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Original und Fälschung: So hilft Photoshop, Gesichter zu retuschieren.

© vladimirfloyd/ Fotolia

Aufgemotze Schönheit: Pixel im Gesicht

Schmale Taille, blaue Augen, weiße Haut – per Computer wird der weibliche Körper seiner Individualität beraubt. Dagegen formiert sich Widerstand.

Das Bild, das auf Facebook seit Anfang September immer wieder gepostet und geteilt wird, zeigt entblößte weibliche Brüste. Große, kleine, spitze, runde, asymmetrische, pralle, schlaffe, kranke Brüste, solche mit stehenden oder flachen Warzen und von ganz unterschiedlichen Hauttönen. 100 Frauentorsos von vorne, aus der immer gleichen Distanz vor grauem Grund fotografiert und zu einer Galerie montiert, welche die anatomische natürliche Vielfalt der sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale abbildet.

Zu viel Natur für Facebook. Im sozialen Netzwerk dürfen pornografisch inszenierte „Awesome Tits“ oder künstlich vergrößerte „Hot Tits“ geliked werden, wer aber die nackte Wahrheit auf dem Bild der britischen Künstlerin Laura Dodsworth teilt, wird abgemahnt. Facebook bestätigt damit das, was die Fotografin in dem Projekt „Bare Reality“ anklagt: „Das Netz ist voller weiblicher Brüste. Aber sie sind digital manipuliert und verdrängen die Natur.“

Tatsächlich ist das Schockierende an „Bare Reality“ nicht die Fülle an entblößtem Fleisch, es ist die Erkenntnis, wie sehr man sich an die weichgezeichneten Brüste aus der Werbung gewöhnt hat. Wenn die Schönheit im Auge des Betrachters liegt, muss die Medien- und Schönheitsindustrie ernsthaft kurzsichtig sein und an einem schweren Fall von Tunnelblick leiden, der nur eine einzige Gestalt wahrnimmt: die junge, schlanke, weiße, wohlproportionierte Frau.

Nichts hat sich so schnell und erfolgreich globalisiert wie das Schönheitsideal des Westens. Ob in New York, Schanghai oder Berlin, auf den Leuchtreklamen begegnen wir einer einzigen Körperform. In Magazinen lächeln uns dieselben makellosen Gesichter entgegen. Im Netz hat sich der uniforme Idealkörper geradezu epidemisch verbreitet: Auf dem Fotodienst Instagram werden pro Sekunde 58 neue Bilder hochgeladen, auf Facebook erscheinen pro Tag 300 Millionen neue Fotos. Die Hälfte aller im Internet verfügbaren Bilder, so schätzen Experten, sind Körperbilder. Mehrheitlich nackte Frauen sind darauf zu sehen, denn ein Drittel des Inhalts im Internet besteht aus sogenanntem „Sexcontent“.

Das digitale Zeitalter hat die Ikonografie des Körpers nicht erweitert, wie man in der anfänglichen Euphorie noch gehofft hatte, sondern radikal verengt. Noch im letzten Jahrhundert konnte man in Modezeitschriften zwar immer wohlproportionierte, aber zumindest unterschiedliche Frauenfiguren antreffen. Heute sind es bloß Varianten des immergleichen Körpers: der schmalhüftigen, langgliedrigen, ordentlich rasierten Gazelle.

Das abendländische Schönheitsideal setzt sich über Kulturen hinweg und merzt ethnische Varianten aus: Ein Beweis dafür sind die Augenlidoperationen, mit denen sich Asiaten ein westliches Aussehen erkaufen. Unter den Koreanerinnen sind es geschätzte 50 Prozent der jungen Frauen, die sich unters Messer legen, um nicht mehr auszusehen wie Koreanerinnen. Es sind nicht mehr nur Starbucks und McDonald’s, Louis Vuitton und H&M, die das globale Straßenbild vereinheitlicht haben und Gefühle der Zugehörigkeit und Identität verkaufen. Es ist auch eine neue Gleichförmigkeit des Körpers entstanden.

„Die Körper-Monokultur nahm ihren Anfang in den 1980er Jahren“, sagt die britische Psychoanalytikerin Susie Orbach, „damals haben sich die Frauen mehr Rechte und Platz im öffentlichen Raum erstritten und gleichzeitig die Hoheit über ihren Körper aufgegeben. Sie haben sich einem strikter werdenden Schlankheitsideal unterworfen.“ Die Autorin des Buches „Bodies. Schlachtfelder der Schönheit“ hatte einst Prinzessin Diana auf ihrer Couch wegen Bulimie behandelt. Schon vor Jahren hat sie davor gewarnt, dass die Bilder von Idealfiguren, die unseren öffentlichen und privaten Raum überschwemmen, die Sicht auf den Körper verstören.

Der Körper ist zum Fetisch geworden, zum Objekt, das kritisiert, gestaltet und verändert wird, als ob der Mensch ihn besitzen, nicht aber in ihm wohnen würde. Vererbte Gegebenheiten waren einmal – Nasen, Alterungszeichen, Pigmentfehler, ja selbst die Hautfarbe kann optimiert werden.

Die Entfremdung vom Körper, den wir kaum noch zur Arbeit gebrauchen, führt zu einer ständig besorgten Beschäftigung mit ihm. Egal ob wir ihn hassen oder lieben, ob wir ihn zur Schau stellen oder verstecken – es gibt keinen Umgang mehr mit unserer äußeren Form, die sich nicht definierte durch die Abweichung vom oder die Übereinstimmung mit dem Körperideal, auf das sich die Menschheit geeinigt hat. So ist das Körperempfinden für eine wachsende Zahl von Frauen und neuerdings auch Männern zu einem frustrierenden Akt der Selbstvergewisserung geworden.

Noch nie wurde am Körper so hart gearbeitet, noch nie waren so viele Menschen mit ihm so unzufrieden. „Die Übersexualisierung des Körpers“, so Orbach, „ist ein Versuch, ihm eine direkte ungefilterte Erlebbarkeit zurückzugeben.“ Die Psychoanalytikerin ist davon überzeugt, dass der Körper im neuen Jahrtausend zum Kampffeld geworden ist, das zu Freuds Zeiten die Sexualität eingenommen hatte: problematisiert und deformiert durch die früheste Interaktion mit Bezugspersonen und den Imperativen unserer Kultur. „Auf jeder Zigarettenpackung wird vor den Folgen des Rauchens für die Gesundheit gewarnt“, sagt Orbach. „Aber niemand warnt die Gesellschaft vor den Folgen des Einheitskörpers.“

Das könnte sich bald ändern. Schuld daran ist das Computerprogramm Photoshop, welches die Körpermonokultur befeuert und ins Absurde gesteigert hat. Die digitale Bearbeitung löscht den letzten Rest an individueller Abweichung. Längst nicht nur in der Werbebranche, auch auf Blogs, Instagram und Facebook wird retuschiert, korrigiert und manipuliert. Fünftausend Mal pro Woche, so wird geschätzt, werden wir mit digital bearbeiteten Körpern konfrontiert. Kein Muttermal, kein Pickel, keine Unebenheit dringt in das Bewusstsein des Betrachters.

„Die Kosmetik- und Modebranche photoshopt die Realität weg und kreiert Körperformen, die es physisch gar nicht geben kann“, sagt Henry Farid, Computerprofessor am College von Dartmouth, der auf digitale Forensik sowie Fotomanipulation spezialisiert ist. Er kämpft mit britischen Gesundheitsorganisationen im „Airbrush-Movement“ für eine offizielle Deklaration von manipulierten Fotos. Die ersten Erfolge konnte die Bewegung bereits verbuchen: Zwei Lancôme-Kampagnen, in denen Supermodel Christy Turlington und Hollywoodstar Julia Roberts bis zur Auflösung der Gesichtszüge weichgezeichnet wurden, sind 2011 im Königreich verboten worden.

Handfeste Fakten hat der Bewegung eine Studie in die Hände gespielt, die vor knapp einem Jahr im „International Journal of Eating Disorders“ erschienen ist. Es war der erste wissenschaftliche Versuch, das Webverhalten von Teenagern nach dem Konsum von manipulierten Bildern festzuhalten. Die Resultate trafen mitten in die hitzige Diskussion um das digital erschaffene Schönheitsideal „Oberschenkellücke“: Jugendliche, die Bilder von superschlanken Models auf Websites sahen, haben doppelt so oft nach den Stichworten „Anorexie“ und „Bulimie“ gegoogelt und mehr Websites angeklickt, auf denen Tipps zu finden sind, wie man anorektisch wird. Die Studie hat in Israel dem „Photoshop Law“ zum Durchbruch verholfen und in den USA der Lobby „Off our Chests“ Auftrieb gegeben, die dafür kämpft, manipulierte Bilder zu kennzeichnen.

Der Kampf gegen das neue Körperideal

Man mag den Kopf schütteln über die Tatsache, dass Menschen Bildern einen solch großen Einfluss auf ihre Selbstwahrnehmung einräumen, dass unzählige junge Mädchen sich eine Lücke zwischen die Oberschenkel zu hungern versuchen, obwohl sie doch um die retuschierten Bilder wissen. Doch ganz offensichtlich hat das kollektive Starren auf den Idealkörper nicht nur den Blick auf das Normale verstellt, sondern auch dazu geführt, dass nicht das gesellschaftlich propagierte Körperideal an und für sich problematisiert wird, sondern der einzelne private Körper.

Lieber sieht der Mensch sich als Handelnden, als selbstbewusst agierendes Subjekt statt als Opfer der Schönheitsindustrie. Nicht nur die jungen Menschen wissen nicht mehr, was sie tun. Auch gestandene Frauen treibt der Schönheitswahn zu absurden Taten. Jüngstes Beispiel ist Hollywoodstar Renée Zellweger, die sich aus ihrem Gesicht ihre eigenen Gesichtszüge hat wegoperieren lassen. Offenbar geht die 45-jährige Schauspielerin lieber mit einem neuen, glatten, wenn auch nicht wiedererkennbaren Konterfei durch die zweite Hälfte ihres Lebens als mit einer gealterten Version ihrer selbst.

Der Körper wird als Ort der Selbstkompetenz gesehen und nicht länger als biologische Mitgift akzeptiert, die sich im Verlauf des Lebens verändert. Gegen diese Machbarkeitswut formiert sich Widerstand. Und zwar exakt an dem Ort, der zur Brutstätte des globalisierten Körperideals geworden ist: im Internet. Gekämpft wird mit derselben Waffe, die den jungen, schlanken Körper zum Idol erhoben hat: dem Bild. Laura Dodsworths Fotoarbeit über die Brüste von hundert Frauen muss, genauso wie die Website „My Body Gallery“, auf der Tausende von Frauen unbearbeitete Bilder ihres Körpers zeigen, als Versuch gesehen werden, die Bilder-Monokultur im Netz aufzubrechen.

Anführerinnen dieser virtuellen Körper-Revolution waren die Mütter. Im Sommer 2006 hat die Amerikanerin Bonnie Crowder mit ihrer Website „The Shape of a Mother“ (Die Figur einer Mutter) zum Kampf gegen die optische Ausradierung aller Spuren von Mutterschaft aufgerufen. Der Pioniergeist kommt nicht von ungefähr. Neben den alternden Frauen sind Schwangere und junge Mütter am stärksten von der gesellschaftlichen Umdefinition des Körpers betroffen: Bauch auf, Baby raus, Bauch weg. Niederkunft ist im neuen Jahrtausend zum planbaren Akt geworden, der von Dellen, Streifen und Schwangerschaftsfolgen befreite Körper zum Imperativ, dem sich kaum eine Frau entziehen kann.

Pregorexie (gebildet aus pregnant, zu Deutsch: schwanger, und Anorexie) heißt die neue Version der Essstörung folgerichtig. Problematisches Essverhalten während der Schwangerschaft ist viel häufiger, als angenommen wurde, wie die erste Studie aus Großbritannien letztes Jahr zeigte. Mit den Fotos ihrer faltigen Bäuche, hängenden Brüste und zerrissenen Oberschenkel, die junge Mütter auf Crowders Seite teilen, stemmen sie sich gegen das Verschwinden des Mutterkörpers. Die Website hat Schule gemacht und ist zigfach imitiert worden.

Nicht zuletzt hat auch die Wirtschaft dazugelernt. Schließlich ist es nur begrenzt verkaufsfördernd, Millionen von Frauen das Gefühl der Unzulänglichkeit zu geben. Leid treibt zwar in die Parfumerie und auf den Operationstisch einer Schönheitsklinik, aber nur so lange, bis frau einsieht, dass Schwangerschaftsstreifen tatsächlich nur mit Photoshop verschwinden. Dove war die erste Firma, die es wagte, eine Werbekampagne nicht mit perfekt proportionierten Models, sondern mit „normalen“ Frauen von unterschiedlichster Statur, Hautfarbe und Alter zu fotografieren. Der Mut hat sich bezahlt gemacht: Vor den Bildern, die Starfotografin Annie Leibovitz 2006 geschossen hat, war die Firma allenfalls für ihre weiße Seife bekannt; heute gehört sie zu den Sympathieträgern in der Kosmetikbranche.

Seither haben einige Nachahmer versucht, sich ein Stück von diesem Konsumentinnen-Bonus abzuschneiden. Jüngstes Beispiel ist das Unterwäschelabel Aerie. Aerie hat seine letzte Kollektion mit einer nicht manipulierten Plakatkampagne beworben: Muttermale, Narben und Tattoos der Models wurden nicht wegretuschiert, sondern ins Zentrum gestellt.

Natürlich kann man diese Strategien als Einverleibung einer Online-Rebellion kritisieren, und sicher ist es richtig, dass nicht die Aufklärung, sondern der Profit im Vordergrund steht, wenn sich Firmen gegen das Schönheitsideal stemmen, das sie selber verbreitet haben. Aber sie beweisen, dass die Rückeroberung des weiblichen Körpers begonnen hat. Nicht nur im virtuellen Raum, auch auf den Straßen in den Städten. Wenn Schönheit im Auge des Betrachters liegt, dann besteht die Hoffnung, dass sich die Schönheitsindustrie endlich eine Brille aufgesetzt hat, mit der sie mehr sieht als den jungen, schlanken, weißen Körper.

Nicole Althaus

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