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Panorama: Nur nicht aufgefallen

22 Tage unschuldig in Untersuchungshaft: Adam Kowalski wurde beim Schachspiel plötzlich festgenommen

Der Albtraum für Adam Kowalski beginnt am 5. Mai 2005, als er einen entfernten Bekannten besucht und mit dessen Schachcomputer spielt. Warum die Polizei diesen Bekannten aufsuchte, weiß er bis heute nicht, nur dass alle Anwesenden sich ausweisen mussten: „Eben war ich noch ins Schachspiel vertieft und plötzlich heißt es, gegen mich liege ein Haftbefehl aus Cottbus vor“, erzählt er.

Unschuldig in Haft: Adam Kowalski erlebte den Horror. Der 33-jährige Informatiker saß 22 Tage im Knast, weil er zufällig so ähnlich heißt wie ein gesuchter Zigarettenschmuggler. Der Tippfehler eines brandenburgischen Behördenmitarbeiters brachte den Hamburger trotz weißer Weste hinter Gitter. Dabei hätte die Hamburger Polizei den Justizirrtum mit einem einzigen Anruf verhindern können.

Unschuldig eingesperrt – was das mit einem Menschen macht, davon mag Adam Kowalski auch nach seiner Entlassung kaum reden. Nur so viel: „Ich bin in Hungerstreik getreten, hatte psychisch extrem zu kämpfen.“

Der größte Horror, sagt er, ist nicht das Gefängnis: „Das Schlimmste ist, dass dein Leben draußen in die Brüche geht, und du kannst nichts dagegen tun.“ Adam Kowalski war gerade dabei, sich als Informatiker selbstständig zu machen, freute sich auf die Ankunft seiner Verlobten, die aus Südamerika zu ihm nach Hamburg zieht.

Zwei kleine, vergessene Buchstaben und sein Geburtsdatum hoben das unauffällige Leben des Adam Kowalski aus den Angeln: Er wurde am 24. Dezember 1971 in Seibersdorf (Polen) geboren. Am selben Tag kam in Wysokie (ebenfalls Polen) ein Adam Kowalewski zur Welt. Adam Kowalski wanderte als Kind mit seinen Eltern nach Hamburg aus, lernte Radiotechniker und Informatik, wurde 1989 deutscher Staatsbürger. Adam Kowalewski blieb Pole und schmuggelte im großen Stil Zigaretten.

Im Februar 2003 erlässt die Staatsanwaltschaft Cottbus einen Haftbefehl über 150 Tage gegen den flüchtigen Schmuggler Adam Kowalewski. Der Pole wird zur Fahndung ausgeschrieben – und dabei vertippt sich der ostdeutsche Beamte: Aus Kowalewski wird Kowalski.

„Ich sagte den Beamten sofort, dass das ein Irrtum sein muss. Cottbus! Da war ich nur einmal als Kind.“ Hinweise auf eine Verwechslung gibt es genug: Der Geburtsort auf dem Haftbefehl stimmte nicht mit seinem überein, außerdem sollte ein polnischer Staatsbürger verhaftet werden, Adam Kowalski ist aber schon lange Deutscher.

Kein Polizist wird stutzig, Kowalski, der unbescholtene Schachspieler, wandert in das Untersuchungsgefängnis am Hamburger Holstenglacis. Nach fünf Tagen will seine Mutter, außer sich vor Sorge, eine Vermisstenanzeige aufgeben. Sie erfährt auf dem Polizeirevier, dass ihr Sohn in Haft ist. Die behinderte alte Dame wendet sich verzweifelt an den Rechtsanwalt Manfred Getzmann. Als der Jurist die Akte Kowalski bekommt, sitzt sein Mandant seit 22 Tagen in Haft. Getzmann stolpert über Geburtstort und Nationalität des Gesuchten, ruft die Staatsanwaltschaft Cottbus an: „Binnen drei Minuten war der Irrtum aufgeklärt und die sofortige Freilassung veranlasst.“

Der Anwalt ist fassungslos über die Nachlässigkeit der Hamburger Polizei und Justizbehörde: „Es ist ein Skandal, wie mit Freiheitsrechten umgegangen wird. Die Hinweise auf eine Verwechslung waren offensichtlich – drei Minuten Nachdenken und ein Anruf in Cottbus hätten gereicht.“ Er will Wiedergutmachung erstreiten, außerdem Dienstaufsichtsbeschwerden gegen die schlampigen Beamten einreichen. Die Polizei will sich zu dem Fall nicht äußern. Nach einem Bericht der „Hamburger Morgenpost“ teilte die Justizbehörde am Freitag aber gegen den Willen von Kowalski mit, dass er am Tag seiner Festnahme sogar einen Suizidversuch unternommen habe.

Behördensprecher Carsten Rothe nahm die Polizei in Schutz: „Die Abweichung fiel nicht auf. Er hat gegenüber dem Psychologen und den übrigen Vollzugsbediensteten nie gesagt, dass es sich um eine Verwechslung handelt.“ Adam Kowalski, der noch immer unter den psychischen Folgen der Haft leidet, bestreitet das: „Ich habe sofort bei der Verhaftung gesagt, dass das ein Fehler ist. Dafür gibt es Zeugen. Später habe ich nichts mehr gesagt, ich war zu geschockt.“

Der Grünen-Abgeordnete Till Steffen will jetzt wissen, ob Kowalski die Möglichkeit hatte, zu telefonieren und ob er psychisch dazu in der Lage war.

Und Adam Kowalski? Der will nur noch nach vorne blicken: „Ich möchte einen Job finden, meine Verlobte heiraten und eine Familie gründen.“

Stephanie Lamprecht[Hamburg]

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