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Feuer im Blut. Rammstein im Madison Square Garden.

© Gene Szucs

Rammstein: "Links-2-3-4"

Das Konzert war nach 20 Minuten ausverkauft: Feuerspeier, Raketen und deutsche Fahnen – wie die Berliner Band Rammstein New York erobert.

Außer für Bratwurst und Bier wird Deutschland in Amerika vor allem wegen seiner Industrie geschätzt – auch bei Musikfans. Der Industrial Metal von Rammstein ist der heißeste Export in die USA. Das bekamen auch die 20 000 Fans im New Yorker Madison Square Garden zu spüren, Explosionen, Flammenwerfer und Leuchtgranaten sind das Markenzeichen dieser Band aus Berlin.

Mehr als zehn Jahre hatten sich Rammstein nicht mehr in die USA getraut. Bei ihrer letzten Tour gab es Ärger im Land der strengen Sitte. In New York’s Hammerstein Ballroom und einen Tag später in Worcester, Massachusetts, hatten Sänger Till Lindemann und Keyboarder Christian Lorenz zum Lied „Bück dich“ Analverkehr simuliert – das ging den Amerikanern zu weit. Beide verbrachten eine Nacht im Gefängnis.

Jetzt kam der zweite Versuch, und der kam ohne Gefängnisbesuch aus. Die Fans hatten lange gewartet, die Livealben der letzten Jahre („Live aus Berlin“, „Völkerball“) hatten das Interesse noch gesteigert. Rammstein wusste, wie hoch die Erwartungen waren – und übertraf sie. Die Band kam mit 15 Trucks, beladen mit einer gewaltigen Bühne aus Stahl, mit 80 Funkenwerfern, zehn Mörsern, 40 Kanonen, zehn Raketen, 60 Kilo Sprengstoff …, alles Pyrotechnik, aber genug, um diese Schlacht zu gewinnen.

Die Tickets für die Arena im Herzen Manhattans waren in zwanzig Minuten ausverkauft. Das schafft sonst nur Bruce Springsteen. Einer deutschen Band hätte man das nicht zugetraut. Doch kamen Fans aus ganz Amerika nach New York, um die Neue Deutsche Härte zu erleben, das Spiel mit Symbolen. Sie sahen ein Konzert zwischen Lady Gaga und Leni Riefenstahl, irgendwo zwischen Fascho, Fleisch und Fetisch. Einen Sänger, der mal Wagner’s Wotan war und mal Metzgermeister.

Und sie sangen jedes Wort mit. Kaum zu glauben, wie viele Amerikaner „Waidmanns Heil“ schreien können und wie viele „Bückstabü“ doch tatsächlich für ein deutsches Wort halten. Der Titel „Bückstabü“ aus dem Rammstein-Album „Liebe ist für alle da“ ist ein Fantasiewort von Till Lindemann, und es steht für Verlangen und ungezügelte Triebe.

Fantasiewort oder nicht, bei den Fans sitzen die Vokabeln, auch wenn manche einen Spickzettel brauchen. Ein Fan aus Arizona hat sich jeden Refrain ausgedruckt, um zwei Stunden mitbrüllen zu können.

Den meisten amerikanischen Fans entgehen die Spitzfindigkeiten der Rammstein-Texte. Zwar können 20 000 Fans „Du hast“ mitsingen – der Titel tauchte vor mehr als zehn Jahren auf dem „Matrix“-Soundtrack auf und machte die Band in Amerika bekannt. Doch versteht kaum einer das Wortspiel. Aber der Madison Square Garden ist nicht das Goethe-Institut. Im Gegenteil: Was die Deutschen in New York über Hochkultur nicht schaffen, gelingt Rammstein im Handumdrehen – sie begeistern die Massen für Deutschland.

Viele Fans im Madison Square Garden haben Deutschlandflaggen mitgebracht. Einige sind tatsächlich aus Deutschland gekommen, die meisten sind aber Amerikaner, die Deutschland einfach nur cool finden. In der Metalgemeinde haben die aus Ostdeutschland stammenden Musiker Kultstatus, stehen auf einer Stufe mit Metallica. Den Erfolg anderer deutscher Bands – Kraftwerk, Scorpions, Alphaville – stellt man längst in den Schatten.

Da spielt es keine Rolle, dass manche Aspekte untergehen: Der Text von „Haifisch“ ist eng an „Mackie Messer“ aus der Dreigroschenoper angelehnt, die viele Jahre lang erfolgreich am Broadway spielte, nur einen Steinwurf entfernt. In „Wiener Blut“ erkennt der Amerikaner den Fall Fritzl nicht, ebenso wenig wie die politische Auseinandersetzung in „Links-2-3-4“. Dort heißt es: „Sie wollen mein Herz am rechten Fleck/Doch seh ich dann nach unten weg/Da schlägt es links/Links zwo drei vier“.

Nur „Pussy“ hat einen englischen Text. Der Song ist der Gipfel in einem Programm, das die Grenzen der Amerikaner testet. Nicht nur wegen der Zeilen, sondern vor allem wegen der gewaltigen Peniskanone, mit der Lindemann weißen Schaum spritzt. Danach regnet es Millionen kleiner Papierspermien. Die Band wird sich wohl gefragt haben, ob sich der USA-Besuch lohnen würde.

Ja, und ja. Amerika ist bereit für Rammstein. Für diese stählernen Riesen aus einer fremden Welt auf einer Bühne, die brennt. Till Lindemann spielt mit dem Feuer. Mal kommt es aus einer alten Zapfsäule, mal aus den gewaltigen Stahlflügeln, die der Sänger beim Finale zu „Engel“ trägt. Es birst aus Flammenwerfern, die sich Lindemann und die beiden Gitarristen, Richard Kruspe und Paul Landers, vors Gesicht geschnallt haben, und es sprüht aus einem Eimer in eine Bergwerkskarre, aus der später Christian Lorenz steigt. Der steht an diesem Abend oft im Mittelpunkt, steuert ein Schlauchboot über das Meer der Fans oder bedient seine Keyboards zwischen zwei gewaltigen Transformatoren – die wohl direkt aus Frankensteins Labor geholt wurden.

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