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Dicke Backe. Ein junger Mann in Sanaa kaut Qat-Blätter.

© Katharina Eglau

Qat: Jemen, ein Land unter Drogen

Die meisten Männer im Jemen kauen Qat – die Pflanze ruiniert die Gesundheit und die ganze Wirtschaft. Viele Männer bekommen Speiseröhrenkrebs, wegen der Pflanzenschutzmittel in den Qat-Blättern.

Sabri Taher weiß, was fremde Besucher gerne hören. „Besser als jede Flasche Champagner“ ruft er aus und gestikuliert einladend über seiner grünen Ware. Mit gekreuzten Beinen sitzt der 23-Jährige auf der Lagefläche seines Toyota Pick-Ups. Von Zeit zu Zeit raschelt er durch die kostbaren Blätterbüschel, die alle sorgfältig verpackt in kleinen Plastiktüten vor ihm liegen. Die Laune des Qat-Händlers kurz nach Mittag ist gut, die Hälfte ist bereits verkauft. Vier bis fünf Büschel der animierenden Kaublätter reichen als Tagesration. Mit 500 Stück kam er am Morgen hierher. Nach drei Stunden fährt er wieder heim – mit einem Tagesprofit zwischen 100 und 150 Dollar. Im Jemen ist er damit ein gemachter Mann.

Die Blätter der Pflanze Qat sind die Nationaldroge im Jemen

Das unbebaute Grundstück, wo die fliegenden Qat-Händler ihre Ware feilbieten, liegt im Herzen des Al-Asbahi-Neubauviertels von Sanaa. Rundherum gibt es Modegeschäfte, jede Menge frisch hochgezogener Wohnblocks, dazwischen ein „Hyper“-Kaufhaus und Restaurants. Bereitwillig sind Anwohner wie Hani Mushrif mit weitschweifigen Preisungen für die Vorzüge der Nationaldroge zur Hand. Der 35-Jährige ist Angestellter in einem Ministerium, will nicht sagen, in welchem. Kein Wunder, schließlich kauft er bereits mittags seine Qat-Ration für das gemütliche, nachmittägliche Kauritual „mit Arbeitskollegen und Geschwistern“ daheim, was in der Regel vier bis sechs Stunden dauert. Gemeinschaft stiften die narkotischen Blätter, schwärmt er. Sie sorgen für Familienfrieden, lindern Diabetes, erhöhen die Konzentration und beruhigen die Nerven.

Im Krebszentrum liegen die Patienten, die Qat gekaut haben

Was er nicht sagt, die Volksdroge hat dem Jemen auch die weltweit höchste Rate an Mund-, Speiseröhren- und Zungenkrebs beschert. Alle Kranken werden, wenn überhaupt, im Gumhouri-Hospital in Sanaa behandelt, dem einzigen Krebszentrum im Land. Mohamed Ahmed war Bäcker in einem Imbiss am Standrand von Sanaa. Vor neun Monaten begannen Probleme beim Schlucken, jetzt liegt der 47-Jährige mit Speiseröhrenkrebs im Endstadium auf Station. Die Decke hat er bis an den schmerzenden Hals gezogen, sechs Kinder hat er daheim, „Gott wird für sie sorgen“, murmelt er matt. Ein Zimmer weiter hängt Mohamed al Ansar am Tropf. Seit dem 15. Lebensjahr kaut er Qat, sein Heimatdorf ist zwei Stunden von Sanaa entfernt. Der junge Mohamed ist Bauer, wie seine Eltern und seine Brüder. „Qat kauen ist zuhause sozusagen Pflicht“, sagt er, dessen Familie selbst die lukrative Drogenpflanze anbaut und nach Sanaa liefert. Jetzt hat er kleine Beulen am Hals, der Mund ist geschwollen, seine Worte sind nur schwer verständlich.

Viele Arbeitsstunden gehen verloren, weil die Männer nicht arbeiten, sondern Qat kauen

90 Prozent aller Männer in Sanaa kauen nach Schätzungen der Weltbank Qat, im restlichen Land sind es drei Viertel. Auch der Anteil von Frauen und Jugendlichen steigt und steigt. Seit Jahrzehnten hält der bittere Drogensaft die Mehrheit der 23 Millionen Jemeniten in seinem Bann. 20 Millionen Arbeitsstunden gehen pro Tag verloren, hat ein Wissenschaftler ausgerechnet. Qat ist der einzige Wirtschaftszweig, der reibungslos funktioniert. Zwischen einem und 50 Dollar kostet eine Tagesration – und das in einem Land, wo mehr als die Hälfte der Einwohner weniger als zwei Dollar pro Tag zur Verfügung haben.

Der Krebs aber kommt nicht durch die Qat-Pflanze selbst, sondern durch die Pestizide und Insektizide, die die Bauern auf ihren Feldern ausbringen. Ahmed A. Shaman ist als einziger Krebsmediziner des Jemen bisher in die Anbaugebiete gefahren, hat die Feldarbeit untersucht. Der wissenschaftliche Pionier ist Generalsekretär der Nationalen Stiftung zur Krebskontrolle. „Niemand überwacht den Einsatz von Pestiziden“, sagt er. 90 Prozent der ausgebrachten Gifte seien international verboten. Manche der Befragten sprühten jede Woche, statt nur einmal alle zwei Monate. „Ich habe Bauern gesehen, die die toxische Brühe mit ihren bloßen Händen anrühren“, sagt er. Einige hatten sogar Karposi-Sarkome an den Armen, eine seltene Hautkrebsform. Daraufhin sei er in Schulen gegangen, erzählt Doktor Shaman, habe den Jugendlichen Krebs-Fotos gezeigt, um sie zu warnen und aufzuklären. Niemand habe ihn ernst genommen. „Sie haben mich nur ausgelacht und Witze über mich gemacht.“ Martin Gehlen

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