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Panorama: Wie sicher ist der ICE?

Die Bahn verschreibt den ICEs ein Tempolimit.Die Renner müssen bis zur Klärung der Unglücksursache ihre Fahrt auf 160 Kilometer pro Stunde drosseln.

Die Bahn verschreibt den ICEs ein Tempolimit.Die Renner müssen bis zur Klärung der Unglücksursache ihre Fahrt auf 160 Kilometer pro Stunde drosseln.Dies ist natürlich kein Eingeständnis, daß der Renner technische Macken hat - bisher hat er ja, die Kilometer aller Garnituren addiert, viele Millionen unfallfrei zurückgelegt.

Eine 44köpfige Sonderkommission wird die Unglücksursache untersuchen und auch den Fahrtenschreiber des Zuges auswerten.Denn jeder ICE besitzt eine "Black Box" wie ein Flugzeug.Dieser Schreiber zeichnet eine Vielzahl von Daten auf.Darunter alle Geschwindigkeiten, die der Zug fährt, Tempobegrenzungen und sonstige Anweisungen, die der Zug per "Indusi" bekommt.Das ist die "Induktive Zugbeeinflussung" über ein auf den Schwellen verlegtes Kabel.

Zusätzlich besitzt der ICE ein elektronisches Diagnosesystem "David", das Störungen und Fehler erkennt und noch während der Fahrt an das Betriebswerk quasi vorausschickt.Dort wissen die Experten dann schon bei der Ankunft des Zuges Bescheid, an welcher Stelle welcher Mangel verborgen sein könnte.Hätte jedoch ein sicherheitsrelevanter Mangel vorgelegen, hätte die Elektronik den Zug schon in Hannover nicht mehr abfahren lassen.

Der Lokführer auf einem ICE hat längst nicht mehr die Entscheidungsfreiheit wie früher - dennoch darf er höchstens fünfeinhalb Stunden am Stück fahren.Eine Gefahr durch Arbeitsüberlastung sieht die Bahn daher als ausgeschlossen an.Zudem wird der Lokführer nicht nur ständig elektronisch überwacht - die Elektronik greift ihm sogar bei einem Fehler sofort ins Steuer.

Denn der Zug empfängt nicht nur durch die Kabel zwischen den Gleisen Informationen, er sendet auch ständig Daten: Alle wichtigen Informationen aus dem Führerstand laufen ständig in der regionalen Betriebsleitzentrale ein.Auf einem Monitor kann der Lokführer die nächsten zehn Kilometer Strecke übersehen: Kommen Kurven, was zeigen die Signale, sind andere Züge unterwegs? Überschreitet der Lokführer die von der Zentrale aktuell zugelassene Höchstgeschwindigkeit, wird er sofort zur Drosselung des Tempos aufgefordert.Reagiert er nicht binnen Sekunden, wird der ICE vollautomatisch zum Stehen gebracht.Überfährt der Lokführer ein Signal oder reagiert er nicht auf die Präsenzkontrolle, die sogenannte Sicherheitsfahrschaltung (Sifa), bremst der Zug ebenfalls automatisch; die Zentrale wird zudem über den Ort einer Vollbremsung informiert.

Nur die Ursache kann sie nicht sofort sehen: Eine Vollbremsung wegen Geschwindigkeitsüberschreitung? Ein Unfall? Über Zugfunk fragt die Zentrale den Lokführer oder, wenn dieser nicht antwortet, einen der vier ICE-Zugbegleiter oder das Restaurantpersonal, was los ist.Bleibt eine Antwort aus oder ist ein Unfall bestätigt, rast der Notfallmanager los.

Am Mittwoch war es für fast 100 Fahrgäste des ICE 884 da zu spät.Der Bahnkenner Karlheinz Rößler vom Münchner Verkehrsexpertenbüro Vieregg-Rößler-Bohm forderte deshalb gestern, daß die Bahn sich jetzt darauf konzentrieren solle, die Folgen bei Zusammenstößen oder Entgleisungen zu minimieren."Beim Auto ist es genau umgekehrt, da hat man das Thema Vermeidung vernachlässigt und mit Crash-Tests, Airbags und Sicherheitsgurten viel für die Verringerung der Unfallfolgen getan", sagte Rößler.Einen Crashtest - jeder Kleinwagen wird zigmal frontal gegen eine Wand gefahren - hat die Bahn ihrem ICE noch nie zugemutet.

Dazu hatte es in den vergangenen Jahren auch keinen Anlaß gegeben.Die Hochgeschwindigkeitszüge liefen einmalig gleichmäßig und sicher über die deutschen Gleise - schwerere Unfälle gab es nur einmal.Im März 1993 entgleiste im Bahnhof von Hanau ein ICE bei Tempo 60, als eine Weiche unter dem Zug gestellt wurde.Kein Fahrgast wurde verletzt.Vergessen ist die Pleiten-Pech-und-Pannen-Serie, mit der der Zug im Sommer 1991 gestartet war.Eine Vielzahl an Ausfällen und Verspätungen brachten den Zug damals schwer in Verruf - was sicher heute noch die Exportchancen mindert.So mußte die Bundesbahn zwischen Herbst 1992 bis Frühjahr 1993 an allen Garnituren die Motoren ausbauen und überprüfen, nachdem ein Zug auf offener Strecke liegengeblieben war.Zudem hatte man bei regulären Wartungsarbeiten Schäden an den Motoren entdeckt.

Davor hatte es diverse andere Mängel gegeben: undichte Türen, defekte Klimaanlagen, Unwuchten der Räder, kaputte Wasserpumpen in den Klos.Nach einem Jahr Betrieb hatten die grauweißen Züge einen verheerenden Ruf eingefahren.

Letztlich setzte sich das Konzept der Bundesbahn jedoch durch, "halb so schnell wie das Flugzeug, doppelt so schnell wie die Bahn".Die Deutsche Bahn AG fährt heute schon deutlich mehr als ein Drittel ihres Fernverkehr-Umsatzes mit dem ICE ein.

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JÖRN HASSELMANN

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