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© Kitty Kleist-Heinrich / Montage: Thomas Mika

Krisenkinder: Was hat die Krise mit mir zu tun?

Die Weltwirtschaft bricht zusammen, die Jobperspektiven sind schlecht – die Partys dafür umso besser

Im Herbst glaubte ich noch: Die Krise findet nur in meinem Computer statt. Fuhr man den Rechner hoch, schwappte sie für ein paar Minuten in mein Leben. In Amerika, weit weg, gingen Banken pleite und auch ein paar Konzerne. Bald, so hieß es, werden auch wir in Deutschland die Krise fühlen. Ich fühlte nichts. Was auf dem Bildschirm passierte, ließ einen unruhig auf dem Schreibtischsessel hin und her rutschen. Gleichzeitig hatte man aber das Gefühl, die Krise zähmen zu können. Man musste ja nur den Laptop zuklappen. Der Fernseher in meiner WG war schon lange kaputt, niemand machte Anstalten, ihn zu reparieren.

Anfangs existierte die Krise nur in meinem Laptop - den konnte ich zuklappen

Im Winter haben wir auch die Tageszeitung abbestellt, mit der Begründung: Wirtschaftskrise. Es war nicht einmal gelogen. An unserem Geldbeutel merkten wir die Flaute nicht. Wir hatten aber keine Lust, über sie zu lesen. Es ist, als hätten wir alle Luken dicht gemacht, durch die die Krise in unser Leben dringen könnte. Dem Dax ging es nicht gut, uns schon. Oder, genauer: Uns ging es nicht anders als vorher. Wir waren wie immer ständig pleite und hatten trotzdem Geld für schöne Dinge. Nur Medien gehörten nicht mehr in diese Kategorie, da stand selten Schönes drin.

Im Frühling klappte das Versteckspiel nicht mehr. Ich machte ein Praktikum in der Politikredaktion einer großen Zeitung und musste, gekettet an Agenturticker, fast in Echtzeit mitlesen, wie Opel pleiteging und Adolf Merckle sich umbrachte. Mit jedem Neuladen der Nachrichtenseiten sah die Welt ein bisschen schlimmer aus. F-5-Taste drücken – Seite aktualisieren – „Tausende Arbeitsplätze bedroht“. F5 – „Tiefe Rezession in Deutschland“. F5 – „Das Bruttoinlandsprodukt stürzt ab“. Manchmal glaubte ich: Wenn man die Aktualisierungstaste ein paar Mal zu oft betätigt, bricht die gesamte Wirtschaftsordnung zusammen. Es war keine schöne Zeit.

Von 10 bis 18 Uhr, fünf Tage die Woche gab es Krise. Die geballte Ladung. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich morgens Mühe, aus dem Bett zu kommen und fing an, mich vor jedem Montag zu fürchten, vor F5F5F5F5 und Agenturticker. Schon am ersten Tag meines Praktikums hatte ich festgestellt, dass ich weder für Politik gemacht war, noch für tagesaktuellen Journalismus. Aufhören kam aber nicht infrage. Jetzt erst recht nicht! Die Krisenmeldungen peitschten an: Bleib dran, sonst bleibst du auf der Strecke. Also blieb ich dran, versuchte mit anderen Praktikanten mitzuhalten und fing schon vor der Morgenkonferenz an, mich auf die Mittagspause zu freuen. Ständig suchte mich das schlechte Gewissen heim: Die Redaktion war toll, die Kollegen nett zu mir – und ich so undankbar! Ich müsste froh sein über diese Chance. Über dieses Kronjuwel in meinem Lebenslauf. Über die nächste Stufe auf der Praktikumsleiter zu… was eigentlich?

Für eine meiner Mitpraktikantinnen war es die elfte Redaktion. Ich las ihren prall gefüllten Lebenslauf mit großen Augen. Wie sie die bloß untergebracht hatte, zwischen Studium, ehrenamtlichem Engagement und einem Auslandssemester in Südamerika? Ach, das habe ihr nicht viel ausgemacht, hat sie in der Kantine erzählt. Praktika seien ja auch Spaß, irgendwie. Sie wisse sowieso nicht, was sie sonst mit viel zu langen Semesterferien anfangen solle. Ich wusste es sehr wohl, beschloss aber seitdem, mich mehr ranzuhalten. Die Konkurrenz schläft nicht! Wenn alle 20 Praktika machen, mache ich 21! Man muss es nur so hindrehen, dass sie sich nach Freizeit anfühlen. Die andere Praktikantin glaubte anscheinend von Herzen an diese Maxime und kam stets mit blendender Laune zur Arbeit. Nur am letzten Arbeitstag, in der U-Bahn nach Hause, wurde ihr Blick plötzlich müde. Einen Job habe sie immer noch nicht in Sicht. Eigentlich wäre es höchste Zeit, mit Ende Zwanzig.

Zwölf Praktika und immer noch kein fester Job in Sicht. Wie deprimierend

Im Juli trat die Mitpraktikantin ihre zwölfte Hospitanz an. Und ich hatte es plötzlich schwarz auf weiß: Ich bin ein Krisenkind. „Der Spiegel“ hat es mir erzählt. Ich bin gut ausgebildet und chancenlos, individualistisch, pragmatisch und ohne Visionen. Und ich solle mich für die Zukunft auf prekäre Arbeitsverhältnisse einstellen und auf ein Leben, in dem Inkonstanz die einzige Konstante ist. Seit der Titelgeschichte wurde die Krise smalltalkkompatibel. „Und, spürst du schon was?“, fragte man jetzt auf Partys, nach zwei, drei Bier. Nicht wirklich, sagten die meisten. Manche erzählten aber von Eltern, die die Gürtel enger schnallen mussten, von verpufften Studienanlagen und Praktikumsplätzen, die wegen Insolvenzen gestrichen wurden. Die, die es richtig erwischt hat, redeten selten mit. Oder gingen nicht mehr auf Partys.

Überraschenderweise wird nicht weniger gefeiert seit der Krise. Die Schlangen vor den Clubs haben sich ein wenig gelichtet, dafür hat man das Gefühl, dass die Partys heftiger, kompromissloser geworden sind. Während die einen aus Angst erst recht ranklotzen, feiern andere, als gäbe es kein Morgen – vielleicht, weil es ihn wirklich nicht gibt, vielleicht aber auch, weil sie plötzlich begreifen, dass es im Leben noch andere Dinge gibt, als ranzuklotzen. In der Wucht der Krise liegt auch etwas Befreiendes: Es wird uns sowieso nicht gut gehen später, also kann man aufhören, zu strampeln.

Plötzlich sind andere Dinge wichtig geworden: In meiner krisensicher verplombten WG wird plötzlich wieder gemeinsam gekocht. Und mein Mitbewohner, der BWL studiert, hat sein Sommerpraktikum gegen einen Ostseeurlaub mit seiner Freundin eingetauscht. Er hat eine Kosten-Nutzen-Rechnung gemacht und festgestellt: Lohnt sich nicht. „Der Spiegel“ sagt: 88 Prozent von uns haben schon Praktika absolviert, 20 Prozent fünf oder mehr. Ein straffer Lebenslauf ist also kein Alleinstellungsmerkmal auf dem Arbeitsmarkt, im Gegenteil.

Die Zukunft sieht düster aus. In den Clubs feiern wir um so heftiger

Neulich kamen dann neue Zahlen zur Krise: Wie eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes belegt, ist die Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen rund dreimal so stark gestiegen wie im Durchschnitt aller Altersklassen, die Lehrstellen sind zurückgegangen, Übernahmen auch. Ich las die Zahlen auf meinem Computerbildschirm mit einer seltsamen Ruhe. Natürlich jagten sie Angst ein. Diesmal waren sie aber auch eine Art Freibrief für einen entspannten Sommer. Wenn die Welt wackelt, kann dich kein weiteres Praktikum gegen die Zukunftsangst versichern. Und wenn es kein Patentrezept gegen das Scheitern gibt, dann kann man alles tun, wonach das Herz strebt: Größenwahnsinniges wagen. Oder eben nichts tun. Die Wahrscheinlichkeit, dass man scheitert, ist gleich groß – aber wenigstens hat man dabei Spaß gehabt. Irgendwie werden wir unseren Weg im Leben schon finden.

Noch lang leuchteten die Zahlen gespenstisch auf meinem Bildschirm. Wieder kroch die Krise aus dem Computer in mein Leben. Diesmal habe ich meinen Laptop aber nicht gleich zugeklappt. Ich musste bei Ebay noch ein Zelt kaufen, für den Sommerurlaub.

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