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Hungrig. Die Vogeltrainer füttern täglich ihre Schützlinge, aber manchmal dürfen auch die Besucher Leckereien kredenzen.

© ddp

Vogelpark Walsrode: Dicht am Schnabel

Der Weltvogelpark Walsrode will mit Gefiedertem begeistern – und lässt sich viel einfallen. Auch ein fliegendes Klassenzimmer.

Heiß ist es an diesem Sommertag, keine Wolke zeigt sich über der Lüneburger Heide. Das ist nicht Olgas Wohlfühlwetter. Trotzdem nimmt die Sibirische Kaiseradler-Dame brav Anlauf, fliegt behäbig über die Köpfe der Zuschauer und landet auf einem Schuppen. Können Vögel eigentlich schwitzen, fragt sich der ornithologische Laie? „Nein, sie hecheln, um sich abzukühlen. Genau wie Hunde“, sagt Anne Hoppmann, Biologin im Weltvogelpark Walsrode, und zeigt auf Olga, die mit hängender Zunge auf ihre Belohnung wartet. Gleich darauf muss Wüstenbussard Cora der Hitze trotzen. Max aus dem Publikum darf den Falknerhandschuh anziehen und sie halten. Im Park läuft das volle Programm für die Besucher: Falke Dolly jagt einer Beute-Attrappe hinterher. Enten treten zum Fußballspiel an. Und Andenkondor Lucy zerrt eine Lama-Puppe aus Leder über die Wiese. Ins Schwitzen kommt allerdings nur die Trainerin. Alle übrigen Mitwirkenden hecheln, was das Zeug hält. Die täglichen Flugshows sind die Attraktion in Walsrode.

„Bei großer Hitze wie im Juli müssen die Trainer aber erst mal gucken, wer fit genug ist“, sagt Anne Hoppmann. Sie verwaltet den Bestand des Parks, hat alle Tiere in einer Datenbank erfasst. Außerdem betreut sie das „Fliegende Klassenzimmer“, das Kinder schon früh für Vögel begeistern soll. Schulklassen können bei ihr Workshops besuchen, etwa zu den Themen Evolution, Naturschutz, Vogelzug oder „Rund ums Ei“.

Begeisterung für Vögel zu wecken – das vor allem will dieser Park. Vor mehr als 50 Jahren als private Zucht von Fasanen und Wasservögeln gegründet, gehört das niedersächsische Urgestein zwar zur Lüneburger Heide wie Honig und Heidschnucken. Dass es mit rund 4000 Vögeln aus 650 Arten der größte Vogelpark der Welt ist, wissen aber die Wenigsten. Zumindest im Namen soll sich das jetzt widerspiegeln: Anfang des Jahres wurde der Vogelpark in „Weltvogelpark“ umbenannt.

An diesem sonnigen Juli-Tag steht den meisten Heide-Urlaubern der Sinn wohl eher nach Freibad. Sehr vereinzelt streifen Besucher über das 24 Hektar große Gelände. Auch die Bewohner der Freiflughalle müssen nur auf wenige Köpfe in ihrem Luftraum Rücksicht nehmen. In einem Teich kühlen sich Rote Sichler und Rosa Löffler ausgiebig die Füße. Beide Arten sind auch auf einem Schild dargestellt; Richtungspfeile um die Schnäbel deuten ihre Taktik bei der Nahrungssuche an: Während Löffler mit dem Kopf hin- und herpendeln und das Wasser gleichsam durchfiltern, stochern Sichler mit ihren gebogenen Schnäbeln im Schlamm. „Solche schnell verständlichen Schilder haben wir überall aufgestellt“, erzählt Anne Hoppmann. „So muss man keine langen Erklärungen mehr durchlesen.“

Ganz ohne Erläuterungen kommen die schön angelegten Grünanlagen aus. Viele Besucher zieht es auch wegen der Gärten nach Walsrode. Im Frühling etwa, zur Rhododendron-Blüte, oder im Sommer wegen der Rosen. Biologin Hoppmann zeigt auf einige Bäume, die aussehen, als sei ihnen ein grüner Afro-Schopf aus dem Stamm geschossen: „Diese australischen Grasbäume sind einige hundert Jahre alt, sie wachsen unendlich langsam.“ Dass im April 2009 der belgische Gartencenter-Betreiber Floralux den Park übernahm, kommt den Gärten zugute: Nachschub gibt es sozusagen frei Haus.

Auch in der „Tropenwaldhalle“ grünt und blüht es – und es ist angenehm kühl. Ein Bächlein plätschert, aus Lautsprechern dringt leise Musik. Ute und Edmund Bieler haben sich ebenfalls aus der norddeutschen Sonne in den Indonesischen Regenwald geflüchtet. Den Park kennen sie bereits von einem Besuch vor 20 Jahren, damals noch mit ihren Kindern. Die sind inzwischen groß und die Bielers reiselustige Ruheständler. Derzeit macht das Tierarztpaar aus Thüringen Urlaub in der Lüneburger Heide. „Wir sind ehrlich begeistert vom Park, damals wie heute“, lobt Edmund Bieler. „Die Artenvielfalt ist beeindruckend, die Haltung sehr artgerecht.“

Ein Kompliment, das Geschäftsführer Geer Scheres freuen wird. Der Holländer wurde von der neuen Eigentümerin Floralux angeheuert. Er hat schon Tierparks von Peru bis Abu Dhabi aufgebaut und beraten. Dass der Vogelpark Walsrode – pardon, Weltvogelpark – in der Erinnerung manch anderer Besucher ein etwas angestaubtes Image hat, wundert ihn. „Schon vor 20 Jahren wurden hier Maßstäbe gesetzt, etwa mit der weltweit ersten Freiflughalle oder der ersten Wellenanlage für Strandvögel“, sagt er. „Schon damals war Walsrode eine Weltreferenz in Sachen Vogelhaltung und eine der ersten zoologischen Einrichtungen, die sich für Artenschutz eingesetzt hat.“ Bis heute ist der Park an zahlreichen Zuchtprogrammen für bedrohte Arten beteiligt, unterstützt die Auswilderung der Tiere in den Herkunftsländern und zeigt Vögel, die es sonst kaum in Zoos zu sehen gibt.

Doch Scheres räumt ein: „Der Park war nicht mehr attraktiv genug für Besucher.“ Die werden nun stärker einbezogen, sollen vom passiven Beobachter zum aufgeklärten Vogelfreund werden. Daher laufen ein Dutzend Ranger in Safari-Outfits durch den Park, gehen auf die Menschen zu und erzählen ihnen etwas über die verschiedenen Arten. Außerdem kann man Führungen buchen. Wer es noch privater mag, kann gegen Entgelt Trainer und Pfleger bei ihrer Arbeit begleiten oder selbst einen Tag lang zum „Hobby-Tierpfleger“ werden.

Auch Schaufütterungen gehören zum neuen, interaktiven Besucherkonzept, etwa bei den Pinguinen. Im Moment sind die allerdings in der Mauser und deshalb „ein bisschen zickig“, seufzt Pfleger Thomas Eichler. „Das Gehege sieht aus, als hätte jemand ein Sofakissen zerrupft.“ Eichler weiß aus Erfahrung: Das kann man nur aussitzen. Nach vier bis sechs Wochen ist der Spuk vorbei und der neue Frack sitzt.

Seit 20 Jahren arbeitet der gelernte Porzellanmaler im Park, kam damals aus dem sächsischen Meißen nach Walsrode. Zweimal stand sein Arbeitgeber kurz vor der Insolvenz, weil die Besucher wegblieben. Ist Vögelgucken nicht mehr „in“ im 21. Jahrhundert? Ja und Nein, meint Thomas Eichler. „Wer hier ist, findet es toll. Aber man muss die Leute erst mal anlocken. Und manch einer sagt sich: Eine Pinguin-Fütterung gibt’s auch bei Youtube.“ Außerdem solle ja alles immer „schneller, höher, größer“ sein heutzutage – Freizeitansprüche, bei denen der Vogelpark nicht unbedingt mithalten kann.

Ein solches Erlebnis der Superlative lockt nur wenige Kilometer entfernt: der Heide-Park Soltau mit gigantischer Holzachterbahn und anderen rasanten Fahrgeschäften. Auch der Serengeti-Park in Hodenhagen wirbt um die Gunst der Heide-Urlauber. Von Konkurrenz will Geschäftsführer Geer Scheres aber nicht sprechen. „Das große Angebot macht die Region attraktiv. Wie in der Natur gibt es für alles eine Nische.“ In den Heide-Park gingen die Menschen eben wegen der Geschwindigkeit und hierher, um zu „entschleunigen“.

Besonders gut geht das im alten Teil des Geländes, wo zwischen Hagebuttenhecken und üppigen Rhododendren Enten, Kormorane und andere Wasservögel zu Hause sind. Auf verschlungenen Wegen kann man hier wunderbar entlangspazieren oder auf einer Bank dem Schnattern der Flamingos lauschen. Ein Stückchen weiter liegt verwaist der große Abenteuerspielplatz mit Holzturm und Riesenrutschen, daneben finden sich Schaukeln, Wipptiere und Klettergerüst für die Kleineren. Weit besser besucht ist heute der Wasserspielplatz zwischen Uhu-Burg und Pelikan-Gehege.

Familie Kampe sitzt unter dem ausladenden Dach einer Imbissbude: Oma, Opa und fünf Enkel. Ein wenig schlapp, aber zufrieden lutschen die Kampes an ihrem Wassereis. Eifrig erzählt die fünfjährige Selma, dass ihr bei der Flugshow vorhin ein Kakadu auf den Arm gehüpft ist. Das war toll. Nur die Hitze, die sei eben blöd. Bruder Pablo bleibt trotz Durchhänger diplomatisch: „Da kann doch der Vogelpark nichts dafür.“ Recht hat er. Und weil’s so schön war, gilt der letzte Abstecher den zickigen Pinguinen. Die sehen im Moment allerdings ganz zufrieden aus. Richtig cool. Einen Fels zum Sonnen, einen Pool zum Planschen: Mehr brauchen sie nicht zu ihrem Glück bei 35 Grad im Schatten.

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