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Panorama: Riesenratten als Lebensretter

Von Wolfgang Hassenstein Die Afrikanische Riesenbeutelratte neigt zum Horten: Maiskörner zum Beispiel schiebt sie gerne erstmal in eine ihrer – namensgebenden – Backentaschen und versteckt sie später, entweder in einer Speisekammer ihres Baus oder aber irgendwo unterwegs. Damit sie die Vorräte bei Bedarf wiederfindet, hat die katzengroße Ratte eine extrem gute Nase.

Von Wolfgang Hassenstein

Die Afrikanische Riesenbeutelratte neigt zum Horten: Maiskörner zum Beispiel schiebt sie gerne erstmal in eine ihrer – namensgebenden – Backentaschen und versteckt sie später, entweder in einer Speisekammer ihres Baus oder aber irgendwo unterwegs. Damit sie die Vorräte bei Bedarf wiederfindet, hat die katzengroße Ratte eine extrem gute Nase. Sie speichert „Geruchslandkarten“ ab und findet selbst nach langer Zeit und bei veränderten Wetter- und Geruchsverhältnissen ihre Nahrungsverstecke wieder. Die Schnupper-Stärke ist nicht die einzige Eigenschaft, die Cricetomys gambianus zu einem perfekten Kandidaten macht, um dem Menschen bei einem der kniffligsten und riskantesten Jobs zu helfen: bei der Minensuche.

Belgische Forscher von der Universität Antwerpen testen derzeit in Tansania auf einem vom Militär zur Verfügung gestellten verminten Gelände die Fähigkeiten der von ihnen ausgebildeten Minensuch-Ratten, die sie zuvor nur unter Laborbedingungen „gearbeitet" hatten. Die Ergebnisse des Feldversuchs sind vielversprechend: Minen verschiedenster Bauart, in unterschiedlichen Tiefen (ohne Zünder) vergraben, wurden von den Riesennagern aufgespürt. „Die Ratten sind zwar langsamer als Hunde, aber zuverlässiger“, sagt Hendrik Ehlers, Gründer und Vorstand der Stiftung „Menschen gegen Minen“, die das Projekt unterstützt. „Und weil sie viel billiger und einfacher zu halten sind, kann man einfach mehr von ihnen einsetzen.“

Weltweit sind in mehr als 60 Ländern Millionen tückischer Anti-Personen-Minen vergraben. Etwa 30 000 Menschen werden Jahr für Jahr durch sie getötet oder verstümmelt, oft lange nachdem der militärische Konflikt beendet ist. Und bei der aufwendigen und gefährlichen Tätigkeit des Minenräumens setzte der Mensch – mit unterschiedlichem Erfolg – schon eine ganze Reihe von Tieren ein: Schweine und Mungos; Schmetterlinge, Bienen und sogar Kakerlaken.

Hunde schwächeln schnell

Und natürlich Hunde. Die klassischen Minenaufspürer leisten zwar bei zahlreichen Räumprogrammen gute Dienste – doch haben sie auch ihre Schwächen. So sind sie relativ krankheitsanfällig, was gerade im tropischen Afrika oft große Probleme macht. Außerdem ist die „Qualitätssicherung“ der Hundearbeit sehr aufwendig: Auch wenn sie ursprünglich auf den Geruch des Sprengstoffs TNT abgerichtet wurden, gewöhnen sie sich häufig an andere, intensivere Gerüche und reagieren auf andere Bestandteile bestimmter Minen, etwa Weichmacher im verarbeiteten Gummi. Die Folge: Minen abweichender Bauart gehen ihnen durch die Lappen. „Oft geht die Hälfte der Zeit durch die Kontrolle der Hunde verloren“, sagt Ehlers. „Bei den Ratten haben wir dieses Problem nicht. Wenn die einmal auf TNT abgerichtet sind, vergessen sie den Geruch nicht mehr. Die funktionieren nach einer Schwangerschaftspause so wie vorher.“

Für eine gute Arbeit bedarf es aber lohnender Anreize: Wenn eine zu schulende Ratte auf dem tansanischen Versuchsfeld eine der (zünderlosen) Minen findet und dies durch ein kurzes Scharren meldet, signalisiert der Trainer mit einem Knackfrosch, dass sie zu ihm kommen soll. Dann bekommt sie ein Maiskorn, das sie sich in die Backe schiebt, ein Stückchen Banane oder Avocado. Bei der Arbeit läuft die Ratte aber nicht kreuz und quer durchs Gelände, sondern geht – zwangsweise – mit System vor: Sie ist an einer sieben Meter breiten Achse angeleint, die auf Speichen steht, welche jeweils in 40 Zentimetern Abstand montiert sind. Hat die Kandidatin den Streifen abgesucht, wird die Achse auf das nächste Speichenpaar gerollt. Nach den Ergebnissen der belgischen Forscher durchsucht eine Ratte in 20 Minuten ein 140 Quadratmeter großes Gelände – mit einer Trefferquote von hundert Prozent, deutlich über allen Erwartungen.

Luft nur gepumpt

Auch bei der großflächigen Suche nach verminten Gebieten könnte Ratten eine große Zukunft bevorstehen. Eine südafrikanische Firma entwickelte eine Methode, die noch nicht ausgereift ist, aber große Chancen bietet: Die Luft über Verdachtsflächen wird mit einer Pumpe durch Filter gesogen. Die so gewonnene Probe kann über Tausende Kilometer verschickt und dann Sprengstoffspürhunden vorsetzt werden. So lässt sich die untersuchte Fläche vervielfachen und den Hunden werden strapaziöse Reisen erspart. Leider ist dieser revolutionäre Ansatz extrem teuer und aufwendig. Der Einsatz von Ratten könnte das ändern: Sie könnten in mobilen Laboren am Ort eingesetzt werden und in ihren Käfigen die Luftproben beschnuppern.

Der erste Riesenbeutelratten-Einsatz bei einer regulären Minenräumaktion ist von „Menschen gegen Minen“ (MgM) für den kommenden Herbst in Mosambik geplant. Die Stiftung unterhält in verschiedenen Ländern Afrikas mit öffentlichen Geldern und Spenden Räumprogramme, zudem finanziert sie die Entwicklung neuer Minensuch- und Räummethoden. In Mosambik organisiert sie seit dem vergangenen Jahr die Räumung eines verminten Gebiets entlang der Limpopo-Eisenbahnlinie von Mabalane nach Monte Alto – die wichtige Strecke in dem vom Krieg gezeichneten Land kann erst wieder in Betrieb genommen werden, wenn die Räumaktion erfolgreich beendet ist. Neben dem 52 Kilometer langen Schienenstrang liegen im Abstand von etwa 50 bis 100 Metern vier Reihen von Minengürteln.

Zunächst würden die Ratten aber auch dort auf ihre Zuverlässigkeit getestet. „Man wird sie erst nach den Hunden auf einen Geländestreifen lassen, die gefundenen Minen im Boden lassen und schauen, ob auch die Ratten die Minen finden“, sagt Ehlers. Wenn sich die Tiere bewähren, könnten ihnen viele Einsätze bervorstehen. Es ist zwar kein leichter Job – aber wohl immer noch angenehmer als die beiden anderen Nutzungsarten für Cricetomys gambianus. Auf den Internetseiten von Nager-Liebhabern wird die Art als Haustier angepriesen, das schon kurz nach Gefangennahme aus der Hand frisst. Und in vielen Ländern Afrikas gilt sie als Delikatesse.

Stiftung „Menschen gegen Minen“; www.mgm.org

Der Tagesspiegel

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