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''Last Night of the Proms'': Als wären sie Untertanen der Queen

Vor allem Deutsche gehören zu den ausländischen Besuchern der "Last Night of the Proms“ in London. Bei Edward Elgars "Pomp and Circumstance" singen sie aus Leibeskräften mit.

Es gibt mehrere Dinge, die bemerkenswert sind bei der Londoner „Last Night of the Proms“, dem Abschluss der traditionellen Sommerkonzertreihe in London. Da ist einmal – natürlich – der ungezwungene Aufzug der Musikliebhaber. Am Samstagabend, als die diesjährige „Last night“ über die Bühne ging, konnte man es wieder beobachten: Die „Promers“ kamen mit Fahnen in die Royal Albert Hall, als ginge es nicht um ernste Musik, sondern um ein Fußballspiel. Bemerkenswert ist aber auch der hohe Anteil der deutschen „Fans“, die jedes Jahr die Reise nach London antreten – sofern sie eine Karte ergattern können.

So waren unter den 8000 Konzertbesuchern am Samstagabend auch wieder 500 Deutsche. Und als wären sie selbst Untertanen der britischen Königin, sangen viele von ihnen bei den patriotischen Werken, die bei keiner „Last night“ fehlen dürfen, aus Leibeskräften mit: Edward Elgars „Pomp and Circumstance“, „Rule Britannia“ und Hubert Parrys Vertonung von William Blakes Gedicht „Jerusalem“. Man konnte regelrecht den Eindruck gewinnen, dass die deutschen Konzertbesucher in der Royal Albert Hall endlich einmal die Möglichkeit auslebten, Nationalgefühl zu zeigen – und wenn es auch das britische ist.

1895 wurden die Londoner Promenadenkonzerte, bei denen die Zuhörer nicht nur promenieren, sondern sogar essen, trinken und rauchen durften, ins Leben gerufen. Stets endet die Saison mit der „Last Night“. In den Werken, bei denen das Mitsingen des Publikums erwartet wird, geht es immer um das eine: das Glück, als Brite geboren worden zu sein. Dass es deutschen Besuchern trotzdem nicht schwerfällt, einzustimmen, hat seinen Grund: Die einschlägigen Werke haben zwar alle einen deutlichen pro-englischen Charakter, sind aber keinesfalls national-chauvinistisch.

Im ersten Teil des Abends, in dem es traditionell weniger um das Mitsingen als um das Zuhören geht, gab Musik der Komponisten Dvorak, Rachmaninoff, Ravel und Elgar den Ton an. Anna Netrebko, die Arien aus Bellinis „La sonnambula“ interpretierte, beherrschte die riesige Konzerthalle nicht nur singend. Sie tanzte auch auf der Bühne, warf Rosen ins Publikum, flirtete mit Orchestermitgliedern – und verlor dabei nie die Kontrolle.

Die Londoner Sommerkonzerte haben seit drei Jahren einen neuen ständigen Dirigenten, den Tschechen Jiri Belohlavek, aber erst jetzt wagte er sich an die Leitung einer „Last Night“ heran: Prompt hefteten die „Promers“ an seinem Dirigentenpult am Samstagabend ein rotes „L“ an, wie es Fahranfänger in Großbritannien an der Windschutzscheibe anbringen. Das war lieb gemeint – und wurde auch so verstanden.

Michael S. Cullen

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