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Wilde Ostküste. Auf Mallorca gibt es seit Jahren den Naturpark de Llevant. So reges Treiben wie in der Serra de Tramuntana bei Soller herrscht hier nicht.

© Dirk Kruell/laif

Mallorca: Das Wunder von Cap Ferrutx

So hat Mallorca ausgesehen, bevor die ganze Entwicklung des Tourismus losging: Das Naturschutzgebiet der Halbinsel Llevant ist weitgehend unentdeckt – und die Küste unverbaut.

„Nur Essen und Getränke!“ Die Ansage der Angestellten in der Finca S’Alqueria Vella klingt etwas kurz angebunden, ist jedoch unmissverständlich. Im Besucherzentrum des Parc Natural de la Península de Llevant blickt die Frau in olivgrüner Uniform kopfschüttelnd auf die Rucksäcke einer Gruppe deutscher Wanderer. „Das Gepäck müsst ihr schon selber tragen.“ Der Transportservice, der in dem Naturpark weit in Mallorcas Nordosten angeboten wird, beziehe sich ausschließlich auf die Verpflegung.

Also lädt ihr Kollege nur die drei Fünf-Liter-Wasserkanister und den Karton mit den festen Lebensmitteln auf seinen Kleinlaster. Einmal am Tag bringt er den Proviant der maximal 22 Übernachtungsgäste zum etwa elf Kilometer entfernten Refugi S’Arenalet. Die öffentliche Herberge in völliger Alleinlage dürfte auf der Insel einzigartig sein und bietet einen Panoramablick über den gleichnamigen breiten Sandstrand und die felsige Küste.

„Wenn wir in der Hauptsaison vollständig ausgebucht sind und dann noch das Gepäck transportieren würden, müssten wir viel zu oft hin und her fahren“, erklärt Eulàlia Caballé, die im Park für Umweltbelange zuständig ist. Mit der vielen Fahrerei würde man das angestrebte Ziel, die karge Landschaft frei von störenden Einflüssen zu halten, unterlaufen. „Wir sind in einem Naturpark, und da geht man zu Fuß.“

Die wenigen Menschen haben ihre Höfe längt verlassen

Im Jahr 2000 hat die balearische Landesregierung das gut 1600 Hektar große Gebiet der drei aufgegebenen Fincas S’Alqueria Vella, Albarca und Es Verger in der Gemeinde Artà gekauft. Die wenigen Menschen, die früher in dieser abgelegenen Gegend der Serra de Llevant lebten, hatten ihre Höfe damals längst für Arbeitsplätze in Palma oder in den Touristenhochburgen verlassen, sagt Caballé.

Sie schwärmt von der Energie, die dieser Ort für sie ausstrahlt. „Das Land ist wenig ertragreich. Hier können Sie die Anstrengung, die in dieser kargen Gegend nötig waren, den Boden zu bestellen und davon zu leben, noch immer förmlich spüren.“

Und zwar unmittelbar nach dem Start der Wanderung, bei der es zunächst einige Kilometer bergauf geht. Die meisten der auf Terrassen gepflanzten Mandelbäume sind ohne die notwendige Pflege verdorrt. Ihre hölzernen Gerippe ragen knorrig wie um Wasser flehend in die Höhe.

Auf den wenigen ebenen und daher zum Ackerbau geeigneten Flächen im Tal zwischen den hier bis zu 560 Meter aufragenden Gipfeln des Massivs von Artà wuchern Gras, Ginster und Zwergpalmen. Die Höfe sind teilweise verfallen, in der Finca Es Verger wachsen inzwischen Bäume im einstigen Wohnzimmer.

Kümmerlicher Hafer wächst auf steindurchsetztem Lehm

Ursprünglich sei der Park etwa zehn Mal so groß gewesen, sagt Caballé. Er habe einst tatsächlich die gesamte Nordost-Halbinsel umfasst. Doch die Einbeziehung von privatem Land sei nach Protesten der Eigentümer 2003 zurückgenommen worden. Seither konzentriere man sich auf die öffentlichen Fincas.

Einige Gebäude wie das Herrenhaus S’Alzina inmitten weitläufiger Olivenhaine oder das zu diesem Landgut gehörende ehemalige Badehaus am S’Arenalet-Strand sind restauriert und in Refugis, Unterkünfte für Wanderer, umgewandelt worden.

Auch der Boden werde zum Teil wieder bestellt, kümmerlicher Hafer etwa wächst auf dem steindurchsetzten Lehm. „Wir erhalten die Kulturlandschaft so, wie sie seit Jahrhunderten war. Das heißt, wir nutzen keinen chemischen Dünger und keine schweren Maschinen“, sagt Caballé.

Insgesamt 13 kombinierbare Wanderwege zwischen einem und sieben Kilometer Länge sind im Park vorbildlich ausgeschildert. Sie führen zu historischen Schöpfrädern und Ölmühlen, auf Aussichtsgipfel oder zur Küste.

Der meistbegangene Weg ist wohl der Camí dels Presos, der „Weg der Gefangenen“. Ranger Josep Rullan fährt mit seinem Kleinlaster über die an einigen Stellen unterbrochene Straße, die republikanische Kriegsgefangene nach dem spanischen Bürgerkrieg von 1941 auf Befehl von Faschistenführer Franco bauen mussten. „Die sollte zu einer Militärbatterie auf dem höchsten Berg führen.“ Diese Artilleriestellung sei jedoch nie gebaut worden.

Ein weiser Beschluss der Gemeinde Artà

In sensationeller Lage: Die Schutzhütte S'Arenalet.
In sensationeller Lage: Die Schutzhütte S'Arenalet.

© Daniel Sprenger

„Das Leben war hier wie im Gefängnis, nur noch härter“, sagt Rullan, als er vor den Ruinen des „Campament dels Soldats“ hält. Viel ist vom ehemaligen Arbeitslager nicht erhalten geblieben: die Aufsichtsbaracke, Reste der Zwangsarbeiterschlafräume und die Außenmauer des Areals, die erstaunlich niedrig war. Fliehen war in der abgeschiedenen Gegend fernab jeden Dorfes augenscheinlich keine ernsthaft in Betracht zu ziehende Option.

Nahe der Ruinen pflegen im Frühjahr die Rinder der parkeigenen Herde zu rasten, der Wassertank ist nicht weit. Mit ihren mächtigen Hörnern wirken sie auf den ersten Blick abschreckend. Und auf den zweiten auch. Doch wenn Wanderer das Gatter öffnen, erheben sie sich friedlich-träge und machen den Eindringlingen bereitwillig Platz.

Bei unserem jüngsten Besuch im August sind die Tiere jedoch nicht da. „Wir bringen sie zwischen Juni und September weg von hier“, erklärt Rullan. Es sei dann einfach zu heiß hier oben. Den Sommer über bleiebn die Rinder im Feuchtgebiet S’Albufera bei Alcudia. „Dort verbringen sie sozusagen ihren Urlaub.“

Rund um das Campament fällt ein mit Pinien bewachsener Hang auf. „Das ist der einzige Wald, den wir im Park haben“, sagt Rullan. Die früher intensive Schafzucht habe dazu geführt, dass die Vegetation heute von Garigue dominiert wird, also von einem dichten Bewuchs aus niedrigen Sträuchern und Büschen. Zum einen sei nämlich der Wald abgebrannt worden, um auf der fruchtbaren Asche Grasflächen für die Schafe anzulegen. Zum anderen verhinderten die Schafe selbst neuen Baumbewuchs, weil sie eine Vorliebe für junge Triebe haben.

Selbst in der Wandersaision ist hier nicht viel los

„Heute sind Wildziegen das größte Problem für die Bäume“, beklagt Rullan. Die Wiederaufforstung sei schwierig, derzeit experimentiere man mit verschiedenen Baumvarianten. Links des Weges stehen mannshohe Pinien in einem eingezäunten Abschnitt. Rechts wachsen gerade mal einen Meter hohe Exemplare, um ihre dünnen Stämmchen ist ein drahtiger Bissschutz montiert. „Dabei wurden diese Bäume alle gleichzeitig gepflanzt.“

Der Kleinlaster rumpelt an einer fünfköpfigen Familie vorbei, die in der prallen Sonne unterwegs ist. Andere Menschen sind weit und breit nicht zu sehen. Selbst zur Wandersaison im Frühjahr und Herbst ist das nicht viel anders.

Während in der Serra de Tramuntana manche Wege, vor allem rund um Deià und Sóller, einer Wanderautobahn gleichen, ist der Naturpark im Nordosten eine wenig frequentierte Nebenstrecke. „Hier kommen keine Busse her. Diejenigen, die sich zu uns auf den Weg machen, sind wirklich an der Natur interessiert“, meint Caballé. „Tja, man muss halt wissen, dass es uns hier gibt.“

Dort, wo die „Straße der Gefangenen“ im Nichts endet, beginnt der Abstieg zur Küste, wo das Refugi de S’Arenalet bereits zu sehen ist. Der Proviant steht wie versprochen mit Namensschild versehen im Eingangsbereich. Die Doppelzimmer haben jeweils ein eigenes Bad, neben den Betten gibt es noch einen Tisch. Mehr nicht. Über die Decken wird die für einen Euro erhältliche Einmalbettwäsche aus weichem Papier gezogen.

Selten schmeckt ein Rotwein so gut wie nach einem ordentlichen Marsch

In der Küche backt eben eine israelische Familie koscheres Brot. „Wollt ihr etwas abhaben?“ Die Gruppe lehnt das freundliche Angebot dankend ab, schließlich hat sie selbst mit Spaghetti und Tomatensoße vorgesorgt.

Auf der Terrasse mit Blick über den menschenleeren Strand stellen sich schnell zwei Erkenntnisse ein. Die erste: Selten schmeckt Rotwein so gut wie nach einem solch ordentlichen Marsch mit vollem Gepäck vom Parkeingang bis hierher. Und die zweite: Es wäre tatsächlich völlig unpassend und daneben gewesen, sich in diese einsame Gegend das Gepäck wie in ein schniekes Hotel liefern zu lassen.

Am nächsten Morgen ist die Sonne gerade aus dem Meer gestiegen. Die sanften Wogen schimmern wie mit Blattgold überzogen. Allein im Wasser dümpelnd wandert der Blick des frühen Schwimmers ziellos über die vermutlich nur scheinbar menschenleere Küste. Eine Küste, der bisher einiges erspart blieb, konnte sie doch zumindest vorläufig vor Bauspekulanten beschützt werden.

Was im Vergleich zu den im Südwesten und Osten der Insel großflächig zubetonierten Abschnitten wie ein Wunder erscheint, geht auf einen weisen Beschluss der Gemeinde Artà zurück. „Die gesamte Ostküste ist ziemlich dicht besiedelt und verfügt über eine gut ausgebaute Infrastruktur. Artà hat sich früh dafür entschieden, seine Landschaft zu erhalten“, erklärt Caballé.

Es schwingt eine Portion Lokalstolz mit, als sie sagt: „Hier können Besucher einen direkten Eindruck davon bekommen, wie Mallorca ausgesehen hat, bevor die ganze Entwicklung des Tourismus losging.“

Tipps für Mallorca

ANREISE

Ab Tegel mit Air Berlin und Germanwings, ab Schönefeld mit Easyjet und Condor, Preise ab rund 100 Euro retour dürften realistsich sein.

Ökologisch weniger korrekt, doch ein Mietwagen erleichtert das Touristenleben auf Mallorca enorm, wenn man nicht nur zwischen Hotel und Strand pendeln möchte. Wer den Naturpark besuchen möchte, benötigt von Palma aus ungefähr eine Autostunde bis Artà, von dort auf der PM-3333 den Schildern „Parc Natural“ knapp fünf Kilometer folgen. Parkplatz am Parkeingang. Einen kleinen Mietwagen bekommt man Ende Oktober für rund 130 Euro pro Woche.

UNTERKUNFT

Refugi S’Arenalet: drei Doppel- (40 Euro), vier Vierbettzimmer (60 Euro). Im Sommer und an Wochenenden in der Nebensaison schnell ausgebucht. Refugi S’Alzina, etwa vier Kilometer landeinwärts, fünf Doppelzimmer (40 Euro). Beide Herbergen mit voll ausgestatteter Küche sowie Badezimmer mit Dusche. Achtung: Trinkwasser mitnehmen. Buchung maximal drei Monate im Voraus für höchstens drei Nächte (iba nat.caib.es; nur auf Spanisch oder Katalan).

Wer es gern etwas komfortabler hat und nur Tagestouren zu Fuß unternehmen möchte, sollte sich das Sa Duaia anschauen, ein Landhotel in einem von der mallorquinischen Kultur inspirierten Herrenhaus aus dem 15. Jahrhundert. Das traumhaft gelegene Haus an der Straße zur Naturbucht Cala Torta erscheint als geeigneter Ort für Individualisten, die es weniger spartanisch mögen: Doppelzimmer im Haupthaus für 70 bis 90 Euro inklusive Frühstück (Nebensaison). Es gibt einen schönen Infinity Pool und einen liebevoll gestalteten Garten; gutes Restaurant mit Aussichtsterrasse. Telefon: 00 34/658/958 890, Internet: saduaia.com

AUSKUNFT

Das Besucherzentrum ist täglich von 9 bis 16 Uhr geöffnet).

Daniel Sprenger

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