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Apps auf Reisen sind hilfreich, doch zu viel mobile Information kann Urlaubsstress bedeuten. Foto: Andrea Warnecke

© dpa-tmn

Reise: Die beste Terrasse zum Milchkaffee

Mit Smartphone und Apps reist der Mensch kontrollierter – doch er entdeckt nichts mehr.

Wer in naher Zukunft nach Paris fliegt, setzt sich womöglich erst einmal an die Champs Elysées, bestellt einen Café au Lait und bucht in bester Kaffeelaune das Hotelzimmer über sein Smartphone. Klingt abgehoben, ist allerdings schon heute möglich. Laut dem „Mobil Travel App Guide“, der jetzt zur Internationalen Tourismus-Börse (ITB) in Berlin erschienen ist, gibt es allein im deutschen Apple-Store mehr als 26 000 sogenannte Reise-Apps. Die kleinen Programme können Flüge und Hotels buchen, Wissenswertes zu Sehenswürdigkeiten erzählen und ein Restaurant in der Nähe empfehlen. Die große Frage lautet: Wird sich das Reisen dadurch grundlegend verändern?

Feststeht, dass das Internet für den Reisemarkt jedes Jahr wichtiger wird. Immer mehr Urlauber informieren sich online und buchen gleich im Netz. Zwar galt „mobile“ bereits 2011 auf der ITB als Schlagwort der Zukunft, doch das Surfen unterwegs spielt auf Reisen noch eine untergeordnete Rolle, zumal im Ausland, weil die dort fälligen Gebühren schon so manche Urlaubskasse pulverisiert haben. Doch auch das soll sich ja in nicht allzu ferner Zukunft ändern. Insgesamt sei man „sicher erst am Anfang einer spannenden Entwicklung“, formulieren die Autoren der Reiseanalyse 2012, die wie immer auf der ITB von der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (Fur) vorgelegt wurde.

Laut der Untersuchung nutzte Anfang 2012 rund ein Viertel (24 Prozent) der deutschsprachigen Bevölkerung einen mobilen Internetzugang, worunter allerdings auch ein Laptop auf der Couch zu fassen ist. Rund jeder Siebte (14 Prozent) ging per Smartphone oder Tablet-Computer ins Netz. Weiter befragt wurden diejenigen, die einen mobilen Netzzugang hatten und in den vergangenen zwölf Monaten verreist waren. Das Ergebnis: Fast die Hälfte (48 Prozent) gab an, unterwegs schlicht E-Mails zu empfangen und zu lesen – die Hauptmotivation für das mobile Surfen im Urlaub.

Jeweils rund ein Viertel gab aber auch an, auf Reisen per Smartphone Informationen über Angebote vor Ort (24 Prozent) oder über das Reiseziel im Allgemeinen (23 Prozent) zu sammeln, auch zur Wegfindung und Orientierung nutzte jeder Vierte (23 Prozent) seinen mobilen Netzzugang. Die große Auswahl an Apps macht es auf mal mehr, mal weniger komplizierte Art möglich.

Flüge suchen, buchen, einchecken: Das machen die Applikationen von British Airways, Lufthansa oder Easyjet ohne Probleme von unterwegs aus möglich. Flughäfen wie Frankfurt am Main oder Heathrow in London informieren per App über den Flugstatus, Parkmöglichkeiten und Restaurants. Züge lassen sich über die Apps von Deutscher Bahn, Eurostar oder Rail Europe buchen. Und über die Apps von Sixt, Avis oder Europcar ist ein Mietwagen immer schnell verfügbar.

Ebenfalls beliebt: Apps für Hotelbuchungen, seien es einzelne Häuser, große Ketten oder Vergleichsportale wie Booking.com, iHotel oder Expedia Hotels. Mit der Bookatable-App lässt sich zum Beispiel sogar ein Restauranttisch reservieren. Allein für die Baleareninsel Mallorca sollen 90 Angebote aufgeführt sein. Doch noch dienen Apps vornehmlich zur reinen Information. Nur sechs Prozent der Befragten in der Fur-Analyse nutzten zum Beispiel das mobile Internet, um eine Unterkunft zu reservieren. „Das Buchen von Leistungen spielt unterwegs (noch) keine große Rolle“, lautet das Fazit der Autoren. Wie erwähnt, das mobile Surfen im Ausland ist so teuer, dass sich langwierige Recherchen im Netz für Otto Normalverbraucher quasi von selbst verbieten.

„Apps optimieren das Reisen, sie revolutionieren es aber nicht“, sagt Ulrich Reinhardt von der Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg. „Apps bieten immer dann einen Vorteil, wenn ich Zeit spare und schneller den Weg finde“, erklärt der Tourismusforscher, der auch als Professor an der Fachhochschule Salzburg lehrt. „Zeit ist besonders im Urlaub eine kostbare Ressource, schließlich verreisen wir nicht mehr wie vor dreißig, vierzig Jahren drei Wochen am Stück, sondern immer kürzer.“

Doch das Optimieren hat eine Kehrseite: „Die Spontanität geht verloren“, sagt Reinhardt. „Früher war es so: Ich schlendere durch die Altstadt und bleibe in einer kleinen Gasse hängen, bei diesem unscheinbaren Restaurant.“ Mit einer App können sich Urlauber schon vorher informieren, wo es welche Küche gibt und wie viele Menschen die Gastronomie empfehlen. „Heute ist es so: Ein Restaurant hat 120 gute Bewertungen und zehn schlechte, und man geht trotzdem nicht hin, denn irgendwas muss da faul sein.“

Durch lokale Empfehlungen einer Community, die stets per Smartphone verfügbar ist, entsteht – so die These – eine Art Gruppenzwang. „Da ist immer die Angst, die bessere Alternative zu verpassen“, beschreibt es Reinhardt.

Sogenannte Location Based Services mit auf den Ort zugeschnittenen Tipps können zwar das Risiko eines Fehlgriffs mindern. Das gehe aber zum Beispiel auf Kosten der realen Kommunikation mit anderen Reisenden und vor allem auch mit den Menschen im bereisten Land, was für viele doch der eigentlich Reiz ist, sich aus der eigenen Umgebung weg zu bewegen.

„Im Urlaub geht es darum, sich auch mal angenehm täuschen zu lassen“, findet Reinhardt. „Reisen ins Unbekannte, das kommt der viel beschworenenen Suche nach dem Paradies am nächsten. Jeder sucht die kleine unbekannte Insel, auf der noch niemand vorher war.“ Durch den Zugriff und Abgleich ständig verfügbarer Informationen ginge diese Erfahrung allerdings verloren.

Der Zukunftsforscher fragt: „Muss ich wirklich noch reisen, wenn nichts mehr zu entdecken ist?“ Seine Empfehlung: Apps dann nutzen, wenn sie Zeit und Aufwand sparen. „Aber wir sollten endlich aufhören, alles und jedes zu dokumentieren. Es geht viel verloren, wenn man nur noch mit Smartphones herumläuft. Wir sollten im Urlaub abschalten, auch und vielleicht vor allem unsere Geräte.“

Vielleicht kommt diese Mahnung ein paar Jahre zu früh: Denn diejenige Reiseinformation, die Urlauber in 2011 unterwegs häufiger als jede andere über das mobile Internet abriefen, war laut Fur-Analyse – die Wettervorhersage.

Philipp Laage

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