zum Hauptinhalt

Panorama: Pfeifen des Friedens

Am Freitag erklingt in Kairo erstmals wieder die einzige historische Walcker-Orgel im Nahen Osten.

Der Jubilar hat sich herausgeputzt. Überall im Kirchenrund wird gewienert und gewerkelt. Die Wände sind frisch gestrichen, die Pflanzen im Vorgarten säuberlich gestutzt. Von der Empore herab tönen einzelne Orgelpfeifen, mal tief und brummig, mal hoch und fein.

Die Evangelische Gemeinde Kairo rüstet zum großen Jahrestag, dem 100. Geburtstag ihres Gotteshauses mit der spätromantischen Walcker-Orgel, dem einzigen noch existierenden Instrument dieser Art im gesamten Nahen Osten. 1912 bei seiner Einweihung bildete der runde Kuppelbau mit Glockenturm das Markenzeichen des deutschen Viertels im Stadtteil Bulak, damals umringt von Pfarrhaus, Kindergarten, deutscher Schule, Internat und Generalkonsulat. Heute liegt das Gotteshaus eingequetscht zwischen Hochhäusern, hat eine sechsspurige Hochbrücke der Stadtautobahn vor der Nase sowie die stark befahrene Galaa-Straße vor der Tür. Im kühlen Kircheninneren jedoch verstummt das Gewühle und Gehupe der rastlosen Nil-Metropole hinter den dicken Holztüren.

Gebückt hockt Meister Gerhard Walcker-Mayer hoch oben zwischen den Pfeifen. Erklingt ein Ton, fährt er mit seinem Bürstchen über das Metall, hämmert, klopft und justiert so lange, bis alles stimmt. Sechs Monate Arbeit liegen hinter ihm. Von den ehemals 1250 Pfeifen mussten 300 neu gebaut werden. Zwölf fehlende Holzpfeifen steuerte in Kairo ein ägyptischer Schreiner bei. „Ich stelle mir vor, so war der Klang vor hundert Jahren", sagt der Enkel des berühmten Erbauers Oscar Walcker, dessen aus Baden-Württemberg stammende Dynastie seit sieben Generationen Orgeln baut. Damals am 9. Februar 1912 kam Opus 1688, wie das Instrument in den Annalen des Orgelbaus heißt, im Hafen von Alexandria an. Es konnte sich mit Orgeln großer Kirchen in Deutschland messen. Beim Einweihungskonzert, so schrieb damals ein Ohrenzeuge, „hatte man Gelegenheit, die neue Orgel in ihrer ganzen Klangfülle und zarten Feinheit zu bewundern“.

Die Instandsetzung war eine Herkulesarbeit, mitgetragen auch von Spenden der Leser des Tagesspiegels. 160 000 Euro mussten aufgebracht werden, für die 140 Mitglieder der evangelischen Gemeinde in Kairo war das alleine nicht zu schaffen. Viele von außen packten mit an, ein koptischer Industrieller, ein halbes Dutzend deutsche Unternehmen sowie das Auswärtige Amt. Kinder gaben ihr Taschengeld her, auf Geburtstagen wurde auf Geschenke verzichtet.

Zum Festvortrag kommt Altbischof Wolfgang Huber an den Nil, der frühere EKD-Vorsitzende. „Beten und Rechnen kann man nur in der Muttersprache“, wirbt er für die Arbeit deutscher Gemeinden in der Fremde. Diese „Gotteshäuser im Exil“ seien Exponenten von religiöser Freiheit und Glaubenstreue unter den Bedingungen der Globalisierung. Und „sie helfen dabei, in der Fremde Heimat zu finden – sei es auf Zeit, sei es auf Dauer“.

Doch das deutsche Gotteshaus in Kairo war nicht nur Heimat, sondern auch Zeitzeuge. Im Ersten Weltkrieg wurde es von den Briten beschlagnahmt, bis Nofretete-Entdecker Ludwig Borchardt half, den Besitz wieder loszueisen. Die Gemeindeakten aus der Zeit des Nationalsozialismus sind verschwunden, alte Fotos jedoch zeigen Hakenkreuzfahnen auf dem deutschen Kirchengelände. Mitte der fünfziger Jahre kam das im Zweiten Weltkrieg erneut beschlagnahmte Gotteshaus in den Besitz der Gemeinde zurück. Und im letzten Jahr während der ägyptischen Revolution und den nachfolgenden Unruhen mussten sich die Gläubigen nach dem Gottesdienst schon mal in ihrer Kirche verschanzen, bis sich der Mob vor der Tür verzogen hatte. Am Freitagabend nun wird das einzigartige Instrument wieder in alter Pracht zum Leben erweckt, deren berühmte, im gleichen Jahr gebaute große Schwester Opus 1700 in der Hamburger St. Michaelis Kirche stand. Dann hat Kairo wieder eine richtige Konzertorgel, Dirigent und Chor der Oper haben bereits ihr Interesse an Auftritten geäußert.

„Auch unter Muslimen gibt es Liebhaber der Orgelmusik“, weiß Pfarrer Axel Matyba und nennt die Orgel „einen Beitrag der Gemeinde für die ganze Stadt“. Liszt, Bach und Pachelbel wird Kirchenmusikdirektor Klaus Schulten aus Nürnberg bei der Premiere spielen. Schulten hat über Orgeln im Nahen Osten geforscht und regelmäßig in Jerusalem musiziert. „Musik ist etwas absolut Friedliches“, sagt er. Dass die Walcker-Orgel in Kairo vor dem Untergang bewahrt wurde, ist für ihn „ein Geschenk an die Menschheit“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false