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Panorama: "Sonnennebel": Freddy, der Taubenzüchter

"Ich wünschte, das Leben würde endlich anfangen". Freddy ist fünfzehn.

"Ich wünschte, das Leben würde endlich anfangen". Freddy ist fünfzehn. Kein Kind mehr, aber eben auch noch nicht erwachsen. Der Waisenjunge wächst Mitte der fünfziger Jahre bei seiner Tante Emma auf. In Rheinkamp, einem kleinen Ort am Rande des Ruhrgebietes, wo alles eng und muffig ist, wo es vorkommt, dass es sogar katholisch riecht. Und die bedrückende Enge des Dorfes spielt sich auch in den Köpfen der Menschen ab. Man achtet neugierig aufeinander, sieht, wer kommt und geht. Selbst dickste Mauern scheinen hellhörig zu sein und der Alltag ist immer noch geprägt vom Krieg und von der Nazivergangenheit des Ortes. Freddy besucht das Gymnasium und er ist mit Leidenschaft Brieftaubenzüchter. Das immerhin bringt ihm einige Anerkennung in seinem Umfeld. Ansonsten ist Freddy eher ein Außenseiter, der mit Autoritäten wie Lehrern und Polizisten so seine Schwierigkeiten hat. Immer wieder bekommt er zu spüren, wie schwer es sein kann, sich selbst zu behaupten.

Hermann Schulz beherrscht die Kunst des Erzählens. Er hat ein Buch geschrieben über das Leben zwischen Nachkriegszeit und Wirtschaftswunder, über Freundschaft und die erste Liebe. Einfühlsam und doch spannend schildert er die Ängste und Zweifel, die Sehnsucht und die Hoffnungen in dieser schwierigen Zeit des Erwachsenwerdens. Auch als die Liebe ins Spiel kommt - Freddy verliebt sich in Cornelia, ein Mädchen, das er aus der Schule kennt - zeigt er ein feines Gespür für die Gefühlswelt der Jugendlichen. Zugleich erzählt Hermann Schulz mal beiläufig, mal direkt viele kleine Geschichten und macht so vertraut mit den Lebensbedingungen in der Zeit nach dem Krieg. Dem Mief, dem Misstrauen, den Nazidünkeln. "Wir müssen damit wohl oder übel noch eine Weile leben, auch wenn es manchmal schwer fällt".

"Wie stellt man das an? Eine Weibergeschichte, meine ich." Freddy möchte alles verstehen, vor allem die Liebe. Und hat dabei doch ständig Angst, die Orientierung zu verlieren. "Das Bild von dem, was eines Tages sein könnte und was er erhoffte, rückte immer weiter fort in einen dichten Nebel." Ganz so wie es den Tauben bei Sonnennebel ergeht. Im Sonnennebel, dann wenn morgens die Sonne aufgeht, während die Erde noch nebelbedeckt ist, verlieren die Tauben leicht die Orientierung und finden vielleicht nie wieder zu ihrem Schlag zurück.

Am Ende des Buches wird Freddy sechzehn Jahre alt und man spürt, was Fritz, Freddys erwachsener Taubenzüchter-Freund schon immer wusste: Freddy hat das Zeug dazu, seinen eigenen Weg zu finden. Ein Buch für Jugendliche in Freddys Alter, aber auch Erwachsene, die in den fünfziger Jahren aufwuchsen, werden es gerne zur Hand nehmen und sich lesend, vielleicht auch erzählend an die Zeit ihrer eigenen Kindheit erinnern.

Margit Lesemann

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