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Wie haltet Ihr es mit Russland? Jessy Wellmer befragt ihre Eltern.

© Foto: dpa

„Putin, Russland und wir Ostdeutsche“: Herausfordernd

Jessy Wellmer begibt sich auf Recherchereise in ihrer ostdeutschen Heimat

Der westdeutsche Zuschauer wird herausgefordert. Herausgefordert, ob sein Stereotyp wirklich stimmt, das er über die Ostdeutschen so sorgsam pflegt. Danach denkt der Deutsche zwischen Rügen und Zwickau über Russland und Putin schlichtweg wie ein Putin-Versteher und wie ein Russland-Freund. Nicht schön, der Angriffskrieg gegen die Ukraine, wirklich nicht schön, aber waren die Putin-Russen nicht durch den Westen, die Nato und die USA dazu gezwungen wurden?

Mit dieser Erwartungshaltung kann der Zuschauer in die Dokumentation „Russland, Putin und wir Ostdeutsche“ reingehen. Ab 20 Uhr 15 im Ersten, produziert von NDR und RBB. Nach den 45 Minuten wird er dergestalt nicht wieder rauskommen. Denn was die Journalistin und Moderatorin Jessy Wellmer – ja, das ist die von der „Sportschau“ – und ihr Kollege Falko Korth in vier Wochen Recherchereise zwischen Dresden, Berlin und Rügen eingesammelt hat, reißt das liebgewonnene Bild auf.

Jessy Wellmer, 1979 in Güstrow geboren, besucht ihre Eltern und Freunde der Familie, etwa den ehemaligen Offizier der Nationalen Volksarmee, Reinhard Bartz, der genau weiß, wer Schuld hat am Krieg: die USA. Sie fährt nach Lubmin, wo die Pipelines Nord Stream 1 und 2 ankommen und der örtliche SPD-Chef Frank Tornow es am besten fände, wenn Nord Stream 2 doch noch in Betrieb genommen würde. Wellmer sucht den Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider, auf sowie den Linken-Politiker Gregor Gysi, der mit seiner Partei hadert, weil sie lange Russland positiv und gar als Friedensmacht gesehen hat und manche seiner Parteifreunde dies bis heute tun.

Der Gitarrist der DDR-Rockband Silly, Uwe Hassbecker, verteidigte Putin stets und ständig und ist jetzt angesichts des Krieges entsetzt und enttäuscht. Und Wellmer trifft die Journalistin Antonie Rietzschel, die als 1986 Geborene wiederum ganz anders auf Russland blickt.

Diese Gespräche sind ein Teil der Dreiviertelstunde, ein weiterer Teil sind Umfragen zum Russland-Bild im Osten und im Westen Deutschlands: Eine Umfrage sagt aus, dass 33 Prozent der Ostdeutschen die Berichterstattung über Russland zu negativ finden, aber nur 23 Prozent im Westen.

Schließlich punktieren Aussagen der Historikerin Silke Satjukow das Gesagte und das Gesehene, warum der Osten in Sachen Russland anders tickt als der Westen. Nur eine Erklärung: 40 Jahre DDR werden gerade von den älteren Ostdeutschen nicht gerade abgeschüttelt, dieses Stück Leben will nicht weggeworfen sein, dann gab es demütigende Erfahrungen nach der Wende, die Sowjetunion und der Sieg über Hitler-Deutschland wurden glorifiziert (an solchen Stellen werden Ausschnitte des DDR-Fernsehens eingeblendet), und, und, und...

Auch die Klassiker fehlen nicht: In Deutschland gebe es keine echte Demokratie, Medien würden nicht die Wahrheit, was eben den Wert des Films ausmacht: Wellmer und ihr Team arbeiten nicht mit Filter, sie sammeln und fangen ein, was gesagt und gedacht wird (wobei Wellmer im Off ihre eigene Meinung kundtut). Das Bild, so der Eindruck, ist nicht geschönt und nicht verunstaltet, es ist ein Panorama der Gefühls- und Gedankenwelt im Osten Deutschlands.

Und so ganz nebenbei räumt der Film ein weiteres Stereotyp ab: Sportjournalistinnen, jung und attraktiv, sind darauf geeicht, Fußballer und Experten nach Spielschluss zu Gründen für Sieg und Niederlage abzufragen. Sind sie nicht – Jessy Wellmer hat es ein weiteres Mal bewiesen.

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