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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Frau Emine Erdogan treffen am 11. Februar Opfer des Erdbebens.

© IMAGO/APAimages/Uncredited

Plünderungen und Selbstjustiz: Erdogan will Gewalt im Erdbebengebiet mit Ausnahmezustand stoppen

Aus dem schwer zerstörten Gebiet in der Türkei mehren sich die Berichte über Tumulte. Präsident Erdogan gerät deswegen unter Druck.

Deutsche Helfer und österreichische Soldaten haben ihren Einsatz im türkischen Erdbebengebiet wegen Sicherheitsbedenken unterbrochen. Nicht nur für ausländische Helfer, sondern auch für Präsident Recep Tayyip Erdogan wird die zunehmende Gewalt knapp eine Woche nach der Katastrophe zu einem Problem.

Erdogan räumte am Samstag ein, es gebe „Plünderungen und Entführungen“. Der Staat schreite ab sofort mit den Instrumenten des neu eingeführten Ausnahmezustands ein. Kriminelle profitieren mancherorts im Katastrophengebiet von einem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung. Die Polizei ist häufig überfordert, die türkische Armee bietet inzwischen schwer bewaffnete Soldaten auf.

„Tumultartige Szenen“ im Erdbebengebiet 

Das Technische Hilfswerk (THW) und die Hilfsorganisation I.S.A.R. stellten am Samstag ihre Hilfe in der besonders schwer getroffenen Provinz Hatay ein. Zur Begründung verwiesen sie auf „tumultartige Szenen“ in der Gegend. Die Trauer weiche der Wut, Lebensmittel und Wasser würden knapp.

Der Rettungstrupp des österreichischen Bundesheeres in Hatay unterbrach seine Rettungsarbeiten in Hatay wegen „zunehmenden Aggressionen“ zwischen türkischen Gruppen. Dabei sollen auch Schüsse gefallen sein. Die Österreicher setzten am Samstagnachmittag ihre Arbeit unter dem Schutz der türkischen Armee fort, wie das Wiener Verteidigungsministerium mitteilte.

Seit Tagen mehren sich Berichte über Plünderungen und Diebstähle in den zerstörten Städten des Katastrophengebietes. Manche Erdbebenopfer sagten, sie hätten sich in verlassenen Läden oder Supermärkten mit Wasser und Lebensmitteln versorgt, weil es keine andere Hilfe gegeben habe.

Medienberichte über organisierte Banden

Nach Medienberichten sind jedoch immer häufiger organisierte Banden am Werk. Die Zeitung „Hürriyet“ meldete, die Polizei habe 20 Verdächtige festgenommen, die per Lastwagen aus der Nachbarprovinz Osmaniye nach Hatay gekommen seien, um dort zerstörte Häuser auszurauben.

In Antakya, der Provinzhauptstadt von Hatay, hätten Rettungskräfte während der Suche nach Überlebenden in Haustrümmern in der Nähe einen Mann gesehen, der in einen beschädigten Supermarkt eingedrungen sei. Der Mann sei gefasst und der Polizei übergeben worden.

Videos in den sozialen Medien zeigten, wie Männer in Geschäfte eindrangen und große Haushaltsgeräte und Schuhe stahlen. Andere sollen dabei beobachtet worden sein, wie sie Trümmer eingestürzter Häuser nach Verwertbarem durchsuchten. In einigen Fällen sollen Passanten oder Opfer von Diebstählen Selbstjustiz ausgeübt und die Verdächtigen verprügelt haben.

11. Februar 2023: Zerstörungen in der türkischen Provinz Hatay.

© IMAGO/ZUMA Wire/Abed Alrahman Alkahlout

Das türkische Verteidigungsministerium veröffentlichte Videos von Soldaten in Kampfanzügen und Schnellfeuergewehren im Anschlag, die Haustrümmer bewachen und vor Banken, in zerstörten Innenstädten und verwüsteten Basaren patrouillieren.

Der Druck auf Erdogan wächst – und die Feindseligkeit gegenüber syrischen Flüchtlingen

Die Berichte über die Plünderungen erhöhen den Druck auf Erdogan, weil sie bei vielen Türken den Eindruck verfestigen könnten, dass seine Regierung die Lage nach der Erdbebenkatastrophe nicht in den Griff bekommt.

Zudem verstärken die Meldungen die Feindseligkeit gegenüber den syrischen Flüchtlingen in der Türkei. Schon vor dem Erdbeben forderten viele Türken, die rund 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge nach Hause zu schicken. Im Erdbebengebiet entlang der syrischen Grenze leben hunderttausende Syrer, die jetzt für Raubüberfälle und Gewalt verantwortlich gemacht werden.

Der Vizevorsitzende des Fußball-Erstligisten Hatayspor, Ethem Sunar, sagte dem Fernsehsender Tele 1: „Die Syrer haben mit Plünderungen begonnen. Sie bedrohen die Leute und nehmen ihnen die Sachen weg.“ Der rechtspopulistische Politiker Ümit Özdag, der die sofortige Rückführung aller Syrer fordert, veröffentlichte ein Gespräch mit einem Türken im Erdbebengebiet, der nach eigenen Worten von Syrern ausgeraubt worden war. „Hörst du das, Erdogan?“ fragte Özdag in die Kamera.

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