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Oscar Pistorius am Montag vor Gericht.

© dpa

Oscar Pistorius: Jetzt geht es um die Höhe der Strafe

15 Jahre oder lediglich eine Bewährungsstrafe? Im Prozess gegen Südafrikas einstiges Sportidol haben die Anhörungen über das Strafmaß begonnen. Verteidigung und Anklage beharken sich.

Oscar Pistorius hält den Kopf gesenkt. Das einstige Sportidol Südafrikas will niemanden sehen. Und nicht gesehen werden. Mit versteinerter Miene verfolgt der Mann, der in der Nacht zum Valentinstag 2013 seine Freundin Reeva Steenkamp erschoss, wie seine Psychotherapeutin öffentlich ausbreitet, was wohl kein Mensch über sich selbst in der Öffentlichkeit hören wollte.

„Er hat immer wieder geweint, ich musste ihn oft halten“, „er wird von Ängsten verfolgt“, „er konnte kaum etwas essen, er fand keinen Schlaf“ – all das und noch mehr Anrührendes berichtet Lore Hartzenberg, die Psychotherapeutin von Pistorius, am Montag vor Gericht in Pretoria. Gelegentlich schaut sie zu Richterin Thokozile Masipa, die in den nächsten Tagen entscheiden wird, ob Oscar Pistorius ins Gefängnis muss – und wenn ja, für wie lange.

Mehr als 200 Tage nach seinem Auftakt im März nähert sich der Prozess gegen den südafrikanischen Sportstar seinem Ende. Nachdem das Obergericht in Pretoria den Sportler vor vier Wochen nicht wie allgemein erwartet des Mordes an seiner Freundin, sondern nur der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden hatte, muss es nun das Strafmaß festlegen.

Dazu werden in dieser und vielleicht auch noch der nächsten Woche eine Reihe von Be- und Entlastungszeugen angehört. Der Ermessensspielraum der Vorsitzenden Richterin ist groß: Ihre Optionen reichen von einer einfachen Geldbuße oder einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe bis zu einer möglichen Höchststrafe von 15 Jahren. Diese kann jedoch nur dann verhängt werden, wenn der Angeklagte den Tod seines Opfers durch extreme Fahrlässigkeit billigend in Kauf nimmt. Es wird nicht ausgeschlossen, dass die Richterin nach dem milden Schuldspruch, für den sie in Südafrika viel Kritik einsteckte, beim Strafmaß eine härtere Linie einschlägt.

Wortgefechte zwischen Anklage und Verteidigung

Wie schon in dem Hauptverfahren, das sich über mehr als 40 Verhandlungstage hinzog, kam es auch gestern wieder zu einzelnen Wortgefechten zwischen der Anklage und der Vereidigung, die am ersten Tag mehrere Entlastungszeugen aufbot. Pistorius’ Psychologin Lore Hartzenberg war die erste im Zeugenstand. Sie sprach von „hochemotionalen Therapiestunden“. Seit der Bluttat fühle sich der einst weltweit angehimmelte Sportstar zudem „absolut wertlos“ und sei ein gebrochener Mann. Auch habe er es Hartzenberg zufolge noch nicht geschafft, sein tiefes Trauma zu überwinden. Staatsanwalt Nel versuchte immer wieder, die Aussagen der Psychologin zu hinterfragen, etwa als er andeutete, dass Pistorius bereits wieder an die Fortsetzung seiner Karriere als Paralympics-Sportler denke. Zum Unmut der Anklage ging Hartzenberg auch nur ganz am Rande auf wiederholte Nachfragen nach einer neuen Freundin des Angeklagten ein, von der südafrikanische Medien berichtet hatten. „Oscar Pistorius mag ja ein gebrochener Mann sein, aber er kann sein Leben fortsetzen“, sagte der Chefankläger.

Ein im Anschluss daran vernommener Bewährungshelfer hielt einen begrenzten Hausarrest und einen Sozialdienst für Pistorius für angemessen – ein Strafmaß, das Staatsanwalt Gerrie Nel sofort als „empörend niedrig“ zurückwies. Allein schon die Vorstellung, dass Pistorius mit Hausarrest davonkommen könnte, sei „schockierend“. Der Ankläger hatte ursprünglich eine Verurteilung wegen Mordes gefordert. Die Richterin akzeptierte jedoch die Version des angeklagten Pistorius. Er hatte beteuert, dass er überzeugt gewesen sei, auf einen Einbrecher zu schießen, als er in seinem Haus viermal mit einer großkalibrigen Pistole durch eine geschlossene Toilettentür feuerte.

Die Richterbank wurde am Montag von vier Polizisten – zwei auf jeder Seite – bewacht. Erstmals mussten alle Teilnehmer und Zuschauer der Verhandlung durch einen Metalldetektor gehen. Zuvor hatte es Drohungen sowohl gegen Pistorius als auch die Richterin gegeben.

Unklar ist bislang, ob Pistorius bei einer Haftstrafe sofort ins Gefängnis muss. Bislang befindet er sich gegen eine Kaution von umgerechnet 75 000 Euro auf freiem Fuß. Sollten Staatsanwaltschaft oder Verteidigung in die Berufung gehen, könnte Pistorius zumindest bis zur Verhandlung vor dem Berufungsgericht weiter gegen Kaution auf freiem Fuß bleiben.

Rechtsexperten glauben nach dem milden Schuldspruch mehrheitlich nicht daran, dass Pistorius am Ende wirklich ins Gefängnis muss. Vor allem die von ihm gezeigte Reue aber auch die Tatsache, dass er keine Vorstrafen aufweist, könnten ihm dabei helfen, eine Haftstrafe zu umgehen, heißt es.

Andere Experten wie der Strafrechtler Stephen Tuscon von der Universität Witwatersrand in Johannesburg halten das genaue Strafmaß für nicht vorhersehbar. Niemand wisse zum Beispiel, ob die Richterin die von Pistorius gezeigte Reue als aufrichtig werte. Auch hänge das Strafmaß stark vom Grad der Fahrlässigkeit ab. „Wenn das Gericht akzeptiert, dass es sich bei den Schüssen um eine schlimme Fehleinschätzung gehandelt habe, die jedem hätte passieren können, wäre eine Gefängnisstrafe vermutlich unangemessen“, sagte Tuscon. (mit dpa)

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