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Karibik

© laif

Grenada: Lächeln im Rhythmus

Wenig kann die Leute auf der Insel Grenada aus der Ruhe bringen. Höchstens der Reggae – und der tönt überall.

Man muss früh aufstehen und die Morgendämmerung mitnehmen, am Strand von Grand Anse. Den süßen, würzigen Duft einatmen, die sanfte Brise spüren. Man muss auf das noch graue Meer schauen und auf die Wolkenberge, die behäbig auf der anderen Seite der Bucht, von den Bergen herab, über St. George’s hinwegziehen. Man muss den Ameisen zusehen, wie sie über den Sand eilen. Und dann muss man warten, bis sich die Wedel der Palmen immer schärfer vom Himmel abzeichnen und sich das Meer immer blauer färbt. Man muss auf die ersten Strandgänger warten, die Jogger, den Rastafari mit der Gitarre, die braune Hündin mit den langen Zitzen und auf den gelangweilten Wachmann, der an einem Stapel mit Liegestühlen lehnt und gähnend mit seinem Schlagstock jongliert.

Die Straßen von St. George’s sind schmal und steil. Sehr steil. Immer wieder gibt es Treppen, die hinaufführen, immer höher hinauf – weg von der Carenage, der schaurig schönen Hafenpromenade. Weg von den alten Kuttern, den rostigen Frachtern, dem schwerfälligen Rhythmus des Reggae, der wie wattiert aus den selbst gebastelten Boxen wabert, während die Fischer ihre Netze flicken, rauchen, reden und lachen.

Auf der Terrasse des „Nutmeg“ sitzen ein paar Touristen, ein Bier in der Hand, das hier „Carib“ heißt, und schauen müde aufs Wasser, auf Boote und Passanten, deren Hüften der Reggae im Schreiten wellenartig immer wieder leicht nach vorne und zurück schiebt. Überall sind Kinder und Jugendliche in Schuluniformen unterwegs. Adrett sehen sie aus, hübsch herausgeputzt. Vor den Läden und Rum- Shops haben sich Menschentrauben gebildet. Überall dichtes Gedränge, Hupen, Gelächter. Zwischen die Autos, Fußgänger und Fassaden auf der Tyrrel Street passt keine Hand mehr. Rush Hour auf karibisch, das ist Millimeterarbeit – und funktioniert.

Ganz oben, auf den Mauern von Fort George, zieht einem der Wind an den Haaren. Der Blick hinunter zur Stadt mit dem hufeisenförmigen Hafen, auf die benachbarte Bucht „The Lagoon“ und weiter bis Grand Anse ist atemberaubend.

Im Hof der 1705 von den Franzosen erbauten Festung erinnert eine bronzene Tafel an das tragische Ende von Maurice Bishop und 15 seiner Anhänger. Auf der grauen Mauer sind noch die Einschusslöcher zu sehen. Der Basketballkorb auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes wirkt sonderbar makaber und surreal. Die Hinrichtung von Bishop und seinen Getreuen am 19. Oktober 1983 war der tragische Höhepunkt eines Machtkampfs innerhalb der Regierungspartei „People’s Revolutionary Government“ (PRG). Sechs Tage später landeten 12 000 US-Marines gemeinsam mit Soldaten mehrerer karibischer Nachbarstaaten an Grenadas Küste und katapultierten den winzigen Inselstaat der kleinen Antillen kurzzeitig auf die politische Weltbühne. Obwohl die Invasion nur ein paar Tage dauerte, kostete sie 42 Amerikaner, 70 Kubaner und 170 Grenadiner das Leben. Ein Grund für das massive Eingreifen der US-Armee war die Befürchtung, dass mit der kleinen Karibikinsel, neben Kuba und Nicaragua, ein weiterer kommunistischer Außenposten im Hinterhof der USA entstehen könnte.

Der Bus hangelt sich die schmale, kurvenreiche Küstenstraße entlang, hoch über der weiten, tiefblauen karibischen See. Hinter uns bleiben die Kirchen von St. George’s zurück, die eine markante Gemeinsamkeit haben: Ihnen allen fehlen die Dächer. Die hat „Ivan“ genommen. Es geschah am 7. September 2004. In der Nacht zuvor hätte sich der Hurrikan noch in Richtung Barbados bewegt, erzählt Rachel Blackman, eine Schweizerin, die es vor Jahren nach Grenada verschlagen hat. „Die Menschen hier fühlten sich sicher und trafen keinerlei Vorbereitungen“, sagt sie. Gegen Mitternacht änderte der Hurrikan plötzlich seine Richtung und raste von Süden her direkt auf Grenada zu. „Ich habe mich mit den Kindern unter dem Tisch in der Küche verkrochen“, sagt Rachel.

„Ivan“ wütete auf der Insel mit Windgeschwindigkeiten von 193 Kilometer pro Stunde. Er deckte fast sämtliche Dächer ab, verwüstete unzählige Häuser und rasierte den Regenwald an manchen Stellen glatt wie einen Rasen. 39 Grenadiner kamen bei dem tropischen Wirbelsturm ums Leben. 90 Prozent der Häuser und viele öffentliche Gebäude wurden beschädigt oder vollkommen zerstört, die Plantagen waren verwüstet. Viele Monate lang mussten die Menschen zum Teil ohne Strom und fließendes Wasser leben.

Weiter führt die Fahrt entlang an der Dragon Bay, der Flamingo Bay und an der Halifax Bay, wo noch ein ganzer Hang mit umgeknickten Bäumen von „Ivans“ Verwüstungen zeugt. Der Minibus kommt durch Grant Roy, wo 1935 der legendäre „Calypso King of the world“ Mighty Sparrow geboren wurde. Weiter geht es in das bergige Innere der Insel – zu den Concord-Fällen und in den Regenwald des Grand- Etang-Nationalparks. Natürlich hat Grenada wunderschöne Strände – Grande Anse, Morne Rouge, Levera Beach oder La Sagesse –, doch die wahren Reize der Insel liegen in ihrem Innern. Diese Schönheit zu erfahren, ist eine schweißtreibende Angelegenheit.

„37 verschiedene Arten von Bambus wachsen hier“, erklärt Roger vom Grenada Board of Tourism auf dem steilen Weg hinab zu den Seven-Sisters-Wasserfällen. Dazu gedeihen Papayas, Bananen, der flammende Herzbaum, gewaltige Mahagoni-Riesen, Mangobäume, Farne und unzählige exotische Blüten. Der Wasserfall schießt in das tiefe, dunkelgrüne Becken. Hier unten gibt es nur das Rauschen des Wassers, sattes Grün, das sich die Steilhänge hinaufzieht.

Nach dem Motto: „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“ werden in der Muskatnuss-Fabrik von Gouyave die reifen Früchte in einen Eimer mit Wasser geworfen. Praktische Qualitätskontrolle. Nur die Nüsse, die auf den Grund sinken, werden verwendet. Maschinell werden sie geknackt, dann von Schale und Haut befreit und in langen Regalen getrocknet. Von der Ernte bis zum Export in alle Welt – hier ist fast alles Handarbeit. Die Nüsse werden sortiert und in große Leinensäcke gefüllt.

Die Fabrik wirkt archaisch, so als habe die industrielle Revolution gerade erst begonnen. Nur die Klingeltöne des Handys einer Arbeiterin erinnern in dieser Halle an die Gegenwart.

Die Gewürzinsel Grenada ist nach Indonesien der zweitgrößte Muskat-Lieferant der Welt. Die kleine, dunkelbraune Nuss ist vielseitig verwendbar, nicht nur als Gewürz. Aus der Haut, der sogenannten Muskatblüte, wird ein natürlicher Konservierungsstoff hergestellt, der sich unter anderem in Lebkuchen und bayerischen Weißwürsten wiederfindet. Die Schalen der Nüsse werden als Mulch verwendet.

Auf Grenadas kleiner Schwesterinsel Carriacou muss man noch mal drei Gänge zurückschalten. Das Leben läuft im Zeitlupentempo ab, aber gestochen scharf und in schillernden Farben. Das kleine Nest Hillsborough mit seiner schnurgeraden Hauptstraße ist das Maß der Dinge in Sachen Zivilisation – ein paar kleine Läden, Bank, Post, Rum-Shops und Imbissbuden.

Rund 9000 Menschen leben auf der gerade einmal elf Kilometer langen und knapp vier Kilometer breiten Insel nordwestlich von Grenada. Zwei Stunden dauert die Fahrt mit der „Osprey“ hinüber. Allerdings: Die karibische See ist keine Badewanne, dementsprechend ruppig kann der Ritt sein.

Es ist zwölf Uhr mittags. Wer hierherkommt und mehr sucht als Schatten, der muss von allen guten Geistern verlassen sein.

Rainer Würth

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