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Panorama: Verteidiger sehen verminderte Schuldfähigkeit und sprechen von "vorsätzlichem Vollrausch"

Das Opfer verlor bei der Attacke ein Auge und wird wohl geistig behindert bleibenMarkus Hesselmann Fünf Liter Bier, eine halbe Flasche Wein und Schnäpse sollen den Hauptangeklagten vor einer Verurteilung wegen versuchten Mordes bewahren. André Z.

Von Markus Hesselmann

Das Opfer verlor bei der Attacke ein Auge und wird wohl geistig behindert bleibenMarkus Hesselmann

Fünf Liter Bier, eine halbe Flasche Wein und Schnäpse sollen den Hauptangeklagten vor einer Verurteilung wegen versuchten Mordes bewahren. André Z. sitzt da und blickt ins Leere, während seine Verteidiger in zweieinhalbstündigen Plädoyers versuchen, ihn im Essener Hooligan-Prozess vor einer langen Gefängnisstrafe zu retten. Um die drei Promille soll André Z. im Blut gehabt haben und deshalb vermindert schuldfähig gewesen sein, als er während der Fußball-Weltmeisterschaft in Frankreich mit einem Gegenstand auf den am Boden liegenden Gendarmen Daniel Nivel einschlug.

Der Gelsenkirchener ist der einzige der vier Angeklagten, bei dem die Staatsanwaltschaft vor dem Essener Landgericht den Vorwurf des versuchten Mordes aufrecht erhält. 14 Jahre Haft hat die Anklage beantragt. Gegen Tobias R. aus Hamburg, Frank R. aus Gelsenkirchen und Christopher R. aus der Berliner Fanszene stand ohnehin nur noch gefährliche Körperverletzung mit Strafen zwischen sechs und acht Jahren im Raum. Die Nebenklage, vertreten durch die Frau Daniel Nivels, der bei der Attacke ein Auge verlor und zudem wohl geistig behindert bleiben wird, hatte allerdings auf gemeinschaftlich versuchten Mord plädiert.

Es muss eine merkwürdige Stimmung im Auto geherrscht haben, in dem André Z. und zwei Freunde spontan zum Spiel zwischen Deutschland und Jugoslawien fuhren. Z. war gerade durch seine Prüfung zum Industriekaufmann gefallen und trauerte um seine Großmutter. Einer seiner Freunde hatte ein Gipsbein. "Das zeigt doch schon, dass diese Gruppe nicht auf Randale aus war", sagt der Verteidiger. In Lens sei Z., dem es nicht gelungen war, vor Ort noch eine Karte für das ausverkaufte Spiel zu ergattern, in die Randale hineingezogen worden. Er sei schon betrunken in Frankreich angekommen, habe dann in einem Bistro noch nachgelegt und sei schließlich in einer Grünanlage eingeschlafen. Der Lärm des Krawalls habe ihn geweckt und er sei in der Gruppe mitgelaufen. Mit einer Flasche will er dann auf den Oberkörper des bereits in seinem Blute liegenden Gendarmen geschlagen haben. Schläge auf den Kopf von der Hand ihres Mandanten seien auch weder durch die Fotos anderer Hooligans, noch durch Zeugenaussagen zweifelsfrei belegt, betonte die Verteidigung.

Aus der zwischenzeitlichen Defensive in diesem nun ein halbes Jahr dauernden Prozesses brachte die Verteidigung auch der Meineid eines wichtigen Belastungszeugen, der Z. auf einem Foto als Haupttäter identifiziert hatte. Der nun kaum noch glaubwürdige Zeuge, ein Mitarbeiter des Schalker Fanprojekts, hatte behauptet, Z. habe ihm vor der Fahrt nach Lens sein Herz ausgeschüttet. Er habe Angst, jemandem etwas Schlimmes anzutun. Tatsächlich war Z. aber schon kurz nach seiner Prüfung in Richtung Lens aufgebrochen und hatte somit gar nicht die Zeit zu einem solchen Gespräch.

Die Verteidigung plädierte gestern auf vorsätzlichen Vollrausch vor dem Hintergrund der gefährlichen Körperverletzung. "Er hat gewusst, dass er sich in ein gefährliches Umfeld begibt und welche Folgen ein Rausch dort haben kann", räumte sein Anwalt ein. "Doch die Tat geschah im Affekt, in stark alkoholisiertem Zustand." Jetzt hofft Z., mit fünf Jahren Gefängnis davonzukommen. Mangels Blutprobe kann sich die Verteidigung dabei allerdings nur auf die Aussagen Z.s und seiner Freunde stützen. Das Urteil wird für den 9. November erwartet. © 1999

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