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Panorama: „Ich geniere mich für mein Land“

Angehörige sind entsetzt über Freisprüche im Kaprun-Prozess – über Schadenersatz wird im April verhandelt

Mehr als drei Jahre nach dem Seilbahnunglück in Kaprun und nach einem 20-monatigem Prozess spricht der Richter alle 16 Angeklagten frei. Ein Justizirrtum, sagen die Angehörigen. Die einzig richtige Entscheidung, sagen Experten. Doch im Salzburger Kolpinghaus gab es an diesem Vormittag eine gute Meldung, und die war es der Austria-Presse-Agentur sogar wert, in alle Welt verbreitet zu werden. Die Brötchen und der Kaffee waren billiger. Um immerhin 30 Cent kosteten die Genussmittel an diesem Donnerstag weniger als noch vor 20 Monaten.

Kurz nach zehn Uhr morgens war es mit den bunten Meldungen in Salzburg aber vorbei. Da begann Richter Manfred Seiss die mit Spannung erwartete Urteilsverkündung im so genannten Kaprun-Prozess, bei dem mehr als drei Jahre nach dem schweren Seilbahnunglück 16 Angeklagte 20 Monate vor dem Richter standen. Seiss sollte die Schuldfrage an dem Unglück klären, bei dem 155 Menschen, darunter 37 Deutsche, im November 2000 durch ein Feuer in der Standseilbahn auf das Kitzsteinhorn bei Zell am See, etwa 100 Kilometer südlich von Salzburg, ums Leben kamen. Und sein Spruch kam überraschend: Er sprach alle 16 Angeklagten frei. Er lehnte damit die Anträge der Staatsanwältin ab, die immerhin 15 der Angeklagten – Mitarbeiter der Seilbahngesellschaft, aber auch für die Kontrolle zuständige Techniker des Tüv – für schuldig befand.

Schon während der Urteilsverkündung kam es deswegen im Kolpinghaus, in das der Prozess aus Platzgründen verlegt worden war, zu tumultartigen Ausschreitungen: Angehörige der Opfer protestierten mit Buhrufen, „Ich geniere mich für mein Land“, war lautstark zu vernehmen, die Angehörige eines japanischen Opfers brach sogar zusammen und musste vom Roten Kreuz verarztet werden. „Wer übernimmt die Schuld für diese 155 Menschen?“ steht auf einem Plakat, das ein Hinterbliebener im Salzburger Gericht hochhält. Das Erstaunen war im ganzen Land groß: Da starben 155 Menschen durch ein Feuer, ausgelöst durch einen Heizstrahler, und nun sollte niemand daran schuld sein? Im Staatssender ORF wurden den ganzen Tag über Experten und einfache Bürger zitiert, die sich „enttäuscht“ zeigten und von einem „menschlich unverständlichen Urteil“ sprachen. Nur zwei Stunden nach dem Urteil meldete sich auch Jörg Haider, Kärntens Landeshauptmann, zu Wort, der allen Kärntner Angehörigen der Seilbahn-Opfer eine großzügige Entschädigung versprach – Haider befindet sich mitten im Landtagswahlkampf.

Die Oppositionspartei SPÖ wiederum will die Vorgänge rund um den Prozess sogar im Parlament prüfen lassen – und tatsächlich war der Prozess nicht unbedingt ein Ruhmesblatt der österreichischen Justizgeschichte. Mitten im Verfahren musste der Sachverständige ausgetauscht werden, weil er angeblich überfordert war. Dann gab es Pannen der kriminaltechnischen Ermittler, und schließlich mussten sogar Prozesstage kurzfristig abgesagt werden, weil das Gericht zu wenig Protokollanten hatte.

Kein Brandschutz für Seilbahnen

Doch auf den Ausgang des Urteils hatten diese Schlampereien und Schludrigkeiten wohl kaum Einfluss. Wenn das Urteil enttäuscht, dann liegt das weder an der fehlenden Infrastruktur im Salzburger Landesgericht, wie die Opposition in Wien behauptet, noch am herzlosen Richter, wie der ORF schlussfolgert, sondern an der österreichischen Gesetzeslage. Schließlich gab es bis in den vergangenen Herbst keinerlei Brandschutzbestimmungen für Seilbahnen. Das ist zwar eigenartig in einem Land, in dem erstens der Winter-Tourismus wichtigster Devisenbringer ist und zweitens sonst alles bis hinab zur amtlich korrekten Breite der Bürgersteige normiert und gesetzlich vorgeschrieben wird. Trotzdem: da es diese Bestimmungen nicht gab, konnte auch niemand verurteilt werden. Der Innsbrucker Strafrechtsexperte Christian Bertel sagt deswegen: „Es kann nicht sein, dass bei jedem Unglück – auch mit 155 Toten – jemand eingesperrt werden muss.“ Und auch Richter Seiss sagte in seiner Urteilsbegründung, dass er die Empörung der Angeklagten zwar verstehe, dass er aber nur „streng nach dem Strafrecht urteilen“ könne. Den Hinterbliebenen bleibt aber weiterhin Hoffnung auf Wiedergutmachung: Die zivilrechtlichen Schadenersatzprozesse werden ab Anfang April verhandelt.

Markus Huber[Wien]

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