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Panorama: Winken für die Welt

Heute wird das Maskottchen der Fußball-WM 2006 vorgestellt – eine Kulturgeschichte

Auf den ersten Blick wirken sie nur wie ein paar Comicfiguren, die dem Vormittagsprogramm der Fernsehsender entsprungen sind. Die „Sendung mit der Maus“, Lucky Luke und die Teletubbies – dazwischen könnten sie herumturnen: Willie, Junito, Tip und Tap. Dabei sind sie nicht weniger als Symbole des Zeitgeschmacks, manchmal sogar Symbole für ein ganzes Land: die Maskottchen der Fußball-Weltmeisterschaften.

Alle vier Jahre wird uns eine neue herzige Comicfigur angeboten. Eine neue Idee von Kunst und Design konnten die Fußball-Maskottchen bisher allerdings nicht hervorbringen, nur immer ein weitere anschmiegsame Niedlichkeit des Zeitkitsches. Auch heute könnte das wohl so sein, wenn in Leipzig bei der ZDF-Sendung „Wetten, dass …?“ das Maskottchen für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland vorgestellt wird. Im Abendprogramm.

Maskottchen für Fußballturniere gibt es noch gar nicht lange. Erst zehn Figuren sind für Weltmeisterschaften erfunden worden, der oder die Neue – Wie soll es eigentlich heißen? – wird heute die elfte Figur werden. Hoffentlich gerät das deutsche Wesen nicht so schnell in Vergessenheit wie manch anderes niedliches Getier, an das hier noch einmal erinnert werden soll.

Der Löwe Willie war 1966 das erste Symbol, und er war dafür eine Idealbesetzung. Die Fußball-Weltmeisterschaft fand damals in England statt, im Mutterland des Fußballspiels, und Willie war ein Name, den jeder auf der Welt aussprechen konnte. Die stilistische Umsetzung war keineswegs anspruchslos, sie ließ schon etwas von der Pop-Art spüren, die zwei Jahre später in dem Beatles-Film „Yellow Submarine“ ihren animierten Höhepunkt erreichen sollte. Irgendwie war Willie schon erwachsen.

In Lateinamerika dagegen hatten die Maskottchen meist noch Windeln an. Junito, der Junge mit dem runden Sombrero auf dem Kopf und den dicken Wangen im Gesicht, repräsentierte 1970 das Turnier in Mexiko. Acht Jahre später in Argentinien war wieder ein kleines Kind der Werbeträger für das Großereignis. Gauchito hieß der freche Kerl, der einen Hirtenhut und ein gelbes Halstuch trug und eine Lederpeitsche in der linken Hand hatte. Ein Junge zum Kuscheln war er zwar noch, aber schon ein bisschen mehr Macho als sein mexikanischer Spielkamerad.

Meist sind Maskottchen kinderfreundlich. Vielleicht muss das so sein wegen der Fröhlichkeit, die mit ihnen vermarktet werden soll. Vielleicht kann auch die Erfindung einer Figur, die ein Weltereignis symbolisieren soll, nur natürlich und authentisch sein, wenn sie selbst eine Art Naturereignis ist. Maskottchen sehen deshalb meist etwas naiv aus.

So wie Tip und Tap. Die rotbäckigen HB-Männchen wurden vom Grafiker Horst Schäfer entworfen, seit der Fußball-WM 1974 in Deutschland winken sie immer noch von vielen T-Shirts in deutschen Kleiderschränken. Tip und Tap waren fröhliche Kumpels, saubere Straßenkicker. Leider hatten sie keine Koteletten und kein Minipli, wie es damals in Europa üblich war. Sie sollten wohl irgendwie den Eindruck von Reinheit erwecken. Ihr Lachen und Winken zeigte der ganzen Welt: Wir Deutsche sind harmlos. Und uns Deutschen zeigte es: Das fröhliche Wunder von Bern lebt.

In den achtziger Jahren wurde die Erfindung der Maskottchen mehr und mehr zu einem Spiel der Formen. Spanien machte 1982 mit einer dicken bunten Orange auf sich aufmerksam, deren Name Naranjito jedoch nicht so einfach zu verstehen war wie ihr sonniges Erscheinungsbild. Ebenfalls schwer zu verstehen für viele Mitteleuropäer war zunächst der Name Pique, er gehörte dem Symbol der WM 1986 in Mexiko. Hier legten die Designer Wert auf eine schmale, lange Form. Das Kaktusmännchen mit dem spitzen Sombrero konnte auch ein Finalspiel bei 40 Grad durchleben, ohne einen Sonnenstich zu bekommen. Irgendwie aber war Mexikos zweites Maskottchen uninspirierter als das erste, es hätte auch als Werbebanner für eine Tortillabude herhalten können.

Natürlich wäre es – gerade aus Sicht eines Designers – wünschenswert, wenn viele Fußball-Maskottchen mehr Einfallsreichtum und Originalität ausstrahlen würden. Sollte es allerdings darum gehen, solch ein neues Wesen zu entwerfen, dann würde ich nie Designer mit so einer Aufgabe behelligen. Die Gefahr wäre einfach groß, dass vollkommen herzlose Objekte dabei herauskommen – wie Ciao, das Pommesmännchen für die WM 1990 in Italien. Immerhin, bis heute kann sich jeder an die kantig-bunte Mischung aus italienischem Grenzbarken und Pinocchio erinnern. Der Versuch der italienischen Designer, aus dem Kuscheltier-Raster auszubrechen, wurde immerhin mit bleibender Erinnerung belohnt. Aber schön anzusehen war das Ding wirklich nicht.

Über die jüngsten Maskottchen braucht man nicht mehr viele Worte zu verlieren. Striker, der Hund aus den USA, sah so aus, als sei er auf der ganzen Welt zu Hause. Aber mit den USA und der ersten Weltmeisterschaft in der Diaspora des Fußballs hatte er eigentlich nichts zu tun. Footix, der gallische Hahn der Franzosen, war genauso ehrlich wie einst der englische Löwe – aber hatte er auch wirklich Ausstrahlung? Etwas Überraschendes gelang erst wieder den Asiaten 2002 mit den drei Figuren Nik, Ato und Kaz. Die WM-Macher aus Südkorea und Japan gaben damals bekannt, sie wollten mit den drei Figuren „Einheit, Harmonie und Kooperation“ darstellen. Doch mit den hektisch lachenden Männchen zeigten sie wohl eher die Aufgeregtheit der digitalen Welt auf.

Maskottchen sind Gegenwart. Sie zeigen den Geschmack einer Generation, wenn sie ihn auch nicht immer genau treffen können. Erstaunlich ist, dass bei den bisherigen Figuren das Wissen von Gegenwartskünstlern wenig berücksichtigt worden ist. Natürlich schaffen auch Designer natürliche, authentische Maskottchen, aber Künstler sind dennoch wesentlich einfallsreicher und eigenständiger als viele von den Fußballverbänden beauftragten Designbüros. Jörg Immendorf etwa hat maskottchentaugliche Wesen entwickelt wie den trinkenden Affen für die Düsseldorfer Strandbar Monkey Island. Auch der katalanische Illustrator Javier Mariscal konnte auf sich aufmerksam machen, als er mit seinem Cobi, einem lachenden Hund mit Strichmund, das Symbol für die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona schuf.

Künstler würden sich nicht mit vorherrschenden Sehgewohnheiten oder Vermarktungsregeln aufhalten. Ihre Maskottchen wären eher eine Inspiration denn eine weitere Verniedlichung des Zeitkitsches. Sie hätten wohl noch eine eigene künstlerische Idee und wären kein bloßer Abklatsch. Abgesehen davon hätten Künstler bei einer solchen Aufgabe einen großen Vorteil gegenüber vielen Kollegen aus dem Design: Sie gehen gerne ins Stadion und spielen gerne Fußball.

Klaus Hesse ist Professor an der Hochschule für Gestaltung Offenbach. Er wurde zuletzt bekannt mit einer Initiative, die alternative Logos für die Fußball-WM 2006 entwarf.

Aufgezeichnet von Robert Ide.

Klaus Hesse

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