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Panorama: Pinkelskandal: Gelegentlich erleichtert sich auch der englische Adel in aller Öffentlichkeit

Als "Prinz von Großbritannien" hätte man von Ernst August wohl etwas mehr von der "feinen englischen Art" erwartet als die öffentlichen Ärgernisse, Gewaltausbrüche und sprachlichen Entgleisungen, mit denen er ständig Schlagzeilen macht.Für die jüngste Episode mag er bei der Königin Elizabeth II.

Als "Prinz von Großbritannien" hätte man von Ernst August wohl etwas mehr von der "feinen englischen Art" erwartet als die öffentlichen Ärgernisse, Gewaltausbrüche und sprachlichen Entgleisungen, mit denen er ständig Schlagzeilen macht.

Für die jüngste Episode mag er bei der Königin Elizabeth II., mit der er verwandt ist, durchaus Verständnis finden: "Möchten Sie erst das Badezimmer aufsuchen", fragte die Gattin eines Professors den jungen Lord, der zum Abendessen aus dem Garten des Hauses ins Speisezimmer trat. "Danke, ich habe dies gerade hinter einem Busch erledigt", lautete die trockene Antwort. Und ein Bild des jungen Prinzen William, den ein Teleobjektiv vor einigen Jahren in der gleichen Situation erwischte, wurde dank der massiven Intervention des Buckingham Palastes in keiner englischen Zeitung abgedruckt. Jilly Cooper erzählt in ihrem amüsanten Buch über das englische Klassensystem, wie sie als Studentin in Oxford von einem jungen Aristokraten ins Kino eingeladen wurde. Auf dem Weg dorthin bot er ihr Schokolade an. "Aber wir können doch nicht auf der Straße essen," mokierte sich die Bürgerstochter aus der englischen Mittelklasse. "Ich", erwiderte er mit der in Jahrhunderten ererbten Verachtung in der Stimme, "kann alles tun, was mir gefällt."

Cooper nennt diese und ähnliche Beispiele als Beweis dafür, dass die britische Aristokratie nicht der Hüter von Benimm und gesitteter Lebensart ist, sondern die bürgerliche Mittelschicht. Abgespreizte Finger von der Teetasse sind ein klares Zeichen, dass man nicht in einem Palast, sondern in einem Bungalow aufgewachsen ist. Ein Lord darf seine Erbsen auch mit dem Messer essen. Das Verhalten von Ernst August wäre in diesen Kreisen jedoch ebenso eine gesellschaftliche Todsünde, als wenn man in diesen Kreisen die Portflasche nach dem Dinner nach rechts weiter reichen würde. Denn für die britische Aristokratie ist Diskretion das oberste Prinzip.

Massenhafte Verstöße dagegen brachen "Fergie" das Genick, die wegen ihrer albernen Eskapaden als "vulgäre Herzogin" Schlagzeilen machte. Es wird noch hingenommen, dass ein schottischer Markgraf auf Heißluftballons ballert, die sein Gut überfliegen, aber einen Fotografen zu verprügeln, ist absolut "out". Zudem trägt kein englischer Aristokrat auf dem Lande einen Regenschirm, was nur Dorfpfarrern zugestanden wird. Ebenso furchtbar ist es, vor den Schranken eines bürgerlichen Gerichtes erscheinen zu müssen, wie der Marquis von Blandford wegen Drogenmissbrauchs, Scheckbetrugs und Verletzung der Unterhaltspflicht. In einem Land, in dem die Hälfte des täglichen Sprachgebrauchs aus "thank you" und "sorry" besteht, fällt die Verwilderung der Sitten besonders auf. Die "chattering class" ("schwätzende Mittelschicht") diskutiert eifrig den rapiden Verfall der "feinen englischen Art".

Die Klage um den aussterbenden Gentleman ist häufig eine Apologie der immer noch stark verankerten Klassengesellschaft, die ihre Privilegien mit exklusiven Privatschulen und Nobeluniversitäten verteidigt. Junge Aristokraten und begüterte Bürgersöhne verbreiteten den "Gentleman-Mythos" im 18. und 19. Jahrhundert bei ihren Kavalierstouren auf dem Kontinent. Anscheinend benahmen sie sich hier gesitteter als zu Hause.

Vor seinen rüden Ausfällen gegen eine Journalistin hätte Ernst August sich besser an den großen deutschen Sprachkünstler Georg Friedrich Lichtenberg erinnert, der wie er Hannoveraner und Brite war: "Höflichkeit ist wie ein Luftkissen. Es enthält zwar nichts, mildert aber die Stöße des Lebens". Freilich stimmt das im heutigen Großbritannien auch nicht mehr so ganz für die Sprache. Ungeniert taucht selbst in der "BBC" das obszöne "f***" auf, das zu den Lieblingsvokabeln des Prinzen gehört. In aristokratischen Kreisen ist es wegen der allgemeinen Verbreitung jedoch weiter verpönt und das populäre "f**-off" wird standesgemäß durch "naff off" ersetzt. Das entfuhr selbst einmal Prinzessin Anne, als sie sich von Reportern bedrängt fühlte. Die Königin allerdings drückte ihr Missfallen gegenüber dem Chefredakteur eines Massenblattes mit den Worten "Was für ein gewöhnlicher, kleiner Mann Sie sind" aus. Beleidigungen in den oberen Schichten werden jedoch lieber in eiskalte Höflichkeit oder ätzenden Sarkasmus gekleidet.

"Good day, Sir", ist eine messerscharfe Zurückweisung in allen Lebenslagen und dem Betroffenen bleibt nur übrig, sich verlegen davon zu stehlen. Unübertroffenes Vorbild für aristokratische Beleidigungen ist und bleibt jedoch Winston Churchill, Spross der Herzöge von Marlborough. Als ihn einmal Lady Astor anfuhr: "Wenn Sie mein Mann wären, würde ich Ihnen Gift in den Kaffee mischen," antwortete er "Madam, wenn ich mit Ihnen verheiratet wäre, würde ich ihn trinken". Ernst August könnte als britischer Aristokrat durchaus noch einiges dazulernen, was seinen Umgang in Deutschland erträglicher machte.

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