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Panorama: Maestro der Gänsehaut

Filmkomponist Ennio Morricone fühlt sich unverstanden. Deshalb gab er ein Live-Konzert

Erst die Panflöte aus „Es war einmal in Amerika“. Dann das Glockenspiel aus „Zwei glorreiche Halunken“. Schließlich die hochfliegende Sopranstimme, die bei „Spiel mir das Lied vom Tod“ eine nachhaltig kribbelnde Gänsehaut erzeugt. Es waren ziemlich ungewöhnliche Klänge, die am Mittwoch Abend die Philharmonie in München füllten. Vorn am Dirigentenpult stand ein kleiner, grauhaariger, weltberühmter Mann, der zuvor noch nie eine Bühne in Deutschland betreten, geschweige denn gleich ein ganzes Orchester und einen Chor dazu geleitet hatte.

75 Jahre alt musste Ennio Morricone werden, um sein Konzertdebüt hierzulande zu geben, obwohl er ausgebildeter Dirigent ist – doch bekannt ist der Italiener fast ausschließlich als Komponist einiger der bekanntesten Film-Melodien aller Zeiten. Vor allem in der Zusammenarbeit mit seinen Schulfreund, dem Regisseur Sergio Leone, entstanden unsterbliche Werke wie die Italo-Western „Für eine Handvoll Dollar“ oder eben „Spiel mir das Lied vom Tod“.

Bis heute ist Morricone dankbar, dass Leone die Musik in seinen Filmen so frei hat stehen lassen und sie nicht mit anderen Geräuschen vermengt hat: „Deshalb hat die Musik die Köpfe der Menschen so sehr erreichen können“. Andererseits aber stellte Morricone bei seinem Besuch in München fest, „dass man sich täuscht, wenn man denkt, dass ich meine beste Musik in diesen Filmen gemacht habe. Western machen nur etwa 8 Prozent meiner Filmkompositionen aus.“ Ennio Morricone, das wird im Gespräch mit ihm schnell deutlich, fühlt sich unverstanden und als Melodienlieferant für Wildwest-Epen restlos unterschätzt. Genau das ist der Grund , warum er das Angebot annahm, mit Chor und Orchester des Bayerischen Rundfunks einen breiten Querschnitt seiner Werke vorzuführen.

Dabei sucht der „Maestro“, wie er sich selbstverständlich von jedem ansprechen lässt, nur ungern die Öffentlichkeit: Außerhalb von Italien ist er bislang nur ganz selten aufgetreten, mal in Tokio, mal in London.

Aber in Deutschland, jenem Land, das Morricone „wegen seiner musikalischen Tradition unendlich bewundert“, wollte er nun wenigstens ein einziges Mal zeigen, wie komplex und tiefgründig sein Schaffen tatsächlich ist. Deswegen hat er jene Themen, die in den Filmen oft zerschnippelt und mit Dialogen oder anderen Sounds vermischt wurden, zu orchestralen Suiten umarrangiert.

Der Ehrgeiz, der den Maestro antrieb, war bereits während der Proben spürbar. Da krachte es gewaltig zwischen Dirigent und Musikern. Vordergründig prallte des Komponisten Ungeduld auf die Mittagspausen-Mentalität eines öffentlich-rechtlichen Orchesters. Doch dahinter verbarg sich sichtlich die Verletzlichkeit eines Künstlers, der schon kleine Fehler als persönlichen Angriff interpretiert. Bisweilen wirkt Morricone, der wohl berühmteste Filmkomponist der Welt, geradezu verbittert, wenn er um künstlerische Anerkennung für seine Werke wirbt.

Die unzähligen Morricone-Remixes und -Neueinspielungen, die mittlerweile existieren, konnten ihn nie trösten. Der zornige alte Mann findet fast alles furchtbar und „reine Geldschneiderei, weil man mit meinem Namen gut Geld verdienen kann“.

Die Originalnoten hat er ohnehin nie rausgerückt, weil er darauf besteht, „dass meine Film-Musiken ausschließlich von mir selbst interpretiert werden.“ – Wie am Mittwoch in der Münchner Philharmonie, wo Ennio Morricone nach zweieinhalb Stunden von „The Untouchables“ über „Erklärt Pereira“ und „Cinema Paradiso“ bis hin zu „The Mission“ mit standing ovations gefeiert wurde.

Dabei waren viele Plätze in dem Riesenbau leer geblieben, weil das wohl einmalige Ereignis nur halbherzig für ein Klassik-Publikum beworben und dafür mit gesalzenen Eintrittspreisen bis an die 100 Euro versehen wurde.

Doch bald wird es eine Fernseh-Version dieses Abends geben, die bei Arte und in den dritten Programmen gezeigt wird. Dann können sich der Großmeister gewaltiger, hochfliegender und zugleich zerbrechlicher Werke und seine Fans noch einmal am umfassenden Klangenuss seiner Werke erfreuen.

Der „Richard Wagner der Filmmusik“, wie ihn der Conferencier nannte, wird es verschmerzen, dass er auf den Plakaten für diesen Abend vor einem Filmposter posieren musste. Es zeigt die Hauptdarsteller aus „Spiel mir das Lied vom Tod."

Jörg Schallenberg[München]

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