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Julian schippert seine Gäste von Turks und Caico aus zu Schnorchel- und Tauchgründen. Er ist aus Haiti geflüchtet, um auf diesen Inseln sein Glück zu suchen.

© Anna Pataczek

Karibik: Schnorcheln wie Bruce Willis

Die Queen wacht über die „Turks und Caicos“, eine Inselgruppe im Atlantischen Ozean. Früher kamen Piraten hierher, heute Prominente.

Die Stelle, die sie sich für ihr Versteck gesucht hatten, war ideal. Von der kleinen Erhebung auf der ansonsten flachen Sandinsel hatten Anne Bonny und Mary Read einen perfekten Überblick über das türkisfarbene Meer und den messerscharf gezogenen Horizont mit seinen hingetupften Wolken. Pelikane segelten schwerfällig über ihren Köpfen hinweg, während sie Pläne für ihren nächsten Raubzug schmiedeten.

Anne Bonny und Mary Read waren Anfang des 18. Jahrhunderts die wohl berüchtigsten Piratinnen der Karibik und für ihre Unerschrockenheit berühmt. Parrot Cay, ihr Eiland, ist heute immer noch ein Rückzugsort. Für Prominente.Das 400 Hektar große Stück Land gehört zu den Turks- und Caicosinseln, ist aber in Privatbesitz.

Nur eine exklusive Hotelanlage mit Strandvillen findet sich hier. Sie gehört einer der reichsten Frauen Asien, der Unternehmerin Christina Ong aus Singapur. Oscar-Preisträger Ben Affleck hat hier am weißen Traumstrand seine Jennifer Garner geheiratet. Brad Pitt und Angelina Jolie sollen die vergangenen Weihnachtsfeiertage und Neujahr im Haus von Modedesignerin Donna Karan verbracht haben. Einige Very Important People haben hier ein Feriendomizil.

Vielleicht eignet sich dieses Parrot Cay mit seinen kilometerlangen Stränden, an denen die Wellen warm und schaumig angespült werden, deshalb seit Jahrhunderten so gut als Versteck, weil die gesamte Inselgruppe ein Fleckchen Erde ist, das nirgendwo und überall dazugehört – so rutscht es durch das Raster der weltweiten Aufmerksamkeit. Noch nie davon gehört, dass Christopher Kolumbus angeblich seinen ersten Schritt in die Neue Welt nicht auf der Bahama-Insel San Salvador getan hat, sondern auf Grand Turk? Eben.

Dieses Dazwischensein wird nicht nur bei der Ankunft am Flughafen von Providenciales, einer der Hauptinseln, deutlich. Zur Begrüßung der Neuankömmlinge hat sich in der kleinen Halle eine Musik-Combo aufgestellt und spielt karibische Rhythmen. Von der Wand lächelt milde eine Dame mit grauen Locken. Es ist das Porträt von Queen Elizabeth II. und macht dem Besucher klar: Sie haben soeben britisches Überseegebiet betreten. Gezahlt wird jedoch mit US-Dollars. 40 Inseln ziehen sich wie eine Kette von Osten nach Westen, geografisch liegen sie eigentlich schon im Atlantik, aber man zählt sie noch zur Karibik. Etwa 33 000 „Belongers“ leben auf den Turks und Caicos, also Einheimische, die hierher gehören.

Rocky Grandpa hat sich an diesem Vormittag, an dem die Sonne gnadenlos herunterbrennt, ein Schattenplätzchen ausgesucht. Er ist mit seinen 29 Jahren ein Senior und döst vor sich hin, der Bauch schleift über den heißen Sandboden seines Reviers. Rocky Grandpa ist ein Leguan, der älteste von 4000 Tieren, die auf Iguana Island, einer Nachbarinsel von Parrot Cay, leben.

Paparazzi müssen Abstand halten

Rocky Grandpa. Der Leguan ist mit 29 Jahren das älteste Tier auf Iguana Island.
Rocky Grandpa. Der Leguan ist mit 29 Jahren das älteste Tier auf Iguana Island.

© Anna Pataczek

Der Naturpark wird von der Europäischen Union unterstützt, das steht auf den windschiefen Schildern am Eingang – 7000 Kilometer entfernt von Brüssel. Alex, ein junger Mann führt Gruppen über das Gelände, erklärt, dass die Cyclura carinata vom Aussterben bedroht sind und man die Männchen am Nackenkamm erkennen kann. Dabei rudert er mit den Armen und klingt, als würde er mit einem großen Kaugummi in den Backentaschen sprechen.

„Ich bin in Florida aufgewachsen“, erzählt er später. Das erklärt seinen durch und durch amerikanischen Auftritt. Warum ist er zurück auf die Turks- und Caicosinseln, dorthin, woher seine Familie stammt? „In Miami“, sagt er schnaubend, „geht es doch nur um Muskeln und Partys. Hier ist es schön ruhig. Jeder hat Zeit.“ Er grinst jetzt breit. Und dann wartet er, bis irgendwann, im Laufe des Tages, wieder ein weißes, schnittiges Boot in der Ferne auftaucht und neue Besucher herantransportiert zu seinem Leguan-Reservat.

Für Julian, Skipper auf einem dieser Ausflugsschiffe, könnte es dagegen noch ein bisschen trubeliger werden. „Ist doch gut, wenn sich die Inseln entwickeln“, sagt er, „bis vor kurzem waren sie ja noch ein weißer Fleck auf der Landkarte.“ Auf den Turks- und Caicosinseln zahlt man keine Einkommens-, Kapital- und Eigentumssteuer. Das lockt Investoren an.

Man kann Julian verstehen, er ist 28 und kommt ursprünglich aus Haiti. Wie andere seiner Landsleute ist er aus der geschundenen Heimat geflüchtet und sucht sein Glück nun woanders. Er begleitet Touristen, taucht für sie nach Seesternen und warnt ahnungslos Planschende vor Stachelrochen, deren Schatten im seichten Wasser er sofort entdeckt.

Seit den 1990er Jahren gibt es eine tägliche Flugverbindung nach Miami. Der US-Hip-Hopper Jay-Z rappt in seinem Song „What More Can I Say“ von den Privatjets, die auf die Inseln fliegen. Parrot Cay kann er nicht gemeint haben. Oder gibt es für ihn eine Ausnahme? Über der Insel herrscht Flugverbot, das ist mit den lokalen Behörden so abgesprochen. Es wird hier alles getan, um Paparazzi schön auf Abstand zu halten.

Nächtens sollen sogar Gurkhas, Elitekämpfer der britischen Krone, mit Schäferhunden am Strand patrouillieren. Ob das stimmt? Es nährt jedenfalls den Mythos der Promi-Insel, und der verkauft sich gut. Wer sich als normaler Mensch einbucht, und das ist durchaus möglich, möchte immerhin etwas vom Glanz und Glamour abbekommen.

Auch die Piratinnen waren lange inkognito

Das Elektrowägelchen ruckelt gemächlich über die sandige Buckelpiste. Die 39-jährige Zovia sitzt am Steuer. Sie arbeitet als Butler auf Parrot Cay und kutschiert die Gäste von A nach B, damit nur nicht jemand zu Fuß gehen muss auf diesem überschaubaren Gelände, vom Bootsanleger zum Schlafzimmer, zum Pool, zum Spa.

„Da wohnt Bruce Willis“, sagt Zovia – nicht ohne Stolz in der Stimme. Aber auch, weil sie weiß, dass sich die Touristen hier nicht nur nach Schnorchelspaß am Korallenriff, Entspannung auf der Massageliege und Hummer vom Grill sehnen. Sondern nach Geheimnissen, wie dem, dass ihr Diddy, P. Diddy, Puff Daddy, Puffy oder wie auch immer sich der amerikanische Rapper aktuell nennen mag, einmal 23 000 Dollar Trinkgeld pro Woche zugesteckt hat. Leider habe der gute Mann dieses Mal kurzfristig seinen Aufenthalt abgesagt, da sei sie eben anders zugeteilt worden.

Ihre Gäste hinten auf den Polstersitzen schlucken, so groß sind ihre Geldbörsen nicht. Zovia kichert amüsiert. Ein paar Meter weiter. „Hier: Keith Richards.“ Sie deutet auf eine unscheinbare Einfahrt, inmitten dichter Vegetation. Die Anwesen ducken sich hinter Grün. Nur von der Wasserseite sind sie gut zu erkennen. Die Chancen einen Prominenten zu erspähen, sind gering. Sie haben ihr eigenes Personal, ihren eigenen Koch und müssen sich nicht am Büfett im Frühstücksraum anstellen.

80 Prozent der Turks- und Caicosinseln sollen unbewohnt sein. Selbst die Luxusinsel Parrot Cay hat den Charme eines vergessenen Ortes. Auf Post aus den USA müssen Bewohner zwei bis drei Monate warten, Fisch und Fleisch importieren die Küchenchefs per Expressluftfracht aus Florida und zweimal pro Woche legt ein Schiff mit Früchten und anderen Lebensmitteln an. Es gibt sonst nichts hier.

„Keith Richards steigt immer unter seinem echten Namen ab“, plaudert Zovia munter weiter, „von Dezember bis März ist er auf Parrot Cay.“ Bruce Willis und Michael Fox haben sich Decknamen zugelegt. Aber psst, die werden natürlich nicht verraten. Nur so viel: Action-Star Willis heißt so, wie der Teppich aussieht, mit dem er sein karibisches Feriendomizil hat auslegen lassen. Fluffig-cremefarben. Dekorationstechnisch ist er eher ein Kuscheltyp. Wem das gefällt, der kann, neben den Villen der anderen Promis, auch Willis’ Haus mieten, für 11000 bis 13 000 Dollar die Nacht – natürlich nur, wenn der Star selbst gerade nicht in der Hängematte schaukelt.

Auch die Irin Anne Bonny und die Engländerin Mary Read waren lange inkognito unterwegs. Sie hatten sich als Männer verkleidet, trugen weite Hosen, an deren Seite ein Säbel baumelte. So segelten sie, die das Schicksal als uneheliche Kinder teilten, an der Seite des Seeräuberkapitäns Calico Jack Rackham über die Meere. Er soll den „Jolly Roger“ erfunden haben, die Piratenflagge schlechthin, ein Totenkopf auf schwarzem Grund mit gekreuzten Knochen.

Das Trio war gefürchtet und doch wurde es, so erzählt die Legende, 1720 von Piratenjägern des Gouverneurs der Bahamas aufgespürt. Die beiden Frauen sollen sich noch tapfer an Deck verteidigt haben, aber es half alles nichts. Als erster wurde Jack gehängt. Anne und Mary sollen die Vollstreckung ihrer Hinrichtung mit dem Hinweis hinausgezögert haben, schwanger zu sein. Letztere starb im Gefängnis an einer Fieberkrankheit. Was mit Anne geschah, weiß man bis heute nicht. Sie soll entkommen sein, vielleicht hat sie einfach weitergemacht wie zuvor, als Freibeuterin.

Es ist wohl das bestgehütete Geheimnis von Parrot Cay – das früher anders hieß, nach seinen Bewohnerinnen: Pirate Cay. Aber den neuen Besitzern soll das zu blutrünstig geklungen haben.

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