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Die Geweihmanufaktur von Rolf Miess in Kernen (Baden-Württemberg).

© dpa

Hirschgeweih im Trend: Das goldene Hirschgeweih direkt über dem Putzplan

Sie hängen überall, die Hirschgeweihe: in Cafés, Boutiquen und Wohnungen. Wer sie immer noch mit dem spießigen Jagdzimmer des Großvaters in Verbindung bringt, liegt falsch. Die Hirschgeweihe sind längst in den Szene-Vierteln der Großstadt angelangt. 

Ein Hirschgeweih in gold oder neonpink, das scheint die obligatorische Deko für jede hippe Wohnung zu sein. Egal ob auf bröckelndem Putz in der WG-Küche, oder über dem Flachbildschirm im Jungunternehmer-Wohnzimmer – das Geweih peppt jede Wand auf. Der Kitsch kann ein teures Designerstück sein, aber auch aus Plastik zwischen Pfandflaschen-Sammlung und Putzplan macht es sich gut. Der Stilbruch ist schließlich gewollt.

Das scheint mittlerweile kein Geheimtipp mehr zu sein. Die Nachfrage nach verarbeiteten Hörnern ist in den letzten Jahren enorm gestiegen, wie der Geweih-Designer Rolf Miess der dpa berichtet. Seit fünf Jahren arbeitet er an Geweihen, färbt sie schwarz oder besetzt sie mit Nieten. Am Anfang war es nur ein Hobby, doch mittlerweile sind die Trophäen so beliebt, dass er eine Angestellte beschäftigt.

Relikt aus Opas Wohnung?

Doch woher dieser Trend zur Urigkeit? Die Jagd-Trophäen passen doch viel besser in ein bayrisches Landhaus. Was haben sie in Studenten-WGs zu suchen? Die Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen schrieb bereits 2007: „Das Revival von Kuckucksuhr, Jagdtrophäe und Kreuzstich steht für die Wiederentdeckung des Regionalen, ist aber auch als Zusammenschluss der 'lokal Kreativen' mit einer sozialkritischen  Botschaft wider die Grenzenlosigkeit der Globalisierung versehen.“

In einer Welt, in der alles weiß und aus Glas ist, sehnt man sich wieder nach Ursprünglichkeit. Aufs Land will man nicht ziehen, da holt man sich eben ein bisschen Landleben in die Großstadt. Das Hirschgeweih ist das Accessoire, das der kühl-schicken Wohnung einen Tick Gemütlichkeit verleiht.  

Das Geweih als ironisches Detail

Aber ist das Geweih gleich eine Globalisierungskritik? Jennifer Wiebking von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung findet eher, das Geweih sei „ein wunderbares Stilelement, um zu zeigen, dass man einen Sinn für Ironie hat.“ Das ist doch der Witz an der Sache: dass die Trophäe eines stolzen Jägers völlig aus ihrem Kontext gerissen wird. Die Hörner kommen aus der guten Stube in den Alpen plötzlich in die Ikea-Wohnung einer Großstadt. Nicht in blanko versteht sich, dann würde man das Geweih womöglich noch ernst nehmen. Nein, mit Strasssteinchen und schön glitzernd, damit die Ironie auch nicht zu übersehen ist.

Studenten hatten schließlich schon immer einen Sinn für diese Mischung aus Trash und Spießigkeit. Davon zeugen nicht nur Blümchengeschirr und Salzbrezel-Spender in den Küchen-Schränken, sondern ebenso der sonntägliche Gang in die Tatort-Kneipe und die aufgereihten Schuhe vor der Wohnungstür. In diese Welt passt doch ein goldenes Geweih ganz wunderbar. Da macht es auch nichts, dass die WG streng vegetarisch isst - die Hörner sind eh Second Hand. Das Hirschgeweih bleibt also en vogue. Denn „gediegen“ ist ja auch nur ein anderes Wort für „cool“.

Livia Gerster

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