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Panorama: Keiner ist unverletzlich

Unfälle wie der von Jörg Haider zeigen: Das Sicherheitsgefühl in einem leise und ruhig fahrenden Oberklassewagen ist verführerisch

Beim Einscheren nach dem Überholen kommt die schwere Limousine mit der rechten Fahrzeugseite von der Straße ab. Der Wagen wird instabil, stellt sich quer, trifft, immer noch mit hoher Geschwindigkeit, mehrere Hindernisse am Straßenrand, steigt hoch, überschlägt sich und kommt, total zerstört, wieder auf den Rädern zum Stehen. Ein Unfall wie aus einem Hollywood-Film muss es gewesen sein, der Jörg Haider am Wochenende das Leben kostete. Doch wie konnte das überhaupt passieren? Denn ständig bringen die Hersteller neue Sicherheitstechnik auf den Markt, die Autoinsassen vor Unfällen und deren Folgen schützen soll. Antiblockiersystem, Brems- und Spurwechselassistent, Stabilitätsprogramm, Traktionskontrolle, dazu immer mehr Airbags und immer mehr passive Crashsicherheit: Tatsächlich sind die Chancen in den letzten Jahren stark gestiegen, selbst schwere Unfälle mit leichteren Verletzungen zu überstehen. Die Zahl der Verkehrstoten sinkt trotz immer mehr Autos auf immer neue Rekordtiefs.

Doch nicht zuletzt Haiders tödlicher Crash zeigt: Die perfekte Sicherheit im Straßenverkehr wird wohl immer eine Illusion bleiben. „Die Grenzen der Physik“ nennt Volker Sandner das, der beim ADAC den Fachbereich „passive Sicherheit“ leitet, sich also auf Crashtests und Knautschzonen versteht. Das heißt: „Kommt es zu einem Aufprall, dann kann auch das bestkonstruierte Auto nur eine bestimmte Menge Energie aufnehmen.“ Wird sie überschritten, dann versagt die Karosseriestruktur. Und auch die Regelmechanismen elektronischer Assistenten können in unkontrollierten Fahrsituationen nur endliche Brems- und Beschleunigungskräfte aufbringen, um den Wagen wieder in die Spur zu ziehen. Reichen die nicht aus, dann geht die Kontrolle verloren. Als sicher kann gelten, dass Haider bei seinem Unfall gleich in mehrfacher Hinsicht seine hohe Geschwindigkeit zum Verhängnis wurde. Denn zum einen hätte sich der Wagen bei geringerem Tempo möglicherweise wieder einfangen lassen. Außerdem kommt wieder die Physik ins Spiel. Sandner erklärt: „Beim Aufprall steigt die Energie mit dem Quadrat der Geschwindigkeit. Eine Verdopplung des Tempos sorgt dafür, dass sich Bremsweg und Aufprallenergie vervierfachen“ – und sich die Schwere von Unfällen deshalb dramatisch erhöht. Besonders unheilvoll wirkt sich das aus, wenn, wie in Haiders Fall, schmale Gegenstände wie ein Betonpfeiler und ein Hydrant getroffen werden. Mit dem Tritt auf den Fuß mit einem Stöckelschuh vergleicht Sandner das: „Da kann die Trägerin sogar relativ leicht sein und es tut trotzdem sehr weh, weil die Energie nur auf eine sehr kleine Fläche einwirkt.“ Erschwerend kam bei Haider hinzu, dass auf der Fahrzeugseite viel weniger Raum zur Verfügung steht, der als Knautschzone Energie aufnehmen kann. Und auch Seitenairbags können zwar abpolstern, einem direkt eindringenden harten Hindernis aber nur wenig Widerstand entgegensetzen. Ob die Überlebenschancen des Politikers größer gewesen wäre, hätte er in einem anderen Fahrzeugmodell gesessen, dazu laufen in diversen Internetforen Diskussionen. Abschließend klären lassen wird sich das aber wohl nie: Norm-Crashs wie der in Europa gängige Euro-NCAP bilden nur Standard-Unfallmuster wie etwa den versetzten Frontalaufprall ab. Damit können sie Käufern zwar Anhaltspunkte liefern, die Realität auf den Straßen aber niemals umfassend abbilden. Generell gilt aber, dass Oberklassefahrzeuge wie Haiders VW Phaeton gemessen an kleineren Fahrzeugen meist besseren Schutz bieten: Da angesichts der Kaufpreise bei der Ausstattung nicht so sehr auf die Kosten geguckt werden muss, findet sich moderne Sicherheitstechnik hier in der Regel Jahre bevor sie in kleinere Fahrzeuge eingebaut wird.

Allerdings kann auch das zur Entstehung von Unfällen beitragen. „Trügerische Sicherheit“ nennt Dr. Karin Müller, Verkehrspsychologin beim TÜV Rheinland in Berlin das Phänomen: Wer in einem solchen Fahrzeug sitzt, mit satter Straßenlage, souveräner Beschleunigung, entkoppelt von allen Straßengeräuschen und in der Lage, noch bei Tempo 200 mit zwei Fingern zu steuern, der erliegt schneller als der Kleinwagenfahrer der Illusion, dass nichts passieren kann und dass man unverletzlich ist. Müller hat in ihren Schulungen zum Punkteabbau häufiger mit einem bestimmten Typ Fahrer zu tun: „Oft in Führungspositionen, großer Wagen, sicherer Wagen: Da gibt es eine bestimmte Neigung, für sich selbst eigene Regeln zu definieren – so nach dem Motto: ,Ich darf das.’“

Kai Kolwitz

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