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Unter einem Kneipenschild mit der Aufschrift The Black Cat stehen Männer und Frauen und halten Schilder mit Slogans hoch.

© 4Mat Factory Films/The HISTORY Channel

Doku „Queer History“ im Pay-TV: „Queere Geschichte ist amerikanische Geschichte – und geht alle etwas an“

Gregorio Davila, queerer Aktivist und Filmemacher, widmet sich in seinem ersten langen Dokumentarfilm der LGBTQ-Geschichte seiner Heimatstadt Los Angeles.

Der Dokumentarfilm „Queer History – Ein langer Weg zur Gleichberechtigung“ präsentiert eine Fülle von erstaunlichem Archivmaterial und spannenden Zeitzeugen-Aussagen. Er war bislang vor allem in den USA auf kleinen Festivals zu sehen. Hierzulande strahlt ihn der Pay-TV Sender The History Channel – zu empfangen als Amazon-Kanal sowie Sky, Telekom und Vodafone – am 26. August 2022 um 20.15 Uhr im Rahmen des Themenschwerpunkts „Ein Tag für Vielfalt und Gerechtigkeit“ aus. Wiederholt wird er am 27. August um 12.55 Uhr, anschließend ist er einen Monat lang als Video-on-Demand verfügbar. Patrick Heidmann konnte mit dem Regisseur ein Videotelefonat führen.

Mr. Davila, wenn von LGBTQ-Geschichte in den USA die Rede ist, wird meistens über Ereignisse in San Francisco oder New York gesprochen. Wann kamen Ihnen der Gedanke, sich dem Thema mit dem Fokus Los Angeles zu widmen?
Das dürfte ungefähr 2012 gewesen sein. Damals las ich einen Artikel über die Ereignisse rund um die Black Cat Tavern. Das war eine Gay Bar im Stadtteil Silver Lake, die am Silvesterabend 1966 von brutalen Zivilpolizisten infiltriert wurde. Zwei Barmänner wurden von ihnen bewusstlos geprügelt, andere Menschen schwer verletzt und letztlich mehr als ein Dutzend Gäste verhaftet.

Einige Wochen später kam es zu friedlichen Protesten gegen diese Polizeigewalt gegen queere Menschen. Das war mehr als zwei Jahre vor Stonewall, eine der ersten LGBTQ-Demonstrationen überhaupt. Und trotzdem schien kaum jemand in meinem Umfeld dieses historische Ereignis zu kennen. Aber ich war damit angefixt und L.A.s queere Geschichte wurde zu meiner Leidenschaft.

Wie erklären Sie es sich, dass die Black Cat Riots nicht die gleichen Schlagzeilen und Folgen nach sich zogen wie später die Stonewall-Ereignisse?
Die Autorin und Historikerin Lillian Faderman, die gemeinsam mit Stuart Timmons das für meinen Film unerlässliche Buch „Gay L.A.“ geschrieben hat, erklärt das recht nachvollziehbar. Sie sieht den Hauptgrund darin, dass L.A. schon damals keine Stadt war, in der die Menschen zu Fuß auf den Straßen unterwegs sind. In New York verbreiteten sich die Stonewall-Unruhen wie ein Lauffeuer und wuchsen sich zu einer dreitägigen Angelegenheit aus. In L.A., zumal in einer damals sehr unbelebten Gegend, blieb ein ähnlicher Vorfall dagegen fast zwangsläufig eher isoliert.

Ein Protestzug mit dem Transparent Christopher Street West zieht über eine große Straße in Los Angeles.
Ein früher Christopher Street Day in LA - die erste Protest-Parade nach nach Stonewall-Protesten von 1969 in New York City.

© 4Mat Factory Films/The HISTORY Channel

Im Original heißt Ihr Film „L.A. A Queer History“, bei uns läuft er unter dem Titel „Queer History – Ein langer Weg zur Gleichberechtigung“. Würden Sie sagen, dass Ihre Arbeit eine überall relevante Universalität hat?
Das würde ich schon sagen, denn all die Umbrüche, die sich über die Jahre in Los Angeles ereignet haben, fanden ja nicht im luftleeren Raum statt. Sie waren ein Resultat von Bewegungen und Ereignissen, die auf der ganzen Welt zu beobachten waren, und beeinflussten ihrerseits, was anderswo passierte. Deswegen verlasse ich sehr bewusst im Film auch immer wieder den engen Fokus auf L.A. und blicke auf die Geschichte des ganzen Landes.

Schon allein, um Kontext und Bezüge herzustellen für Zuschauer*innen, die womöglich mit queerer Geschichte kaum oder gar nicht vertraut sind. Und vieles, was sich in Los Angeles ereignete, hatte letztlich – apropos Universalität – tatsächlich Folgen für den Rest des Landes, wenn nicht der Welt.

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Hier wurde die Organisation Mattachine Society gegründet, was das erste Mal war, dass sich Homosexuelle in den USA organisierten, um für ihre Rechte zu kämpfen. Hier wurde das erste Schwulenmagazin der USA herausgebracht, und nach Stonewall war es auch Los Angeles, wo zum ersten Mal das stattfand, was man heute als Pride-Parade auf der ganzen Welt kennt.

Männer und Frauen halten Protestplakate mit Aufschriften wie "Give the Queens the Beans" hoch.
Ein frühes Beispiel des LGBTI-Protests in Los Angeles.

© 4Mat Factory Films/The HISTORY Channel

Wen hatten Sie denn als Zielpublikum im Blick, Queers oder Heteros?
Wenn ich ehrlich bin, hatte ich immer gehofft, dass mein Film für jeden etwas ist. Denn queere Geschichte ist amerikanische Geschichte und geht entsprechend alle etwas an. Das ist für mich die wichtigste Botschaft des Films, denn wie bei anderen Randgruppen auch wurden ja unsere Erfahrungen oft von der klassischen Geschichtsschreibung ignoriert. Heteros können hier also einiges lernen über unsere Geschichte.

[Lesen Sie auch ein Interview mit Birgit Bosold vom Schwulen Museum Berlin zur Geschichte des queeren Protests in West- und Ostdeutschland]

Aber gleichzeitig ist es nicht so, dass alle queeren Menschen alles wissen, wovon wir hier erzählen. Gerade bei den Jüngeren in der LGBTQ-Community habe ich oft das Gefühl, dass sie sich nicht sonderlich für das interessieren, was früher war. Es ist natürlich auch nicht immer so spaßig wie eine Folge „Drag Race“.

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Und gleichzeitig habe ich bei vielen unserer Festival-Screenings in den USA gemerkt, dass gerade die Menschen, von denen man denken würde, sie kennen alles in- und auswendig, was ich erzähle, besonders großes Interesse an dem Film haben. Also ältere weiße Schwule und Lesben, die vieles sogar noch selbst miterlebt haben.

Was antworten Sie einem jungen queeren Menschen, der sagt: was interessieren mich diese ollen Kamellen, wo wir doch heute so viel weiter sind und ich mich nicht mehr den Traumata der Vergangenheit ausgesetzt sehen möchte?
Die Antwort müsste eine ähnliche sein wie die an jemanden, der fragt, warum man noch etwas über die rassistische Vergangenheit unseres Landes lernen müsse. Aller Fortschritte zum Trotz ist vieles, worum es im Film geht, nicht verschwunden beziehungsweise hat noch immer Auswirkungen auf unsere Community. Aids ist das beste Beispiel.

Viele Menschen sind zum Glück in ihrem Leben nicht mehr unmittelbar von dem Thema betroffen, doch das heißt nicht, dass nicht noch immer Menschen an HIV und Aids sterben. Dass wir heute die Wahl haben, all die Kämpfe, Sorgen und Ängste der Generationen zu ignorieren, ist ein hart erkämpfter Luxus, denn die wenigsten queeren Menschen in den vergangenen 100 Jahren hatten. Unsere Geschichte zu kennen und zu wissen, wie wir dorthin kamen, wo wir heute sind, empfinde ich nicht als traumatisierend, sondern als wichtige Lektion.

In den knapp zehn Jahren, in denen Sie an Ihrem Film gearbeitet haben, ist viel passiert. Anfangs war Obama noch an der Macht, dann kam Trump, fertiggestellt haben Sie ihn dann im Corona-Lockdown. Hatten Tagespolitik und Zeitgeist Einfluss auf Ihre Arbeit, die ja eigentlich von der Vergangenheit berichtet?
Unbewusst mit Sicherheit. Jedes Jahr, in dem ich an dem Film arbeitete, passierte irgendetwas, das irgendeinen Bezug zur Geschichte hatte und mich denken ließ, wie besonders relevant es genau in diesem Moment ist, dass dieser Film gedreht wird. Und vermutlich werden wir auch in der Zukunft nicht so bald an einem Punkt angelangt sein, an dem wir das Gefühl haben, ein Film wie dieser sei überflüssig. Denn alle Freiheiten, die wir uns erkämpft haben, kann man uns auch wieder nehmen. Deswegen dürfen wir nie aufhören, wachsam zu sein und für unsere Community einzustehen.

Patrick Heidmann

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