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Psychotherapeut Georg Pieper: "Die Opfer wollen einen Schuldigen"

Herr Pieper, die Besucher der Loveparade haben eine Extremsituation erlebt und müssen diese verarbeiten. Leiden die Menschen unter einem Trauma?

Die Bilder, die die Menschen in Duisburg sehen mussten, erfüllen auf jeden Fall die Kriterien eines Traumas. Das ist eine außergewöhnlich bedrohliche Situation, in der Menschen zu Tode kommen, man selber Todesangst hat oder ernsthafte Verletzungen erleiden muss. Danach können Menschen eine sogenannte posttraumatische Belastungsstörung oder eine Traumafolgestörung entwickeln.

Wie schwer wiegt der Umstand, dass Menschen bei ihrer Flucht über am Boden liegende Menschen steigen mussten?

Einige Menschen fühlen sich bei diesem Ereignis wie Täter. Sie machen sich dafür verantwortlich, dass sie etwas getan haben, was sie nicht wollten. Obwohl das letztlich irrationale Schuldgefühle sind, leiden die Betroffenen sehr darunter.

Die Stadt und die Organisatoren weisen sich gegenseitig die Schuld zu. Was bedeutet das für die Betroffenen?

Das macht die Betroffenen sehr wütend und hilflos. Wer so etwas erlebt hat, will einen Schuldigen haben. Er glaubt, dass er sich dann besser fühlen würde, auch wenn das meistens nicht der Fall ist. Für die Beruhigung dieser Situation wäre es also von Vorteil, wenn man bald Verantwortliche nennen könnte. Hat man diese gefunden, sollten die Verantwortlichen sich eindeutig entschuldigen, Fehler eingestehen und ihr Beileid bekunden.

Wie die Schuldzuweisungen gehen auch die Aussagen, was passiert ist, auseinander. Wie erleben die Betroffenen das?

Häufig gibt es viele Wahrheiten. Für die psychologische Aufarbeitung ist die subjektive Wahrheit entscheidend, Menschen sollten diese verarbeiten. Es hilft ihnen nichts, zu hören, dass es gar nicht so war, wie sie es erinnern. Andere Meinungen verunsichern die Menschen dann eher und bringen sie davon ab, sich mit ihren Eindrücken und ihrem individuellen Schmerz auseinanderzusetzen.

Kurz nach den Ereignissen kursierten Videos und Diskussionen im Internet. Wie sehen Sie diese virtuelle Aufarbeitung?

Positiv ist, dass über die Ereignisse geredet wird und dass Menschen so die Gelegenheit haben, über Dinge zu schreiben, mit denen sie alleine nicht klarkommen würden. Aber ich sehe es negativ, dass sich dadurch eine Art Sog, auch durch die Macht der negativen Bilder, entwickelt. Diesem Sog können sich junge Menschen oft nicht entziehen. Man kennt das von Nachahmungstaten. Wenn es sich um sehr schlimme Bilder handelt, haben diese möglicherweise schon an sich eine traumatisierende Wirkung. Die Macht der Bilder sollte man nicht unterschätzen.

Das Gespräch führte Katharina Kühn.

Zur Person

Georg Pieper ist Psychotherapeut und betreibt bei Marburg in Hessen eine Praxis für Traumabewältigung.

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