berns von der Emory University im amerikanischen Atlanta Testpersonen in einen Hirnscanner gelegt, während sie in einer bestimmten Reihenfolge entweder Wasser oder Fruchtsaft in den Mund gespritzt bekamen. In einer Versuchsreihe war die Abfolge der Spritzer vorhersehbar, in einer zweiten völlig zufällig.

Es zeigte sich: Das Lustzentrum des Gehirns – insbesondere eine Struktur namens „Nucleus accumbens“, die auch beim Sex aktiviert wird – sprach gerade bei der unerwarteten Reihenfolge der Fruchtsaft- und Wasserspritzer an. „Das bedeutet, dass das Gehirn unerwartete Genüsse eher belohnt als erwartete, und das möglicherweise unabhängig davon, welchen Geschmack die Leute am meisten mögen“, erklärt Berns. Oder, anders gesagt: Unser Gehirn tickt nicht rational, sondern emotional. Wer über die Straße läuft und einen 20-Euro-Schein findet, der kann sein Glück kaum fassen, während die erwartete Weihnachtszulage nur noch ein Achselzucken hervorruft.

Doch nicht nur der Überraschungseffekt zählt, sondern auch das Gefühl, seinen Mitmenschen einen Schritt voraus zu sein. Beispielsweise fand die US-Psychologin Victoria Medvec in einer Studie an Sportlern heraus, dass sich die Gewinner einer Bronzemedaille glücklicher fühlen als jene, die die Silbermedaille ergattert haben. Der Grund: Die Zweiten vergleichen sich mit dem Sieger und fühlen sich unterprivilegiert („fast hätte ich Gold gewonnen“). Die Drittplazierten dagegen schielen auf die Viertplazierten – und freuen sich, dass sie es überhaupt aufs Siegertreppchen geschafft haben.

Wir Menschen sind vergleichende Tiere. Wir messen unser Glück relativ zum Glück unseres Nachbarn. Daher unsere Liebe zum Privileg. Das Privileg nämlich ist per definitionem ein Vorrecht, wie etwa das Vorrecht, umsonst in der ersten Klasse in den Urlaub zu fliegen, während zu Hause gestreikt wird. Aus Sicht unserer Entwicklungsgeschichte ergibt eine Psyche, der es nicht so sehr auf absoluten Luxus ankommt, sondern eher auf den relativen Status, auch durchaus Sinn: Beim Kampf ums Dasein kam es schließlich nur darauf an, immer etwas besser abzuschneiden und dazustehen als die Konkurrenz.

Diese Einstellung haben wir bis heute beibehalten, auch wenn sie nicht rational ist. Fragt man Testpersonen, ob sie lieber 50 000 Euro verdienen möchten wenn das Durchschnittsgehalt bei 25 000 liegt – oder doch eher 100 000 in einer Gesellschaft, die im Schnitt 250 000 verdient, entscheiden sich die allermeisten für die 50 000 Euro. Das ist zwar absolut weniger, aber relativ mehr. Mehr als der Nachbar: Darauf kommt es uns an.

Was also tun, wenn man, wie Bsirske, ohnehin schon zu einer privilegierten Schicht der Gesellschaft gehört? Wie verschafft man da seinem Gehirn noch Glücksgefühle? Kleine Überraschungs- Extras könnten hier vielleicht etwas ausrichten – egal, was einem der Verstand sagt.

Die pessimistische Nachricht aus alledem lautet: Wenn unser Gehirn tatsächlich auf den sozialen Vergleich, auf das privilegierte Extra getrimmt ist, dann erscheint so etwas wie eine glückliche Gesamtgesellschaft wie eine Utopie. Selbst wenn wir im Durchschnitt immer reicher werden, heißt das nämlich nicht, dass wir auch immer glücklicher werden, da unser Glück zum Großteil von unserer relativen Position in der Gesellschaft abhängt. Und es wird voraussichtlich immer welche geben, die privilegierter sind als andere.

Eine kürzlich erschienene Studie des US-Politologen Ronald Inglehart von der Uni Michigan bestätigt dies: Während rund um den Globus die Zufriedenheit wächst, nehmen in einigen wenigen Ländern, die den größten materiellen Wohlstand genießen, die Glücksgefühle seit Jahren ab, darunter Österreich, Belgien – und Deutschland.

Und doch gibt es auch so etwas wie eine ausgleichende Gerechtigkeit: Nicht nur, dass Reichtum nicht wirklich glücklich macht, es zeigt sich sogar, dass die scheinbar Privilegierten wie Bsirske bei ihrem Hamsterrennen um mehr sich den Weg zum Wohlbefinden selbst versperren. Wie es der US-Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman formuliert: Früher war Reichtum ein Privileg. Heute, meint Kahneman, sei das nur noch bedingt der Fall. Reichtum gehe inzwischen typischerweise damit einher, dass man für die angenehmen Dingen des Lebens kaum noch Zeit habe. Wir stellen uns Reichtum als Freiheit und Dauerspaß vor. In Wirklichkeit sollte man bei Reichtum nicht an entspannten Müßiggang denken, sondern an Stress, ständiges Pendeln und Aktivitäten, die einem auferlegt werden. Klingt fast ein bisschen nach Bsirskes Alltag, sobald er von seinem Südsee-Urlaub zurückkehrt.

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