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Die Mentor:innen helfen bei den verschiedensten Themen.

© Gustavo Alabiso/Imago

Hilfe für queere Geflüchtete: Einfacher durch den Alltag

In Berlin unterstützt ein Mentor:innenprogramm LGBTIQ-Geflüchtete seit 2016 beim Deutschlernen oder beim Kontakt mit Ämtern. Auch gemeinsame Unternehmungen stehen auf dem Programm.

Fliehende und geflüchtete Menschen sind extrem verletzlich. Das gilt ganz besonders für trans Personen, was sich aktuell im Ukraine-Krieg zeigt. Für sie stellen nicht nur die russischen Angriffe eine Gefahr dar, sondern auch eine falsche Wahrnehmung ihrer Geschlechtsidentiät.

So werden etwa trans Frauen, in deren Pass noch ein männlicher Geschlechtseintrag steht, daran gehindert Checkpoints zu passieren oder das Land zu verlassen, wenn sie zwischen 18 und 60 Jahre alt sind. Denn dann werden sie der Gruppe der wehrfähigen Männer zugerechnet, die aufgrund der Generalmobilmachung in der Ukraine bleiben müssen. Kürzlich machte der Fall der trans Sängerin Zi Faámelu Schlagzeilen, die es erst nach zwei gescheiterten Versuchen über die Grenze zu Rumänien schaffte.

In Geflüchtetenunterkünften geht die Diskriminierung häufig weiter

In der Ukraine wie in anderen ehemaligen Ostblock-Staaten ist es für trans Personen oft sehr kompliziert, ihr Geschlecht körperlich angleichen zu lassen. Aber auch viele andere queere Menschen erleben weltweit staatliche und gesellschaftliche Diskriminierung. Sie wird mitunter so unerträglich, dass sie deshalb ihre Länder verlassen. In Deutschland ist die Verfolgung aufgrund von geschlechtlicher Identität oder sexuellen Orientierung ein Asylgrund.

Allerdings gestaltet sich der Asylprozess für LGBTIQ-Geflüchtete hierzulande weiterhin problematisch, berichtet Lucina Akintaya, Leiterin des Mentor:innenprogramms für queere Geflüchtete, das 2016 beim LSVD Berlin Brandenburg entstand. Seinen Sitz hat es im Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule, kurz MILES in Tempelhof-Schöneberg.

Auch in Geflüchtetenunterkünften gehen für viele die Bedrohungen und Diskriminierungen weiter. Das Mentor:innenprogramm will genau deshalb LSBTI*-Geflüchtete unterstützen und begleiten. Insgesamt arbeiten momentan 80 Mentor:innen, die sich jeweils um eine geflüchtete Person kümmern, ehrenamtlich für das vom Senat geförderte Programm.

Meistens treffen sich Mentor:innen und Mentees einmal die Woche für einige Stunden. Was dann gemacht wird, hängt von den individuellen Bedürfnissen der jeweiligen Person ab: Mal geht es um Hilfe beim Spracherwerb, mal werden Arzt- oder Behördengänge gemeinsam unternommen, aber auch Freizeitgestaltung gehört zum Programm.

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Einige der Mentor:innen sprechen neben Deutsch auch Arabisch, Farsi, Russisch oder andere Fremdsprachen. Gerade jetzt haben sich auch viele Ehrenamtliche gemeldet, die ukrainisch sprechen. Die Mentor:innen erhalten selbst ebenfalls Unterstützung etwa durch oder Sensibilisierungs- und Qualifikationsworkshops.

Das von Akintaya geleitete Projekt dient auch zur Entlastung des MILES, dessen Kapazitäten durch den Umfang der Anfragen meistens überlastet sind – ein Hinweis darauf, dass es an staatlicher Unterstützung mangelt. MILES hat neben dem Mentor:innenprogramm ein vielseitiges Angebot. So gibt es psychosoziale und rechtliche Beratung, wobei hier auch mit externen Rechtsberater:innen oder der Refugee Law Clinic zusammengearbeitet wird. LSBTI*-Geflüchtete haben meistens einen schwierigen Weg vor sich, um Asyl zu bekommen, wie der „Handreichung für die Betreuung und Unterstützung von LSBTTI*-Flüchtlingen“ zu entnehmen ist.

Lucina Akintaya, Leiterin des Mentor:innenprojekts.
Lucina Akintaya, Leiterin des Mentor:innenprojekts.

© Promo

Es beginnt damit, dass die Betroffenen ihre Erlebnisse „lückenlos, konkret und detailreich“ schildern müssen. Denn oft schaffen sie es nicht sofort, „offen über ihre sexuelle Orientierung und entsprechende Verfolgung zu berichten“, wenn solche Diskurse in ihren Herkunftsgesellschaften tabuisiert sind und es gefährlich ist, darüber zu sprechen. Tatsächlich haben 76 Staaten ein Strafrecht, das queere Menschen kriminalisiert. In sieben Ländern, darunter Iran, Saudi-Arabien oder Somalia, steht auf homosexuelle Handlungen die Todesstrafe.

Aus diesen Ländern komme ein großer Teil queerer Geflüchteter, so Akintaya. Aber eben nicht nur. Bloß weil etwas rechtlich nicht verboten ist, bedeutet nicht, dass das Leben automatisch leicht wäre. Die gesellschaftliche Diskriminierung ist ebenfalls für viele ein Grund zur Abwanderung. Manchmal wird auch der Druck aus den Familien unerträglich, etwa durch Zwangsehen.

Vernetzung mit den queeren Helfer*innen am Berliner Hauptbahnhof

Niemand kann Menschen abverlangen, traumatische Erfahrungen einfach so zu teilen, vor allem nicht mit fremden Bürokrati:innen. Gerade deswegen ist ein äußerst sensibler Umgang mit queeren Geflüchteten erforderlich. Die Beratungsstellen im MILES sind daher auch als Schutzraum gedacht.

Darüber hinaus organisiert das Zentrum Stadttouren, um Brücken zwischen Geflüchteten und diversen Communities zu schlagen. Demnächst sollen FLINTA*-Empowerment-Gruppen gegründet werden. Denn oft sei bei Geflüchteten das Bild von queeren Lebensrealitäten noch recht limitiert, so Akintaya. So müsse etwa bei FLINTA* erstmal genau erklären, wer damit gemeint ist (Frauen, Lesben, inter, non-binäre, trans und agender Personen). Wobei dieses Wissen natürlich nicht nur Geflüchteten fehlt.

In diesen Tagen hat sich MILES mit queeren Ständen am Berliner Hauptbahnhof vernetzt. So können ankommende Ukrainer:innen direkt Kontakt mit queeren Communities aufnehmen. Sicherlich wird die Zahl der Interessierten auch für das Mentor:innenprogramm in nächster Zeit steigen.

Sebastian Restorff

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