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Rassismus unter Schwulen und Lesben ist selten ein Thema.

© dpa

Rassismus unter Queeren: Der lange Schatten des Regenbogens

Derzeit wird viel über die vermeintliche Homophobie unter Migranten und Postmigranten geredet. Aber wie rassistisch ist die weiße Mehrheit in der queeren Community? Eine Berliner Podiumsdiskussion suchte nach Antworten.

Noch bevor irgendjemand auf dem Podium etwas sagt, fängt das Publikum an zu streiten. "Wer schon einmal im Bus oder in der U-Bahn von Migranten aufgrund seiner oder ihrer Transidentität fast gelyncht wurde, täglich bespuckt, und angepöbelt wird, dem kann man eine gewisse Abneigung gegen diese Klientel nicht verdenken", schrieb eine Userin auf Facebook unter der Ankündigung für "Der Schatten des Regenbogens", einer Veranstaltung der Neuköllner Salaam-Schalom Initiative in Zusammenarbeit mit der Werkstatt der Kulturen.

"Homophobie mit Rassismus bekämpfen, ist ziemlich dumm", antwortete ein anderer User. Ein dritter forderte die Veranstalter auf, vor den Toren von Neukölln ein Schild aufzustellen: "CIS-HOMOS betreten diesen Ort auf eigene Gefahr!" Wenn es um das Thema Rassismus geht, wird es schnell kontrovers.

Den Eröffnungsvortrag hält ein queerer Flüchtling. Er erzählt seine Fluchtgeschichte und seine Erfahrungen beim Asylverfahren in Berlin. Er formuliert sie diplomatisch so: „Im Lageso wurde ich als Schwuler oft komisch angeschaut.“ Am Anfang lebte er in einem Heim in Lichtenberg. „Ich hatte kein Problem mit meinem heterosexuellen afghanischen Zimmergenossen“, erzählt der Flüchtling. „Ich konnte den Wohnheim-Betreibern aber nicht vertrauen“, und so fragte er in der zuständigen Behörde, ob man seine Homosexualität bei der Entscheidung, ihn in ein anderes Wohnheim zu transferieren, berücksichtigen könne. Das Ergebnis: Er wurde in Marzahn untergebracht. Und dabei habe er es noch leicht: „Stell dir vor, du bist trans in Sachsen.“ 

Ein Fall berührt ihn besonders: Der berühmteste Araber von Neukölln, Nasser, der sich als schwul outete und nun als Aktivist für die Gleichberechtigung in seiner Community kämpft. Im April 2015 organisierte Nasser eine Regenbogen-Demo durch Neukölln. Der erst frisch in Berlin angekommene Flüchtling marschierte da selbstverständlich mit. „Ich wollte Solidarität mit Nasser demonstrieren.“ Doch ein anderer, biodeutscher Demonstrant identifizierte ihn direkt und explizit als homophob. Allein aufgrund seiner Hautfarbe. Irgendetwas stimmt da nicht. Gewaltig nicht.

Moderator Iskandar Abdalla fragt den queeren Aktivisten und Verleger Koray Yilmaz-Güney nach seinen Erfahrungen.
Moderator Iskandar Abdalla fragt den queeren Aktivisten und Verleger Koray Yilmaz-Güney nach seinen Erfahrungen.

© Eric Guemise

Die europäische Homophobie wird historisiert

Eigentlich hätten auf dem Podium an diesem Mittwochabend mehr Gäste sitzen sollen. Eine Teilnehmer_in sagte allerdings ab, mit der Begründung sie könne nicht mit Nicht-Betroffenen, also weißen Queeren über ihre Erfahrungen diskutieren. Woraufhin die gemeinte Expertin der Organisation LesMigras aus Respekt vor dieser Entscheidung ebenfalls nicht kam. Die Veranstalter sprechen von einem Missverständnis – zeigt es aber doch wie schwierig es ist, über dieses Thema unter Queeren zu sprechen.

Dennoch wird vor vollen und mit sehr kritischen Zuhörern besetzen Rängen in der Werkstatt der Kulturen diskutiert. Moderator Iskandar Abdalla fragt den queeren Aktivisten und Verleger Koray Yilmaz-Güney nach seinen Erfahrungen. Der Kern der Diskussion: Schwulen-, Lesben- und auch Frauenfeindlichkeit ist geschichtlich fest verankert in Europa. Homophobie werde in der Mehrheitsgesellschaft historisiert, sagt Yilmaz Güney. „Das war mal, das haben wir überwunden.“  Doch durch die Migration rücke das Thema wieder in den Mittelpunkt. Weil es von der Mehrheitsgesellschaft, den Parteien und Organisationen nach der Einwanderung neuer Bürger neu verhandelt werde.

„Es ist eine Behauptung, dass Migranten anders und homophober als die Mehrheit dieser Gesellschaft sind.“ Yilmaz-Güney spricht von einem Dilemma. Denn die Mehrheit denke, dass diese Diskriminierungen in der „Kerngesellschaft“ schon erledigt seien. Alice Schwarzer sei ein Beispiel, wie sich mit dem Argument Homophobie entgegenzutreten, rassistischer Bilder bedient werde. Wenn Schwarzer per se alle Flüchtlinge erstmal als homophob und frauenfeindlich etikettiere, sei das nichts anderes als Rassismus.

Das rassistische Business der Schwulenorganisationen

Der Kampf gegen Homophobie und der Kampf gegen Rassismus stünden vor allem in Berlin in Konkurrenz – und sie hängen auch zusammen. „Es lohnt sich für Schwulenorganisationen das rassistische Business mitzumachen“, sagt Yilmaz-Güney. „Mit Rassismus wird versucht, für Schwule Politik zu machen“, sagt jemand aus dem Publikum. Vor allem organisierte Schwule würden sich aus der entsprechenden Vorurteilskiste bedienen.

Antirassismus-Demonstration in Wien. Die Regenbogenfahne fehlt.
Antirassismus-Demonstration in Wien. Die Regenbogenfahne fehlt.

© dpa

Wenn zwei Minderheiten, um Anerkennung konkurrieren, kann es also passieren, dass sich eine Minderheit auf Kosten der anderen positioniert. Und plötzlich instrumentalisieren rechte Parteien in Europa die Regenbogenbewegung für ihre rassistischen Parolen. Schwule und Lesben wählen dann sogar mitunter Parteien wie den Front National in Frankreich oder die PVV in den Niederlanden.

Und was ist mit den weißen, queeren Aktivisten und Aktivistinnen? Jedes Kiss-in von Maneo oder anderen Organisationen in Berlin befinde sich dabei in einem Dilemma, sagt Yilmaz-Güney. Jedes Opfer von homophoben Übergriffen habe das Recht sein Leid offen und frei anzuprangern. Egal wie der Täter aussah. Aber dies dürfe nicht pauschal gegen Migranten, egal welcher Couleur, genutzt werden. Aber genau dies geschehe oft genug in Berlin – vor allem von Seiten der etablierten Parteien.   

Queere sind nicht per se inklusiv

CDU ist scheiße“, erwidert eine queere Zuhörerin of Colour. Für sie seien aber nicht das Regierungssystem oder Parteien wichtig, sondern der Rassismus in der queeren Szene von unten – ganz besonders in Berlin. „Egal ob wir ins Schwuz gehen oder anderswo, immer erlebe ich Rassismus“, sagt sie. Auch auf Dating-Plattformen würden People of Colour regelmäßig rassistisch angemacht. Eine andere Betroffene im Publikum berichtet über einen „Zirkel älterer Lesben“, die „krasse rassistische Denkweisen“ pflegten. Die Beispiele werden immer mehr, je länger die Diskussion geht.

Am Ende der Veranstaltung bekam Koray Yilmaz-Güney viel Applaus für sein Fazit: Die Mehrheit in der queeren Szene denke sie sei inklusiv - „sie ist es aber nicht.“

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