zum Hauptinhalt

Reise: Der Dauerbrenner

Salzburg, Stadt der Festivals. Doch für Touristenströme sorgt ein Musical.

Eigentlich verdankt Salzburg seinen heutigen Ruhm den Reinhardts. Sicher, die barocke Altstadt ist bezaubernd, malerisch ragt dahinter der Mönchsberg mit der wuchtigen Festung auf. Doch ohne die beiden Herren wäre die Stadt niemals ein Touristenmagnet mit 2,3 Millionen Übernachtungen in 124 Hotels bei 149 000 Einwohnern geworden. Vater Max Reinhardt gründete 1920 gemeinsam mit dem Komponisten Richard Strauss und dem „Jedermann“-Dichter Hugo von Hofmannsthal die Salzburger Festspiele, heute die nobelste Festivalmarke der Welt, die vor allem im Sommer ein zahlungskräftiges, weltläufiges Publikum anlockt. Sohn Wolfgang Reinhard wiederum sorgte über Umwege dafür, dass der Geburtsstadt Mozarts und Herbert von Karajans über das elitäre Klassik-Segment hinaus ein weltweites populärkulturelles Renommee zuwuchs. Durch das Musical „The Sound of Music“, das im deutschsprachigen Raum zwar nur wenige kennen, dessen 1965er-Verfilmung mit Julie Andrews jedoch rund um den Globus geschätzte 1,2 Milliarden Menschen in seinen Bann zog. Bis heute prägt dieser Film auf dem asiatischen wie dem amerikanischen Kontinent ganz wesentlich das Bild, das man sich dort von Zentraleuropa macht.

1949 veröffentlichte Maria von Trapp ihre Autobiografie, in der sie auf anrührende Weise schildert, wie sie als Gouvernante bei einem verwitweten Marineoffizier in Salzburg in Stellung geht, zunächst die Zuneigung der sieben Kinder und dann auch des Erziehungsberechtigten gewinnt. Als die Hausbank unerwartet Bankrott macht, muss sich die neue Familie ihren Lebensunterhalt als Kammerchor verdienen.

Der Anschluss Österreichs 1938 an Nazideutschland treibt dann die glühenden Patrioten ins Exil nach Amerika, wo sie als „Trapp Family Singers“ mit volkstümlichem Liedgut zur nationalen Berühmtheit werden. Der Drehbuchautor Wolfgang Reinhardt erkennt als erster, dass sich aus den Lebenserinnerungen leicht ein effektvolles Skript machen lässt, kauft die Filmrechte für ein paar tausend Dollar. 1956 kommt „Die Trapp-Familie“ mit Ruth Leuwerik in der Hauptrolle heraus – ein großer Erfolg, der synchronisiert sogar in den USA gezeigt wird. Dort sieht der Broadwayproduzent Richard Halliday die Heimatschmonzette und lässt sich eine Musicalversion der Story schreiben, die in New York 1443 bejubelte Vorstellungen in Folge erlebt. Das wiederum macht Hollywood aufmerksam: Die dreistündige Leinwandfassung in pastellbuntem „de luxe Color“ spült sagenhafte 1,135 Milliarden Dollar in die Kassen des Studios 20th Century Fox.

Teile der Produktion werden 1964 an Ort und Stelle in Salzburg gedreht: Maria und ihre sangesfreudige Kinderschar tanzen durch den Mirabellgarten und über den Residenzplatz; als Fassade der Villa Trapp muss Schloss Frohnburg herhalten, die Gartenansicht stammt vom Schloss Leopoldskron; in der Stiftskirche Mondsee wird die Trauungszeremonie nachgestellt.

Unzählige Fans des Films träumen davon, diese Originalschauplätze einmal in ihrem Leben zu sehen. Rund 300 000 von ihnen gönnen sich alljährlich eine Pilgerreise nach Salzburg. 40 Prozent aller Touristen geben „The Sound of Music“ als Hauptgrund für ihren Besuch an, bei den Nordamerikanern sind es gar drei Viertel. „Aus wirtschaftlicher Sicht profitieren wir von dem Film mindestens ebenso stark wie vom Ruhm Mozarts“, sagt Maria Altendorfer von Salzburg Tourismus.

Und das Tolle an dem Dauerhype um das Musical ist: Im Gegensatz zu den nur punktuell stattfindenden Festivals lässt sich mit „The Sound of Music“ das ganze Jahr über Geld verdienen. Ob zu Fuß oder mit dem Fahrrad, ob mit dem batteriegetriebenen Stehroller Segway oder bequem im Reisebus – der Süchtige kann hier in jeder nur erdenklichen Form auf den Spuren der legendären Trapp-Familie wandeln. Der Klassiker ist dabei die Vier-Stunden-Tour mit Peter Nussbaumer: Täglich zwei Mal starten die Busse der „Original Sound of Music Tour“. Wenn der Reiseleiter zu Beginn die Frage stellt, wer den Film schon mehr als 100 Mal gesehen hat, schnellen viele Arme in die Luft, beim Sing-Along auf der Fahrt zum Mondsee schmettern alle gemeinsam textsicher den Titelsong und die anderen Hits wie „My Favorite Things“, „Edelweiß“ oder „Climb every Mountain“. Den Rekord unter den Kunden von Peter Nussbaumer hält eine 19-Jährige, die das Schicksal der Trappisten seit ihrem fünften Lebensjahr täglich zwei Mal durchlitten hat.

Übernachten kann man seit 2008 beim Salzburg-Besuch übrigens auch in der echten Villa Trapp, die allerdings im Film nicht zu sehen ist. Als Mitbringsel für die Daheimgeblieben bietet sich das „Trapp Kochbuch“ an, das Irmgard Wöhrl, die Enkelin der einstigen Haushälterin Johanna Raudaschl, herausgegeben hat. Und zur Vorbereitung der angemessenen Abendgestaltung klicken die Junkies natürlich auf die Website www.thesoundofsalzburg.com (nur auf Englisch), auf der man sich zur Dinnershow im Großrestaurant „Sternbräu“ anmelden kann. Seit 19 Jahren läuft dort 170 Mal pro Saison ein Programm ab, bei dem die Besucher sowohl mit Songs aus dem Musical als auch mit Operetten-Evergreens und heimischem Liedgut beschallt werden. Zu essen gibt’s dazu „Applestrudel and Schnitzel“ with Noodles – streng nach dem Liedtext von „My favorite things“. So mancher Student der renommierten Mozarteum-Musikhochschule hat sich hier schon während der Studienjahre ein Zubrot verdient.

Wenig begeistert waren indes viele Salzburger, als das Landestheater im vergangenen Herbst eine Inszenierung des Musicals ankündigte. Schließlich kommen in dem Stück reichlich Österreicher vor, die ihr Fähnchen rasch in den Wind hängen, als Adolf H. die „Ostmark“ heim ins Reich holt. Zumal die Regisseure Andreas Gergen und Christian Struppeck sofort klarstellten, dass sie diesen Aspekt gegenüber der Broadway-Fassung noch verdeutlichen wollten. Und in der Tat kann einem schon unangenehm heiß werden, wenn im bezaubernden Neorokoko-Theatersaal plötzlich die Türen aufgerissen werden und SA-Männer vor den Ausgängen Stellung beziehen. Auf der Bühne intonieren derweil Darsteller in Janker und Dirndl vor einem riesigen Hakenkreuz das Lied vom Edelweiß, das immer stolzes Symbol der freien Heimat bleiben möge.

Ein Jahr vor dem „Anschluss“ haben die Trapps tatsächlich einen Volksliedwettbewerb der Salzburger Festspiele gewonnen. Ihre Flucht allerdings gestaltete sich weit weniger dramatisch als im Musical. Das lässt sich bei einer Ausstellung im Salzburg Museum am Residenzplatz lernen, die auch mit diversen anderen Mythen rund um den Hollywoodfilm aufräumt. Dort sind auch Ausschnitte aus der 90-Minuten-Miniatur-Fassung des Stücks zu sehen, die seit Jahren im Marionettentheater gezeigt wird.

Im Landestheater hat man sich nach dem unerwarteten Erfolg von 35 ausverkauften Vorstellungen übrigens entschlossen, „The Sound of Music“ in der kommenden Saison weitere 18 Mal zu zeigen. Zu gerne hätte man das Haus am Markartplatz im Sommer über en suite mit der Show bespielt. Doch das klappt nicht: Die mächtigen Salzburger Festspiele zeigen eigene Schauspielproduktionen in der Spielstätte, wie immer im Juli und August.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false