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Panorama: Kampf um den Regenwald

Pro Jahr verschwindet eine Fläche, die größer ist als Hessen. Jetzt greift Brasiliens Präsident ein – mit Hilfe der Armee

Von Bernd Radowitz,

Rio de Janeiro

Eine erneute Beschleunigung der Amazonaszerstörung hat Luiz Inácio Lula da Silvas mächtig unter Druck gesetzt. Der brasilianische Präsident war im Januar 2003 angetreten mit dem Versprechen, eine Trendwende bei der Umweltpolitik einzuleiten. In Lulas ersten Amtsmonaten war das Ausmaß der Urwaldrodung jedoch sogar leicht größer als im Vorjahr, das bereits als desaströs eingeschätzt wurde. Neue Satellitendaten zeigen einen Anstieg der Amazonasvernichtung in den zwölf Monaten bis August 2003 auf 23 750 Quadratkilometer – das ist eine Fläche, die größer ist als das Bundesland Hessen. Im vorherigen Bemessungszeitraum hatte die Abholzung 23 266 Quadratkilometer betragen, was damals noch für ein erschreckendes Hochschnellen gehalten wurde. Denn die Abholzungsrate hatte sich in den Jahren davor verlangsamt. „Wenn dieses Tempo anhält, ist das eine Katastrophe. Das würde bedeuten, dass in den nächsten 30 Jahren etwa 40 Prozent des Amazonas zerstört wären“, so die Einschätzung des Ökologen Carlos Rittl aus Manaus. Bisher wurden 16 Prozent von den ursprünglichen vier Millionen Quadratkilometern des brasilianischen Amazonaswaldes zerstört.

Präsident Lula wurde bei seinem Amtsantritt geradezu von Umweltgruppen gefeiert, da er mit Marina Silva eine Ikone der brasilianischen Amazonas-Aktivisten zur Umweltministerin machte. Inzwischen wird ihm jedoch vorgeworfen, sein Umwelt-Versprechen bisher kaum in die Praxis umgesetzt zu haben. So wollte Lula von ihm als „Raubbau an der Natur“ bezeichnete Wirtschaftspraktiken im Amazonasgebiet durch nachhaltige Entwicklung ersetzen. Um die Regenwaldvernichtung zu bremsen – und wahrscheinlich auch, um dem Imageverlust im Umweltbereich vorzubeugen – kündigte die Regierung jetzt einen allein in diesem Jahr 110 Millionen Euro teuren „Aktionsplan zur Vorbeugung und Kontrolle der Abholzung im Amazonasgebiet“ an. Umweltschützer begrüßen Ansätze des Programms, die auf eine Regulierung der im Amazonasgebiet oft mit Waffengewalt veränderten Eigentumsverhältnisse und die Bekämpfung von illegalen Landnahmen zielen. So will Lula jetzt die brasilianische Armee bei Umwelteinsätzen einsetzen.

Positiv bewertet wird auch der Plan, den Urwald künftig in Realzeit per Satellit zu überwachen, um Rodungen sofort zu erkennen und schnell eingreifen zu können. Die Kontrollmaßnahmen könnten den Raubbau aber allenfalls etwas eindämmen, meint die Umweltschutzgruppe Greenpeace. Die wahren wirtschaftlichen und sozialen Ursachen der Waldzerstörung würden mit dem Aktionsplan weiterhin nicht angegangen. „Der Motor der brasilianischen Wirtschaft ist der Agrar-Export“, sagt Paulo Adario von Greenpeace. „Und der ist im Amazonaswald rentabler als in anderen Regionen des Landes.“ Adario fordert deshalb für das fragile Ökosystem am Amazonas eine Landreform in anderen Teilen Brasiliens, um den stetigen Strom von Kleinbauern und Viehfarmern in die Region zu stoppen. Umweltexperten machen die Landwirtschaft am südlichen Amazonasrand, dem so genannten „Bogen der Zerstörung“, als Hauptgrund der Vernichtung des größten Tropenwaldes der Erde aus. Zuvor werden die von den Farmern oft illegal erworbenen Gebiete meist von Holzfirmen auf der Jagd nach geschützten Edelhölzern gelichtet.

Bernd Radowitz[Rio de Janeiro]

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