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Den richtigen Moment erwischen. Dass dabei noch die Blende stimmen muss, versteht sich beim Fotokurs fast schon von selbst.

© Karl Füsselberger

Madeira: Alles scharf in der Brandung

Eine Fotoreise auf die Blumeninsel Madeira erschließt engagierten Hobbyknipsern immer wieder neue Perspektiven.

Stative werden zusammengeschraubt und in Position gerückt. Die glitzernden Kaskaden der einzigen Treppen-Levada Madeiras sollen im Foto eingefangen werden. Karl Füsselberger leitet die siebenköpfige Gruppe der Wiener Fotoschule: „Beim Fotografieren der Wassertreppen- Levada kommt es darauf an, die Blende zu schließen für eine möglichst lange Verschlusszeit, dann sieht man im Foto das Wasser richtig schön fließen.“ Gleich neben dem Wasserlauf finden die Kamerasucher einen lila blühenden „Prächtigen Natternkopf“. Madeira ist ja schließlich die Blumeninsel.

„Echium nervosum“ lautet der lateinische Name der Pflanze, die als eine der attraktivsten der endemischen Gewächse auf der Atlantikinsel gilt. Die lange hohe Blüte wird ins Bild gerückt. „Hier heißt es: nahe ran, ein bisschen abblenden auf fünf oder sechs; doch wenn es komplett scharf sein soll, würde ich sogar auf Blende elf abblenden“, rät Karl Füsselberger. Die Perspektive passt und schon prasselt ein Kamera-Dauerfeuer über der Prachtblüte. Die Teilnehmer der Fotoreise sind sehr ambitionierte Hobbyfotografen, doch auch für interessierte Anfänger kann die Reise ein Gewinn sein.

Der weiße Kleinbus mit den Fotoreisenden klettert auf die Paúl da Serra hinauf, ein unverbautes Gebirgsmoor, bewachsen mit Lorbeer, Stechginster und Baumheide. Während Karl Füsselberger, einst als Pressefotograf für die Uno im Nahen Osten im Einsatz, die technischen und ästhetischen Feinheiten des Natur-Fotografierens im Auge behält, ist Christa Dornfeld zuständig für die Landschaft. Sie lebt seit 20 Jahren auf Madeira und gilt als die Grande Dame des Inselwanderns: „Auf 1200 Höhenmetern wandern wir jetzt durch den ältesten Lorbeerwald Madeiras mit seinen riesigen Farnen, Flechten, Moosen und den Fetthennen auf den Bäumen, die aus dem Nebel die Feuchtigkeit filtern und sie in Form von Tropfen wieder an den Boden abgeben.“

Pfefferminzduft liegt in der Luft. Der Lorbeerwald ist für Christa Dornfeld ein Zauberwald: „An meinem Geburtstag waren wir um Mitternacht im Zauberwald“, erzählt die blonde Frau mit leuchtenden Augen. „Die Bäume warfen riesige Schatten und die Temperatur war angenehm. Wir genossen ganz einfach die Stille und die wunderbaren Schatten, die der Mond auf den Boden malt.“

Einführung in die Nebelfotografie

Die Pflanzenexpertin zerreibt Blätter in der Hand. Madeirischer Lorbeer, nicht etwa der Laurus Nobilis, der Mittelmeerlorbeer, den wir zum Kochen verwenden. „Und dann gibt es natürlich auch den Stinklorbeer“, sagt Dornfeld und zeigt einen an der Rinde aufgerissenen Baum, aus dessen dunklem Inneren es modrig müffelt. Die Lorbeerbäume haben einen dicken Stamm mit einer schönen Krone. Die Blätter sind ledrig-fest. Im Hintergrund der verästelten Szene steigen die Nebel auf. Eine Kuhherde stapft über den grasbewachsenen Boden. Der Zauberwald ist der einzige Platz auf Madeira, wo Kühe auf der Alm weiden.

An schönen Motiven mangelt es an Zielen wie Madeira nicht.
An schönen Motiven mangelt es an Zielen wie Madeira nicht.

© Karl Füsselberger

Das Fotografieren von Nebellandschaften ist eine eigene Disziplin, die hoch über Santana im Norden der Insel geübt wird. „Vor uns befindet sich eine riesige Nebelbank, die die Belichtungsmessung beeinträchtigt“, führt Karl Füsselberger in die Nebelfotografie ein, und zeigt jedem Teilnehmer einzeln die technische Annäherung ans perfekte Bild: „Wir führen eine manuelle Messung durch, damit der Himmel nicht so ausgewaschen wird, sondern am Foto ein schönes Blau bekommt. Wir haben das Foto überbelichtet, damit wir auch vorne in den Bäumen das Heidekraut gut erkennen können.“ An die Ergebnisse tastet sich die Gruppe heran. Jeder hat genug Zeit, um zu probieren. Zeit, Verweilen, Schauen und Scharfstellen, das sind Schlüsselworte für das Reisen mit der Fotoschule, hier wird nicht gehudelt.

Bei der Rückfahrt wird in Porto da Cruz Station gemacht, eine alte Zuckerrohrfabrik besichtigt – und natürlich auch ausgiebig fotografiert. Porto da Cruz ist eine felsige Meeresbucht, die von einem riesigen Basaltblock dominiert wird. Christa Dornfeld ruft: „Poncha! Poncha!“, und schon finden sich die Fotografen ein, um den Madeira-Cocktail Poncha zu verkosten, der aus Zitronensaft, Honig und Zuckerrohrschnaps gemixt wird. Dazu gibt es Bolo do Caco, das Knoblauchbrot. Der Madeirer sagt: „A saúde!“

„Moby Dick“ vor Madeira

Der „Schuss“ in die Landschaft wirkt erst so richtig, wenn der Vordergrund stimmt.
Der „Schuss“ in die Landschaft wirkt erst so richtig, wenn der Vordergrund stimmt.

© Karl Füsselberger

„Wir sind in Calheta an der Südküste und fahren hinaus zum Whale Watching.“ Füssi, wie Karl Füsselberger mittlerweile von seinen Fotoschülern genannt wird, erteilt praktische Ratschläge vor dem Ablegen des Bootes: „Als Verschlusszeit wählen wir eine tausendstel Sekunde, denn Delfine können bis zu sechzig Stundenkilometer schnell schwimmen. Wir machen Serienbilder und suchen anschließend das Beste heraus.“

Claudia Gomes begrüßt uns an Bord, der alte Fischer Senhor Luis steuert. An Land beobachtet ein Späher mit einem mächtigen Fernglas das Meer, um anhand des sogenannten Blas’, der Atemluft der Wale, Navigationsanweisungen per Handy zu geben. Claudia Gomes erinnert natürlich daran, dass der Wal-Filmklassiker „Moby Dick“ vor Madeira gedreht wurde.

Gelbschnabelsturmvögel kreisen um eine Gruppe Delfine, deren weiße Bäuche türkisfarben unter der Meeresoberfläche schimmern. Der Motor wird abgeschaltet, um die Tiere nicht zu stören. „Die Wale atmen hier, wollen kräftig Luft holen“, sagt Claudia. Wie Baumstämme liegen zwei Pottwale gleich neben dem bunten Boot. Auch sie sind zum Atmen aufgetaucht. Einem Pottwal kann fast ins Blasloch hinein geschaut werden. „Das sind zwei Weibchen“, stellt Claudia Gomes fest, „die werden bis zu zwölf Meter lang.“

Jardim do Mar bedeutet „Garten des Meeres“. Ein kleiner Fischerort. Mit Blick auf den tiefblauen Atlantik erklärt Gerald Bretterbauer die Spezialität der Strandbar, wo sich die durchgestylte Jugend trifft: „Typisch für Madeira sind die ,Caracóis‘, die Meeresschnecken.“ Als Besteck werden kleine Nadeln bereitgelegt, um die Schnecken aus dem Inneren ihres Gehäuses zu pulen. Dazu gibt es „Lapas“, Napfschnecken, die in der nahen Brandungszone an den Felsen gesammelt werden. Garantiert bio. Die Napfmuscheln werden auf einer Platte sehr heiß serviert, gewürzt nur mit etwas Zitronensaft.

„Sonhos de cor de rosa“- rosarote Träume

Beim Essen erzählt Gerald Bretterbauer – Bildhauer, Kärntner und Madeirer aus Leidenschaft –, dass ihn mit Füssi bereits eine langjährige Freundschaft verbindet. Gerhard Bretterbauer, Christa Dornfeld und Karl Füsselberger entwickelten gemeinsam das Programm für die Fotowoche. Stets dreht sich alles darum, die richtigen Orte im richtigen Licht zu besuchen. Und in der richtigen Gesellschaft, ist man versucht hinzuzufügen, denn tatsächlich ist das Team, das die Gruppe begleitet, sensibel und durchschlagskräftig zugleich. Fotoschüler sind eher anspruchsvolle Reisende, jedoch meistens wenig launisch. Es geht ihnen um die vielfältigste Fotoausbeute und auch darum, beim Fotografieren etwas dazuzulernen.

Das ergibt sich auch in Gesprächen innerhalb der Gruppe und durch das Vergleichen der Fotos sowie der technischen Herangehensweisen. Lustvolles Lernen in lockerer Atmosphäre also. Auf Spezialwünsche wird eingegangen, beispielsweise für Fußball-Afficionados unter den Fotografierenden außerhalb des Programms ein Besuch im Museu Cristano Ronaldo in der Hauptstadt Funchal ermöglicht.

Bei aller schönen Abwechslung: Wir sind zum Fotografieren und Lernen auf die Insel gekommen. Also hurtig wieder zurück zu unserem Lehrmeister. „Nach Sonnenuntergang steigt der Blauanteil in der Färbung des Himmels, wir fotografieren die sogenannte Blaue Stunde, wenn die Lichter in der Bucht von Funchal angehen.“ Füssi justiert die Kamera auf 400 Iso, die Blende auf 11. Bei einer Brennweite von zirka 100 Meter ist die Landzunge der Hauptstadt von Madeira auf dem Bild. Die Belichtungszeit beträgt 1/100stel Sekunde, kein Problem, denn die Stative sind natürlich dabei. Eifrig werden Fotos erstellt, während sich die Stimmung am Himmel langsam ändert. „Der Schwarzanteil im Himmel nimmt zu, jetzt beginnt die Nacht“, sagt Füssi. „Wenn der Himmel ganz schwarz ist, machen wir die Nachtaufnahme.“ Und dann kommt auch bald der portugiesische Gute-Nacht-Gruß: „Sonhos de cor de rosa“ – Rosarote Träume!

Christina Höfferer

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