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„Galileo“ im Abendlicht. Manchmal wird auch das Großsegel gesetzt – allerdings nur für die Optik.

©  Florian Sanktjohanser, pa

Kykladen: Mit zehn Knoten zu Dionysos

Eine Segelkreuzfahrt zu den Kykladen ist ein Klassiker in griechischen Gewässern. An Bord der „Galileo“ geht es eher familiär zu.

Die Show auf der „Galileo“ beginnt nach dem Frühstück. Zwei Matrosen ziehen an den Tauen, das Großsegel entrollt sich, bläht sich im Wind. Die Urlauber fotografieren entzückt. Und überhören gern, dass der Motor weiterbrummt. „Auf diesem Schiff sind die Segel nur zum Angucken“, gibt Diogenis Venetopoulos zu. „Wir versuchen, sie jeden Tag eine Stunde rauszulassen. Aber der Motor bleibt immer an.“ Der 34-Jährige ist der Chef von Variety Cruises, sein Großvater mit dem gleichen Namen gründete die Reederei. Diogenis der Ältere übersetzte griechische Bücher ins Deutsche und verstand nach dem Zweiten Weltkrieg schnell, wie er seine Fähigkeiten zu Geld machen konnte. Ab 1949 brachte er deutsche Urlauber nach Griechenland, 1968 baute er ein Fischerboot um und schipperte Gäste von Insel zu Insel.

„Es war chaotisch“, erzählt Venetopoulos. „Mal lief die Maschine, dann wieder nicht.“ Jede der spartanischen Kabinen hatte vier Betten, zwei Kabinen teilten sich eine Dusche. Den Deutschen gefiel es. Die Kreuzfahrt zu den Kykladen wurde zum Klassiker, an der Route hat sich bis heute nicht viel geändert. „Die Schiffe damals waren aus Holz und sehr einfach“, sagt Venetopoulos.

Nichts, was man heutigen Urlaubern anbieten könnte. Verglichen mit modernen Kreuzfahrtschiffen ist auch die „Galileo“, 1992 gebaut, eher rustikal. Aber sie hat einen großen Vorteil: Sie ist klein, 48 Meter lang, 10 Meter breit, für maximal 49 Passagiere. Und kann damit auf der einwöchigen Rundfahrt Inseln anlaufen, deren Häfen für die Riesenpötte zu seicht und eng sind.

Die Passagiere wachen in Polyegos auf

Am ersten Abend gleitet das Schiff bei bestem Fotolicht durch den schmalen Kanal zwischen Poros und dem Peloponnes. Es ist Freitag, wie jedes Wochenende sind wohlhabende Athener nach Poros geflüchtet. Ein paar Protz-Jachten liegen vor Anker. Aber die meisten Stühle in den Restaurants und Cafés entlang der Uferpromenade bleiben leer.

Über Nacht tuckert die „Galileo“ weiter. Die Passagiere wachen in Polyegos auf, der größten unbewohnten Insel der Kykladen. Der erste Schwimmstopp. Macchiapflanzen überziehen die Hügel bis hinab zu den rund gewaschenen Kalkfelsen. Unter Wasser sehen sie aus wie Schildkröten mit fleckigem Panzer.

Während der Fahrten lesen und dösen die Passagiere auf dem Sonnendeck. Ein Paar aus Australien erzählt, dass es die Reise von den Kindern geschenkt bekommen hat und zum ersten Mal in Europa ist. Ein Woody-Allen-Double, die Hose weit über den Bauch hochgezogen, ist aus Wales mit dem Zug angereist. Und zwei tätowierte Argentinier wundern sich. Sie hatten auf junge Leute und Party an Bord gehofft. Aber der Altersschnitt auf der „Galileo“ dürfte jenseits der 50 liegen.

Die Römer und die Militärdiktatur schickten ihre Gegner hierher in die Verbannung

Aus der Ferne, vom Sonnendeck aus betrachtet, wirken die Kykladen reizlos. Kahle, graubraune Hügel, von der Sonne durchglüht. Bezaubernd sind die Inseln erst, wenn man im Hafen festmacht und hinaufsteigt zum jeweiligen Hauptort, der sogenannten Chora. Die Städtchen, aus Angst vor Piratenüberfällen hoch auf die Hügel gebaut, sind so malerisch, dass sie künstlich wirken. Die blendend weißen Mauern und Treppen, die blau gestrichenen Fenster und Balkone, dazwischen die Farbexplosionen der Bougainvilleensträucher. Das schönste Städtchen von allen liegt auf Folegandros.

Die Römer und die Militärdiktatur schickten ihre Gegner hierher in die Verbannung. Glückliche Exilanten, denkt man fast, wenn man auf der einzigen Straße des Inselchens zur Chora hinauffährt. Die Venezianer bauten das Kastro, die befestigte Altstadt, im 13. Jahrhundert direkt an die Klippen, 210 Meter über dem Meer. Die Häuser stehen so eng, dass sie nach außen eine geschlossene Mauer bilden. Viele verfügen noch heute nur über ein großes Zimmer. Das Leben findet draußen statt, auf den Treppen und Dorfplätzen. Katzen schleichen herum, alte Männer trinken Bier und Ouzo unter einer Pergola, Schiebermützen über sonnengegerbten Gesichtern.

„Früher wurden auf den terrassierten Hängen Tomaten und Weizen angebaut“, sagt Hara Papadoukaki, Entertainerin und Tourguide auf der „Galileo“. Doch die Böden trockneten aus, viele Insulaner zogen nach Athen. Heute gibt es 17 Kirchen für 700 Menschen. Die Krise könnte den Trend drehen. Nun ziehen wieder Arbeitslose auf die Inseln, um zu fischen, Bienen zu züchten, Gemüse anzubauen.

Santorin ist ein Schock

Ganz in Weiß. Gemütliches Leben auf Paros.
Ganz in Weiß. Gemütliches Leben auf Paros.

© Florian Sanktjohanser, pa

Der Tourismus wird Folegandros einstweilen nicht reich machen. Auf die abgelegene Insel kommen fast nur Griechen. „Und neun von zehn Griechen kennen Folegandros nicht“, sagt Diogenis Venetopoulos. Dabei ist der Blick von der Kirche Panagia hoch über der Chora ähnlich grandios wie jener auf der wohl am meisten fotografierten Kykladeninsel Santorin.

An diesem Frühsommertag haben fünf Kreuzfahrtschiffe im Hafen der berühmten Vulkaninsel angelegt. Vor der Seilbahn stauen sich die Besuchermassen, oben auf den Klippen schieben sie sich durch die Gassen der Dörfer Fira und Oia. „Mausi, ich will aber auch was sehen, nicht nur durchhetzen“, nölt eine korpulente Besucherin aus Deutschland. „Dann musst du allein gehen“, bellt ihr Mann genervt zurück. Gedrängel, Gerempel, Kopfschütteln. Ein Spanier verliert die Fassung und schreit ein paar Engländer an, die durch sein Bild gehen.

Nach der Idylle von Folegandros ist Santorin ein Schock. Der ganze Wahnsinn fing 1967 an. Damals grub der Archäologe Spyridon Marinatos die Ruinen von Akrotiri aus. Er suchte eigentlich Atlantis. Und fand eine der ältesten Städte des Mittelmeers. Seit Juni 2012 ist die Ausgrabungsstätte wieder geöffnet. Ein Glasdach schützt die Ruinen vor dem scharfen Wind. Die „Galileo“ schippert weiter, Schwimmpause vor Antiparos, Ausflug auf Paros, Weiterfahrt nach Mykonos.

Ein echtes Segelschiff kreuzt unseren Weg, die Passagiere fotografieren es entzückt. Nachfrage beim Kapitän: Warum segeln wir eigentlich nicht? „Nur mit den Segeln könnte ich drei Knoten erreichen, das ist gar nichts“, erklärt Nikolas Tsoubakopoulos. „Mit dem Motor fährt das Schiff durchschnittlich zehn Knoten, maximal zwölf.“ Und das volle Programm der Kreuzfahrt lässt keine Verspätungen zu.

Delos ist ein riesiges Ruinenfeld

Tsoubakopoulos hat seit drei Jahren das Kommando auf der „Galileo“. „Ich weiß, das ist ein altes Boot“, sagt er. „Deshalb erzwinge ich nichts.“ Wenn der Wind heftiger bläst als mit Stärke sieben, fährt er nicht raus. „Dann wechseln wir zu den Ionischen Inseln hinüber“, sagt er.

Diesmal ist die See ruhig, nur wenige Passagiere sind manchmal ein wenig blass um die Nase. Doch vor allem im Herbst und Winter fegen heftige Winde über die Kykladen. Sie machen die Inseln zu einem fantastischen, aber schwierigen Segelrevier. Der Name des Archipels stammt vom altgriechischen Wort Kyklos, Kreis. Sein Zentrum ist Delos. Auf dem Höhepunkt lebten 30 000 Menschen auf der trockenen Insel. Heute ist Delos ein riesiges Ruinenfeld.

Jahrhundertelang wurde die Insel als Steinbruch missbraucht. Und die ersten Touristen im 19. Jahrhundert verließen Delos nicht ohne ein Andenken. Was übrig blieb, beeindruckt trotzdem: das Theater für 6000 Zuschauer, das Dionysos-Mosaik, die heilige Straße vom Marktplatz zum Tempelbezirk. Einst war sie eine überdachte Säulenhalle, Händler verkauften hier wahrscheinlich Souvenirs an die Besucher. Fast wie heute auf Mykonos.

Während die Matrosen das Schiff schrubben für die nächsten Gäste, spielt der Kapitän mit einem Offizier in Badehose Beachball. Auf einer Kreuzfahrt mit einem der Riesenpötte wäre solch eine Szene undenkbar. „Mir gefällt, dass sich alle hier an Bord kennenlernen“, sagte Alejandro Montoja aus Peru am ersten Tag der Kreuzfahrt. „Vielleicht sind wir am Ende eine große Familie.“ Ein bisschen hat er recht behalten.

Florian Sanktjohanser

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