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Tsunami: Ohne Warnung

Kinder spielten am Strand, und plötzlich stieg das Wasser: Der Tsunami traf die Indonesier wieder völlig unerwartet.

Der Tagesspiegel - Am Strand von Pangandaran, wo Kinder normalerweise gerne im feinen Sand Fußball spielen, liegen nun Betonstücke, Holzplanken und Wellbleche. Mehr ließ der Tsunami nicht von vielen Häusern übrig, die nah am Meer standen. "Air naik!", also "das Wasser geht hoch!", hatten die Menschen gerufen, die am Montagnachmittag vor der Welle wegliefen. Manche konnten sich und andere retten: Sie rannten weit genug, kletterten auf starke Bäume oder auf Dächer von Gebäuden, die so solide sind, dass sie trotz Flut stehen blieben. Andere hatten Pech. Sie wurden vom Wasser erwischt und weggeschwemmt, wurden erschlagen oder ertranken. Schwache Häuser sackten zusammen, weil die Flut ihre Wände wegriss. Menschen stürzten mit den Dächern, auf denen sie saßen , ins Wasser, weil sie hofften, da oben zu überleben.

Einen Tag nach Beben und Tsunami ist klar, dass in Indonesien nicht wenige, sondern hunderte Menschen starben. 368 Leichen wurden bis zum Dienstagabend geborgen. Unter ihnen waren mindestens sechs ausländische Touristen. "Es ist noch zu früh für genaue Informationen, alle genannten Angaben über Opfer sind vorläufig, ihre Zahl wird weiter steigen", sagt Vizepräsident Jusuf Kalla. Auf mehr als 100 Küstenkilometern schwappten im Süden der Insel Java an vielen Stellen Wellen an Land. Neben Zerstörung liegen auch unversehrte Streifen. - Die Beschaffenheit des Meeresbodens entschied, sie leitete die Kraft des Wassers um oder konzentrierte sie. So kamen an einigen Stränden nur kleine Wellen an. Anderswo türmte sich das Wasser meterhoch, krachte ans Ufer und fraß sich landeinwärts. Dort sieht es jetzt so aus wie in den Tsunami-Gebieten von Ende 2004: Wo Bauten standen, sind plötzlich Trümmerfelder mit Betonfetzen, Holzstücken, Türklinken, Dachrinnen und vielem mehr. Schuhe liegen neben Mopedwracks, Plastikstühle neben Kacheln. Indonesische Rotkreuz-Mitarbeiter und Soldaten suchen und bergen Leichen, die sie in gelbe Säcke legen. Überlebende irren unter Schock stehend umher und versuchen zu begreifen, was passiert ist. Zehntausende sind obdachlos.

US-Geologen berichteten mittlerweile, dass die Erschütterung stärker war als zunächst angenommen. Der Meeresboden habe 21 Mal gewackelt, der stärkste Stoß erreichte einen Wert von 7,7 auf der Richterskala. Das Epizentrum lag gut 150 Kilometer vor der Küste und 10 000 Meter unter dem Meeresspiegel. Anders war es Ende Mai, als es in Südjava zuletzt gebebt hatte, mit Stärke 6,3, also schwächer. Aber Ende Mai lag das Epizentrum an Land, in der Nähe der Stadt Yogyakarta starben 6 000 Menschen, Hunderttausende verloren ihr Heim.

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums wurden jetzt mehr als 68 000 Menschen obdachlos. Viele Einwohner von Pangandaran kehrten am Dienstag allmählich zurück, um ihre zerstörten Häuser aufzusuchen. Die Überlebenden berichteten von schrecklichen Szenen bei der Bergung von Toten und Verletzten und von überfüllten Krankenhäusern.

Am Montag war eine Tsunami-Warnung aus den USA in Indonesiens Hauptstadt Jakarta angekommen. Doch die Regierung hat noch keine Informationskette an die Küsten des riesigen Landes geschaffen. In Thailand, wo 2004 beim großen, länger übergreifenden Tsunami 7 000 Menschen starben, stehen längst besetzte Aussichtstürme mit Funkverbindung an den Stränden. Dabei ist die Gefahr in Indonesien am größten: Vor den Inseln Sumatra und Java stoßen Kontinentalplatten aufeinander. Ihre Bewegungen brachten jetzt wieder den Tod.

Wissenschaftler glauben, dass das extrem starke Tsunami-Beben von 2004 viel von dem Druck wegnahm, den die Erdplatten vor Sumatra aufeinander ausübten. Deshalb verwundert nicht, dass es nun weiter südöstlich rumort - vor der am dichtesten besiedelten Insel der Welt, vor Java, wo 130 Millionen Menschen leben. (Von Moritz Kleine-Brockhoff, Jakarta (mit AFP))

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