zum Hauptinhalt
Helfer suchen in den Trümmern eines Wohnblocks in Kahramanmaras (Türkei) nach Verschütteten.

© dpa / Boris Roessler

Über 30.000 Tote nach Erdbeben: Sieben Monate altes Baby nach 140 Stunden aus Trümmern gerettet

Die Hilfseinsätze in der Türkei und Syrien gleichen einem Wettlauf gegen die Zeit. Für die Region Syrien beklagt die UNO ein internationales „Versagen“.

| Update:

Sechs Tage nach dem verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist ein sieben Monate altes Baby in der Südosttürkei aus den Trümmern gerettet worden. Die Helfer konnten den Jungen in der Provinz Hatay nach 140 Stunden lebend aus den Trümmern bergen, wie der Staatssender TRT berichtete.

Sie hätten das Kind weinen gehört und seien so auf es aufmerksam geworden. Ein 35-Jähriger wurde nach Angaben des Senders in derselben Provinz am Sonntagmorgen nach 149 Stunden unter Trümmern gerettet.

UNO kritisiert internationales „Versagen“ in Syrien

Bei der Lieferung von Hilfsgütern in die betroffenen syrischen Regionen beklagt die UNO internationales „Versagen“. Die Betroffenen fühlten sich „zurecht“ alleine gelassen, schrieb UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths am Sonntag im Kurzbotschaftendienst Twitter.

„Wir haben die Menschen im Nordwesten Syriens bisher im Stich gelassen“, schrieb Griffiths weiter. Es sei seine Pflicht, dies schnellstmöglich zu verbessern.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Ein UN-Konvoi aus zehn Lastwagen mit Hilfsgütern hatte Syrien am Donnerstag über die Türkei erreicht. Griffiths erklärte aber, es sei noch viel mehr Hilfe nötig.

Am Freitag hatte bereits die syrische Hilfsorganisation Weißhelme der UNO Versagen bei der Erdbebenhilfe vorgeworfen und von einem „Verbrechen“ an den betroffenen Menschen gesprochen.

Die Flagge der Vereinten Nationen ist verkehrt herum auf ein zerstörtes Gebäude in Sarmada: (Syrien) gemalt, um auf das Ausbleiben von Hilfe durch die Organisation hinzuweisen.
Die Flagge der Vereinten Nationen ist verkehrt herum auf ein zerstörtes Gebäude in Sarmada: (Syrien) gemalt, um auf das Ausbleiben von Hilfe durch die Organisation hinzuweisen.

© dpa/Anas Alkharboutli

Nach UN-Schätzungen könnten alleine in Syrien bis zu 5,3 Millionen Menschen durch das Beben obdachlos geworden sein. In vielen Gebieten fehlten Rettungsteams nach eigenen Angaben Sensoren und andere moderne Suchgeräte, so dass sie häufig mit Schaufeln oder mit bloßen Händen in den Trümmern suchen mussten.

Von der Leyen sagt Erdogan weitere Erdbebenhilfe zu

Für die Türkei mobilisiert die EU angesichts der verheerenden Folgen des Erdbebens zusätzliche Hilfe. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Sonntag in einem Telefonat die Lieferung von weiteren Zelten, Decken und Heizvorrichtungen zu.

Eine Frau umarmt in Adiyaman (Türkei) ihren Sohn.
Eine Frau umarmt in Adiyaman (Türkei) ihren Sohn.

© dpa/AP/Khalil Hamra

Die Kommission mobilisiere auch den Privatsektor, um die erforderliche Unterstützung so schnell wie möglich zu leisten, teilte in Brüssel eine Sprecherin am Abend nach dem Gespräch mit.

Von der Leyen selbst schrieb am Sonntag über den Kurznachrichtendienst Twitter, sie habe mit Erdogan telefoniert, um die weitere Unterstützung zu besprechen.

Zahl der Todeopfer steigt nach Erdbeben auf mehr als 30.000

Die Zahl der Toten ist mittlerweile auf mehr als 30.000 gestiegen. Alleine in der Türkei liege die Zahl bei 29.605, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Sonntag unter Berufung auf die Katastrophenschutzbehörde Afad. Aus Syrien wurden zuletzt 3575 Tote gemeldet.

Der türkische Vize-Präsident Fuat Oktay sagte laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu in der Nacht zu Sonntag, in der Türkei seien mindestens 24.617 Menschen ums Leben gekommen. Aus Syrien wurden zuletzt 3574 Tote gemeldet. Knapp 80.300 Verletzte wurden bislang registriert.

Helferteams aus der ganzen Welt sind im Katastrophengebiet im Einsatz.
Helferteams aus der ganzen Welt sind im Katastrophengebiet im Einsatz.

© Foto: Boris Roessler/dpa

Zudem verloren viele Menschen ihr Zuhause: Nach Angaben des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan suchten inzwischen mehr als 1,5 Millionen in Zelten, Hotels oder öffentlichen Notunterkünften Schutz.

Zudem wurden die Schulferien verlängert, und Universitäten stellen vorerst auf Fernunterricht um - so sollen auch Studentenwohnheime als Unterkunft für Überlebende zur Verfügung gestellt werden.

Festnahmen nach Einsturz tausender Gebäude in der Türkei 

Am Sonntag sind zudem zwei weitere Bauunternehmer in der Türkei festgenommen worden. Ein Unternehmer, der für die Bauleitung zahlreicher eingestürzter Gebäude in Adiyaman verantwortlich gewesen sein soll, sei mit seiner Ehefrau am Istanbuler Flughafen gefasst worden, meldete die Nachrichtenagentur DHA am Sonntag.

Die beiden hätten sich mit einer großen Menge Bargeld nach Georgien absetzen wollen. Nach offiziellen Angaben ermitteln die Staatsanwaltschaften inzwischen gegen mehr als 130 Menschen, die dafür verantwortlich sein sollen, dass Gebäude eingestürzt sind.

Gegen mehr als 100 wurde Haftbefehl erlassen, zwölf mutmaßliche Verantwortliche wurden bereits zuvor festgenommen. Zu den am Samstag Festgenommenen zählten mehrere Bauunternehmer aus den Provinzen Gaziantep und Sanliurfa, wie die türkische Nachrichtenagentur DHA berichtete.

Junge Helfer sitzen erschöpft zwischen den Trümmern.
Junge Helfer sitzen erschöpft zwischen den Trümmern.

© Foto: Boris Roessler/dpa

Nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu erließ der Staatsanwalt der ebenfalls von dem Beben betroffenen Provinz Diyarbakir am Samstag 29 weitere Haftbefehle. In weiteren Provinzen wurden Ermittlungen eingeleitet. Die Türkei will hart gegen mögliche Baumängel im Erdbebengebiet vorgehen.

Die Türkei werde nicht ruhen, bis alles auch strafrechtlich geklärt sei. Das Justizministerium habe in den zehn betroffenen Provinzen Untersuchungsbüros eingerichtet.

Umweltminister Murat Kurum zufolge sind fast 25.000 Gebäude bei den Erdstößen am Montag eingestürzt oder schwer beschädigt worden. Die Opposition sieht auch Präsident Recep Tayyip Erdogan in der Verantwortung und wirft ihm vor, es in seiner 20-jährigen Regierungszeit versäumt zu haben, das Land auf ein solches Beben vorzubereiten. 

Fast eine Woche nach Erdbeben – Seuchengefahr wächst

Zudem wächst, knapp eine Woche nach den verheerenden Erdbeben, die Gefahr von Krankheiten. „In den Regionen, wo Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, drohen irgendwann Seuchen“, sagte Thomas Geiner, erdbebenerfahrener Mediziner und Teil des Teams der Katastrophenhelfer vom Verein Navis.

Menschen stehen in Kahramanmaras (Türkei) neben eingestürzten Gebäuden an, um Wasser zu holen.
Menschen stehen in Kahramanmaras (Türkei) neben eingestürzten Gebäuden an, um Wasser zu holen.

© dpa / Emrah Gurel

„Die Kunst der nächsten Tage wird es sein, Hilfe dorthin zu bringen, wo sie benötigt wird.“ Bei der Größe der Region sei es aber so gut wie unmöglich, überall die nötige Infrastruktur bereitzustellen.

Die betroffenen Gebiete sind flächenmäßig größer als Deutschland. Durch die vielen ungeborgenen Leichen könne Wasser verunreinigt werden. Vielerorts haben Leute zudem keinen Zugang zu irgendeiner Art von Toiletten. Auch dadurch könnten Keime in das Grundwasser gelangen.

Am frühen Montagmorgen hatte ein Beben der Stärke 7,7 das Grenzgebiet erschüttert, gefolgt von einem weiteren Beben der Stärke 7,6 am Mittag. Seither gab es bis Samstag mehr als 2000 Nachbeben in der Region, wie die türkische Katastrophenschutzbehörde Afad mitteilte. (dpa, AFP)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false