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Liberale Bildung. Eine Studentin im Innenhof der amerikanischen Universität von Schardscha. Foto: laif

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Emirat Schardscha: Das bezahlte Riesenrad

Das Emirat Dubai glitzert – und hat Geldsorgen. Nachbar Schardscha zeigt, wie es besser geht.

An der Kaimauer von Schardscha dümpeln Dhaus, jene Segelschiffe, die seit Jahrhunderten zwischen der arabischen Halbinsel, Afrika und Persien verkehren. Hier am Hafen erkennt man, was das kleine Emirat von seinem Nachbarn Dubai unterscheidet: Es gibt keine Hochhäuser und keine Glitzerhotels. Hier stehen normale Wohnhäuser, eine Moschee – und eine alte Markthalle, die man in Dubai wohl abgerissen hätte. In Schardscha siedelte der Scheich die Händler um, ließ den Souk prächtig restaurieren und machte das Museum für die islamische Zivilisation daraus. Kultur statt Kommerz, Religion statt Profitgier, Natur statt Plastik. So versuchen sie in Schardscha, Touristen anzulocken.

Schardscha, so groß wie das Saarland, ist wie sechs weitere Teilstaaten, darunter Dubai und Abu Dhabi, Mitglied der Föderation Vereinigte Arabische Emirate (VAE). Die einzelnen Emirate werden monarchisch von jeweils einer Familie regiert und sind weitgehend autonom. Scheich Mohamed al Qassimi, Jahrgang 1939, regiert Schardscha seit 1972. Er hat zwei Doktortitel in Geografie und Philosophie. Unter seiner Führung kürten 57 islamische Staaten das Emirat zur Kulturhauptstadt 2014 der islamischen Welt.

„Wir haben hier vor allem Kulturtouristen“, sagt Ulrike al Khamis, deutsche Beraterin des Schardscha Museum of Islamic Civilisation. Die promovierte Archäologin führt durch das Museum, das von einer imposanten Kuppel gekrönt wird. Innen ist diese von einem tiefblauen Mosaik ausgekleidet, mittendrin sind in Gold die Sternbilder geprägt. „Unser Museum stellt die Errungenschaften der arabischen Welt dar“, sagt Ulrike al Khamis. Die Anfänge der Astronomie, sie liegen genauso im arabischen Sprachraum wie die der Geografie und der Krankenhausmedizin, im Museum demonstriert anhand von Himmelsscheiben, Weltkarten und Modellen von Hospitälern.

Ein großer Teil der Ausstellung widmet sich dem Islam. Präsentiert werden uralte Ausgaben des Koran, Gebetsteppiche und Statuen. „Der Islam wird weltweit ungerechterweise als Religion der Terroristen geächtet“, sagt al Khamis, die sich, selbst Christin, als Vermittlerin zwischen den Kulturen sieht.

Schardscha, das klingt verträumt, doch wer eine Stadt aus Tausendundeiner Nacht erwartet, wird enttäuscht. Schardscha wurde zwar vor mehr als 5000 Jahren gegründet, die wenigen alten Gebäude, die es noch gibt, stammen aber aus dem 19. Jahrhundert. Bait al Naboodah zum Beispiel, das zum Museum umfunktionierte Haus einer Perlentaucherfamilie.1845 wurde es in traditioneller Golfarchitektur aus Muschelstein erbaut. Geschnitzte Holzsäulen tragen die Decke über den Arkaden. Der Innenhof ist neu gepflastert, ein Mann im weißen Traditionsgewand ist gerade dabei, die Türen zu lackieren, die Wände wirken wie frisch verputzt. So gut meint man es hier mit der Restaurierung, dass das Gebäude wie die gesamte Altstadt ein wenig künstlich wirken.

Die VAE entwickeln sich rasend schnell. Ein junges Land, das seit der Gründung vor 39 Jahren aus dem Mittelalter in die Moderne katapultiert wurde. Emiratis rechnen in der Zeit „vor und nach dem Erdöl“. Vorher waren sie Beduinen, seit den 1960er Jahren wird das „schwarze Gold“ gefördert, ungefähr gleichzeitig entließ Großbritannien die Emirate, die vorher britische Protektorate gewesen waren, in die Unabhängigkeit. Heute nehmen die VAE mit ihrer Erdölförderung weltweit den sechsten Platz ein.

In Schardscha sollen Erdöl und Erdgas in ungefähr zehn Jahren versiegen. Zwar wird das Emirat auch danach noch über eine Art Länderfinanzausgleich von den großen Vorkommen in Abu Dhabi profitieren. Aber Schardscha will für die kommende Zeitenwende gerüstet sein und investiert deshalb massiv in Bildung und Tourismus. Wo es geht, bringt man beides zusammen.

Schardscha hat 20 Museen, allesamt gut ausgestattet und mit modernem Konzept. Das Discovery Center und das Science Museum etwa bringen Kindern spielerisch die Wissenschaft näher. Im Wildlife Center sind in großen Hallen – um Tiere und Menschen vor der Hitze zu schützen – ganze Steppenlandschaften nachgebaut, in denen Vögel frei umherfliegen und Leoparden herumstreunen. Schüler und Schülerinnen in allen Hautfarben tollen durch die Gänge.

Am Stadtrand steht das neueste Prunkstück: ein Aquarium, in dem man durch einen Tunnel durch die Unterwasserwelt spazieren und dabei Haie, Rochen, Korallen und viele Knochenfische bestaunen kann. Tafeln klären darüber auf, dass Ölbohrungen Ökosysteme gefährden können, ein Plakat kündigt die erste Artenschutzkonferenz der arabischen Halbinsel an – in Schardscha. Hier scheint es, als sei das Emirat im Jahrhundert der Nachhaltigkeit angekommen. Aber es gibt auch gegenteilige Eindrücke.

Auf den Straßen von Schardscha-City sieht man sehr viele große Autos, Hummer zum Beispiel, jene für das US-Militär gebauten, überdimensionierten Geländewagen. In Europa sind sie wegen hohen Spritverbrauchs verpönt, aber in den VAE kostet das Benzin nur 27 Cent pro Liter, Steuern gibt es nicht. Die zahlreichen Kreisverkehre mit kurz gemähtem Rasen und Blumen wirken wie künstliche Oasen inmitten von Asphalt und Sand, geschaffen mit Bewässerungsschläuchen im Abstand von wenigen Zentimetern und großem Energieaufwand. Alle Autobahnen in den VAE sind beleuchtet – an Geld und Energie mangelt es diesem Staat nicht.

Schardscha, das ist nicht nur die gleichnamige Hauptstadt, in der 90 Prozent der 900 000 Einwohner leben, sondern eine Wüste von der Größe des Saarlandes, darin mehrere Oasen sowie zwei Enklaven an der Ostküste des Landes. Zu einer von beiden, Khor Fakkan, führt eine Autobahn. Links und rechts der Straße sieht man Dünen und Zäune, die die Kamele fernhalten sollen. Auf dem Asphalt wirbelt der Wind Sand umher, Hitze steigt auf, die Luft flirrt. Dann tauchen am Horizont Berge auf, aus dem hellen Wüstensand erhebt sich schroff das nackte, braune Gestein des Al-Hadschar-Gebirges bis auf 1500 Meter Höhe. Kein Grün, keine Pflanze. Man hat die Autobahn einfach in die Berge gesprengt. Von oben, der Passhöhe, bietet sich ein wunderbarer Blick: Am Fuße des Gebirges stehen weiße Häuser, dahinter leuchtet blau der Indische Ozean. Khor Fakkan hat einen kilometerlangen, palmengesäumten Sandstrand. Es ist der Ort für Badetourismus in Schardscha. Boote bringen Gäste zum Schnorcheln und Tauchen zu vorgelagerten Korallenriffen, Jetski sind zu mieten.

Am Abend in Qanat al Qasba, dem Vergnügungsviertel von Schardscha City. Boote fahren Gäste durch einen Kanal zwischen hell erleuchteten Restaurant- und Geschäftszeilen, Karussells kreisen.

Im Hintergrund leuchtet Dubai mit dem höchsten Gebäude der Welt. Im Januar wurde es eröffnet – und gleich von Burj Dubai in Burj Chalifa umbenannt nach dem Herrscher von Abu Dhabi, weil der den bankrotten Bauherren mit einem Milliardenkredit ausgeholfen hat. Im Vordergrund steht das Wahrzeichen Schardschas: ein Riesenrad, 60 Meter hoch, solide mit europäischer Technik gebaut – und bezahlt.

Frederik Jötten

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