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Panorama: Kämpfende Banden, prügelnde Lehrer

Berlins Oberschulrat Gerhard Schmid weiß, wie entscheidend das soziale Umfeld ist

Als ich 1951 in einem kleinen Dorf in der Nähe von Augsburg eingeschult wurde, hatten die Schüler mehrerer Jahrgänge in einem Raum Unterricht. Im Rechnen war ich sehr gut und arbeitete mit den älteren mit. In Deutsch reichte es nur zu einem befriedigend. Zu Hause sprach man wegen der Herkunft meiner Eltern ein Gemisch aus Österreichisch und Schwäbisch, aber mit einem sehr restriktiven Code, an dem ich während meiner ganzen Schulzeit litt.

Wichtiger als der Unterricht scheinen für mich aber unsere Bandenkriege außerhalb der Schule gewesen zu sein, die sich aber auf dem Zeugnis niederschlugen. Schon in der zweiten Klasse stand da „Fleiß verdient Lob, Betragen nicht immer tadelfrei“. Wir Kinder spielten den Krieg nach und schlossen uns je nach Ortsteil oder kleineren Dörfern zu Banden zusammen. Wir gingen sehr rau miteinander um, bewarfen uns zum Beispiel mit Feld und Pflastersteinen. Wenn wir blutend heimkamen, kümmerte das die Eltern kaum. Die waren mit ihrem eigenen Leben beschäftigt.

Nach der Grundschule kam ich in die Handelsschule in Augsburg, wo die Schüler aus einem anderen Milieu stammten. Damit ich auf diese Schule gehen konnte, musste sich mein Vater eine neue Arbeit suchen.

Wenn man nicht in der Stadt wohnte oder arbeitete, musste man als Dorfkind Schulgeld bezahlen. Das konnten meine Eltern nicht. Aber weil sie wollten, dass es mir einmal besser geht als ihnen, akzeptierte mein Vater sogar, dass er als Maler von seinem neuen Arbeitgeber in der Stadt immer vor Weihnachten entlassen und erst zum Frühjahr wieder eingestellt wurde. In der Handelsschule war ich das einzige Arbeiterkind in der Klasse. An den Unterricht kann ich mich nicht mehr so richtig erinnern, jedoch daran, dass ich oft noch den Rohrstock und die eine oder andere Lehrerhand zu spüren bekam.

Als dann die Handelsschule Wirtschaftsoberrealschule wurde, wechselte ich in die Abschlussklasse der Mittelschule. Denn ich hatte nicht die Perspektive, Abitur zu machen. Aber dann, als ich 16 Jahre alt war, löste sich endlich der Knoten, meine Leistungen wurden auf einmal viel besser – auch weil ich auf einmal Lehrer mit anderen pädagogischen Vorstellungen hatte.

Mein Klassenlehrer zum Beispiel: Er ließ uns über kontroverse Themen diskutieren und uns selbst eine Meinung bilden. Er nahm uns Jugendliche ernst. Das war revolutionär. Zuvor waren wir nie nach unserer Meinung gefragt worden. Jetzt durften wir sogar unsere Meinung vor der Klasse vortragen. Ich durfte zum ersten Mal einen mit gut bewerteten Aufsatz vorlesen, was mich sehr stolz machte. Ich hatte das Für und Wider des Mauerbaus bewertet und schließlich abgelehnt.

Durch solche modernen Unterrichtsformen und Lehrer, die sich nicht mit dem Rohrstock, sondern mit Argumenten durchsetzten, gewann ich als Schüler Selbstvertrauen, so dass ich nach einer Lehre 1969 mit 24 Jahren das externe Begabtenabitur ablegen konnte. Dieses eine Jahr meiner elfjährigen Schulzeit hat den Grundstein gelegt für mein pädagogisches Interesse und für meinen Lebensweg.

Gerhard Schmid ist 59 Jahre alt, Leitender Oberschulrat und Vorsitzender des Forums Schulpolitik und berufliche Bildung der Berliner CDU.

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