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Panorama: Schweizer Fernsehen zeigt Live-Besteigung ohne Mythen

Die vier Bergsteiger, die vor laufenden Kameras die Eiger-Nordwand durchsteigen, haben am Freitagnachmittag den Berg erklommen. Hunderttausende Fernsehzuschauer verfolgten, wie die drei Männer und eine Frau dem 3970 Meter hohen Gipfel langsam näherkamen.

Die vier Bergsteiger, die vor laufenden Kameras die Eiger-Nordwand durchsteigen, haben am Freitagnachmittag den Berg erklommen. Hunderttausende Fernsehzuschauer verfolgten, wie die drei Männer und eine Frau dem 3970 Meter hohen Gipfel langsam näherkamen.

Für Bergliebhaber ist die Eiger-Nordwand ein Mythos: 800 Meter hoch ist die Wand, jede wichtige Kletterstelle hat einen Namen, ist mit einem Drama verbunden. Wer sich für die Berge interessiert, kennt den Schwierigen Riss, den Hinterstoisser-Quergang, die Spinne, das Todesbiwak. Es gibt viele Eisfelder in den Alpen, aber Erstes, Zweites und Drittes Eisfeld liegen in der Eiger-Nordwand. Bücher wurden über die Wand geschrieben, Filme gedreht. Wer die Nordwand besteigen wolle, müsse "eine furchterregend Mythologie überwinden", schreibt der Amerikaner Jon Krakauer.

Mit diesem Mythos spielten die Fernsehmacher vom Schweizer Fernsehen DRS und vom Südwestrundfunk. Das Fernsehen sei ein voyeuristisches Medium, gab Kurt Schaad zu, der Verantwortliche beim Schweizer Fernsehen für die Eiger-Sendung. Vom Voyeurismus à la Reality-TV, wo die Zuschauer sich am Elend fremder Menschen weiden, konnte bei der Eiger-Live-Übertragung allerdings keine Rede sein. Eins-zu-Eins-Fernsehen nennen die Leute vom DRS ihr Konzept. So wie sie 18 Stunden lang live einen Arbeitstag auf einem Bauernhof übertragen, zeigen sie jetzt die Besteigung der Eiger-Nordwand. Ohne spektakuläre Schnitte lassen die Schweizer die Kameras einfach laufen.

Spektakulär ist dagegen die Technik der Sendung. Von zwölf verschiedenen Kamerastandorten in der Wand wird übertragen. Für die Kletterer wurden eigens lippenstiftgroße Kameras entwickelt, die am Kletterhelm befestigt sind, ebenso Mikrofone und Lautsprecher. Der Strom kommt aus Akkus, die die Bergsteiger im Rucksack mit sich tragen. Alles wird per Richtfunk zum Sendezentrum übertragen, das an der Bergstation des Skigebiets von Grindelwald und Wengen aufgebaut ist. Über die Kosten reden die Macher nicht gern, von umgerechnet rund zwei Millionen Mark ist die Rede.

Fünf Kilo wiegt die Zusatzausrüstung, die die Kletterer für die Übertragung im Rucksack tragen. Die vier, der 37-jährige Badener Ralf Dujmovits und seine Schweizer Kameraden, die 32-jährige Evelyne Binsack, der 33-jährige Hansruedi Gertsch und der 27-jährige Stephan Siegrist, lassen nicht erkennen, das ihnen das Zusatzgepäck Mühe bereitet. Berufsbergsteiger allesamt, haben sie sich so gut vorbereitet, dass sie mühelos durch die Wand klettern, mitunter geradezu laufen.

Von der Dramatik, die aus früheren Begehungen der Bergwand überliefert ist, scheint nichts auf. Den Schwierigen Riss überwinden sie mühelos. Den Hinterstoisser-Quergang passieren die Fernseh-Begeher ohne auch nur anzuhalten. Die ellenlange Querung des Zweiten Eisfeldes, steil wie ein Kirchturmdach, wirkt fast wie eine gemütliche Gletscherwanderung. Kein eisiger Höhensturm, kein Gewitter. Die Sonne brennt vom Himmel, schönstes Spätsommerwetter. Sonst gäbe es auch keine Fernsehübertragung.

Man wolle zeigen, wie Bergsteigen wirklich ist, hatte Sendeleiter Kurt Schaad gesagt. Aber was ist Bergsteigen wirklich? Warum Menschen immer wieder in die Berge gehen, hat noch niemand befriedigend erklärt. Die Eiger-Live-Besteigung macht da keine Ausnahme. Sie zeigt die Technik, die nötig ist und heute reichlich zu Gebote steht. Das macht die Fernseh-Dokumentation perfekt - und macht die Besteigung damit ein Stück weit banal. Der Mythos Eiger-Nordwand zerbröselt vor der Live-Kamera.

Jörg Buteweg

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