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In Little Venice grenzen die Häuser direkt ans Meer.

© Amyth Hotel

Unsere Hotelkolumne für Mykonos: Eine Nacht im Amyth

Mykonos plagt ein schlechter Ruf: hohe Besucherzahlen, astronomische Preise, Kriminalität. In diesem Hotel versucht man sich an einem Neuanfang mit aufpoliertem Image.

Um einen Ort zu verstehen, muss man seine meist geschätzte Sehenswürdigkeit besuchen. Auf Mykonos liegt sie gleich gegenüber dem Flughafen, in der Mitte der Insel. Knatternde Gefährte parken davor, Zwittermaschinen aus Designer-Traktor und Vespa. Diese Quads gehören Touristen, die in den weißen Würfelbau mit den abgerundeten Ecken pilgern: in den Flora Supermarkt.

Das ist kein Dorfkonsum der griechischen Kykladen, sondern eine Erlebniswelt mit eigenem Instagram-Konto. Trockensträuße hängen von der Decke, die Tresen haben schicke Holzverkleidungen, ein Wodka-Hersteller hat eine Mykonos-Installation mit Windmühlen und Flaschenpyramiden aufgebaut – und neben den Kühlschränken mit den Molkereiprodukten steht ein DJ-Pult, hinter dem jeden Sommertag ein Musikunterhalter Platten auflegt.

Um den Pool herum gruppieren sich die Zimmer.

© Amyth Hotel

Dieser Lebensmitteltempel fungiert als Schnittstelle zwischen Ankommenden und Dableibenden. Einheimische staunen in den Gängen, welche Nahrungswünsche Touristen für überlebenswichtig erachten. Kale-Chips aus England sind in die Regale eingeräumt, Joghurt aus Mandelmilch, glutenfreie Hamburgerbrötchen für vegane Burger. Fast museal wirkt die Zurschaustellung der teuersten Alkoholika-Kollektion der griechischen Inseln. Rum, Whiskey, alles im vierstelligen Bereich und hinter Glas: eine Flasche französischer Cognac beispielsweise für 9888,87 Euro. Ob der Käufer sich die 13 Cent Wechselgeld zurückzahlen lässt?

Auch Achilleas Charatsidis läuft an diesem Dienstag durch die Gänge des Supermarkts. Der Hotelmanager braucht die glutenfreien Hamburger für seinen Koch im Amyth Hotel, der damit experimentieren möchte. Charatsidis, 41, gebürtig aus Thessaloniki, ein freundlicher Mann mit dem Gemüt eines satten Bären, schüttelt den Kopf, wenn er wieder ein besonders ausgefallenes Produkt entdeckt. Chips-Sorten auf Kartoffelstampfbasis? Nie zuvor gehört.

Der Hotelier ist belustigt über den ausgestellten Überfluss – und besorgt über deren Auswüchse. Mykonos ist die Problembärin unter den griechischen Inseln. Von legendärem Ruf sind ihre Besucher: Claudia Schiffer, Elon Musk und Tommy Hilfiger sind den Paparazzi allein vergangenes Jahr vor die Linse gelaufen. Genauso gut dokumentiert sind jedoch auch die Querelen des 86 Quadratkilometer großen Steinhaufens, der gerade einmal die Fläche einer deutschen Mittelstadt wie Würzburg einnimmt: hohe Besucherzahlen, astronomische Preise, Gelegenheitskriminalität und Korruption.

Der Blick vom Amyth Hotel über die Ägäis.

© Amyth Hotel

Gerade erst veröffentlichte die „New York Times“ einen Artikel, in dem sie von der dunklen Seite des Immobilienbooms vor Ort berichtet. Ein Archäologe, der im Staatsauftrag Vorstöße gegen die Bauschriften dokumentierte, war im März bewusstlos geschlagen worden. Von einem „mafia-ähnlichen“ Anschlag war die Rede, die Einheimischen warfen der Regierung laxe Kontrollen vor – sodass diese sich gezwungen sah, nun endlich zu handeln. 100 zusätzliche Polizeikräfte wurden auf die Insel verlegt, 75 Verfahren wegen illegaler Bautätigkeit eingeleitet und zwei berühmte Strandclubs gar geschlossen.

Wann ist genug genug? Für einige Touristen scheinbar dieses Jahr. Die Ankünfte in Mykonos sind in diesem Jahr um ein Viertel eingebrochen, während es im Rest des sehr nachgefragten Landes um 17 Prozent nach oben ging. Charatsidis spricht von einer „schwierigen Saison“, er hofft auf den Sommer und darauf, dass man sein Hotel nicht mit den Schattenseiten der Mykonos-Blase in Verbindung bringt.

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Als erstes wäre das die Überfüllung. Etwa 10.000 Einwohner leben auf der Insel, bereits kurz nach Sonnenaufgang zählen Gäste von der Terrasse des Amyth fünf Kreuzfahrtschiffe in der Bucht. Selbst bei einer durchschnittlichen Zahl von 5000 Passagieren, kämen mehr als doppelt so viele Touristen an diesen Ort wie er Einwohner hat – jeden Tag! Dazu addieren sich die Reisenden, die per Fähre oder Flugzeug eintreffen und in den vielen Hotels, Herbergen und Airbnb-Kaschemmen übernachten.

Im Amyth fühlt man sich von diesem Ansturm verschont. Das Haus mit den 16 Zimmern befindet sich auf halber Strecke einen Hang hinauf, etwa drei Kilometer entfernt von Mykonos Stadt. Unten schwimmen Griechen am Strand von Agios Stefanos, oben hebt ein Hubschrauber vom Heli-Pad einer Villa ab. Rund um einen Swimmingpool gruppieren sich Bar, Open-Air-Restaurant und die Suiten mit Meerblick. Kakteen blühen, werfen grafisch anmutende Schatten auf weiße Mauern. Leise rieselt Musik von irgendeiner Playlist aus den Boxen.

Aufgabenverteilung für den Tag: Schaukeln, baden, dösen.

© Amyth Hotel

Achilleas Charatsidis erzählt im Hotel von Partyveranstaltern, die Privatvillen buchen, einen DJ einfliegen lassen, über soziale Medien einladen und 500 Euro Eintritt zu den exklusiven illegalen Events verlangen. Nachbarn beschweren sich über Lärm, die Behörden über hinterzogene Steuern. Mykonos ist not amused. Dieses Jahr stellt der Staat deshalb eine Taskforce, die mit Drohnen die Insel abfliegt und sie nach verdächtigen Aktivitäten scannt. Vor zehn Tagen erst, erzählt der Hotelmanager, sei wieder eine Party aufgeflogen.  

Im Amyth findet kein Feiervolk Zuflucht. Ganz bewusst informiert man nicht über anstehende Raves, sondern potenzielle Spa-Behandlungen. Detox von der Unruhe dort draußen. Dieses Hotel geht einen Schritt zurück in die Zeit, als der Massentourismus noch keine Schäden hinterlassen hat. Es verlangt von seinen Gästen, durchzuatmen, den Blick über die Ägäis schweifen zu lassen, bis hinüber zur Insel Delos, wo angeblich Apollo, der Gott des Lichts, geboren wurde.

Den Rückwärtsgang einschalten, das gilt sowieso für alle, die per Auto oder Taxi anreisen – und das betrifft wohl die Mehrheit der Touristen, seit der Eselskarren auf Mykonos abgeschafft wurde. So steil ist die Auffahrt, dass man kaum wenden kann und anders nicht auf die enge Zufahrtsstraße hinauskommt. Diese Unzugänglichkeit schafft Vorteile. Muss man eigentlich raus, wenn man nun endlich im Kokon hinter Natursteinmauern angelangt ist?

Pflanzen werfen grafisch anmutende Schatten im Hotel Amyth.

© Tagesspiegel/Ulf Lippitz

Beruhigend ist nicht zuletzt die Gestaltung der Räume. In den Zimmern wandeln Gäste auf kühlen Steinplatten, braune Midcentury-Sessel stehen zum Versinken bereit, neben dem bequemen Bett hängen Lampen mit der inseltypischen Schirmverkleidung aus getrockneten Halmen. Sie sehen ein wenig so aus, als trügen die Leuchten schlecht sitzende Faschingsperücken.

Noch ein Punkt, an dem sich das Amyth von anderen Unterkünften absetzt: der Preis. Pro Nacht gibt es Zimmer ab 230 Euro, das ist lachhaft günstig, wenn man die Rate mit anderen Fünfsterne-Häuser vergleicht. Im oberen Drittel zahlen vermögende Urlauber bis zu 1000 Euro pro Nacht. Und laut ist es dann vielleicht trotzdem.

 So sieht es in Mykonos aus, wenn kein Tourist durch die Gassen geht.

© Amyth Hotel

Achilleas Charatsidis fährt am Nachmittag nach Mykonos Stadt, er will den Ort zeigen, an dem vor einem halben Jahrhundert der Touristenauftrieb begonnen hat. Er parkt den Wagen vor dem Ortseingang, geht die Promenade am kristallgrünen Meer entlang und tritt ins Gassengewirr des Ortes ein. Sofort bilden sich Trauben, Menschen schieben, staunen, kollidieren. Und marschieren schnurstracks an der Galerie von Giannis Galatis vorbei, was der Künstler und Modemacher selbst wohl als im höchsten Grade ignorant bezeichnen würde.

Galatis ist ein Grieche unbestimmten Alters, der bereits in den 1970er Jahren auf die Insel kam, dort seine folkloristischen Motive malte und an vermögende Bekannte verkaufte. Er ist ein Bohemien alter Schule, gut vernetzt, sehr selbstbewusst. In seiner Galerie hängt ein Plakat, das ihn ganz bescheiden als „The Icon“ bezeichnet und seinen Ruhm in Zahlen auflistet: 137 international publizierte Artikel über ihn, 600 in griechischen Medien, 50 Kollektionen, die er auf Yachten präsentierte, 39 Topmodels, mit denen er zusammenarbeitete – und tausende Reisende, die jeden Tag an seinem Laden vorbeischlendern. Es braucht keinen weiteren Beweis mehr, dass sich Mykonos auffallend verändert hat.

Die älteste Kirche des Eilands steht in Mykonos Stadt.

© Tagesspiegel/Ulf Lippitz

Natürlich muss man sich noch die älteste Kirche der Insel ansehen, die aus mehreren Einzelkapellen besteht und wie weiß überzuckert aussieht. Ein Blick auf das malerische „Little Venice“, die Häuserreihe am Ufer, fehlt in keinem Mykonos-Urlaubskalender, und auch nicht der Besuch der Straße Enoplon Dinameon, wo sich vermutlich die einzige Grundschule der Welt befindet, die in Spuckweite eines Louis-Vuitton-Geschäfts liegt.

Abends geht es in die Taverne Limnios, fünf abschüssige Fußminuten vom Amyth Hotel. An weißen Wänden hängen düstere Gemälde, die aussehen, als hätte ein trauriger Clown sie gemalt. Erste Erleichterung: Es gibt eine richtige Karte. Nicht wie im DK Oyster an der Südküste, vor dem viele Touristen wegen Abzocke warnen.

Angeblich führt das Restaurant keine Preisliste, Gäste müssen diese beim Kellner erfragen – tun sie das nicht, präsentieren Kellner manchmal eine Rechnung, die wie erwürfelt erscheint. Im Netz finden sich etliche Erfahrungsberichte von Geprellten, die beispielsweise für drei Cocktails sowie eine Pommes mit Mayo etwa 400 Euro zahlen sollten. Auch Achilleas warnt vor diesem Abzocker-Laden.

Nicht so in der Taverne. Traditionelle und sehr gut gewürzte Fleischbällchen gibt es für 13 Euro, die frittierten Zucchini kosten nur zehn Euro. Die patente Kellnerin rät von den einheimischen Würsten vor der Bettruhe ab. „Sie werden die Nacht nicht schlafen können“, sagt sie und streicht sich über den Bauch.

Morgens liegt die Ägäis zu Füßen. Hähne krähen, Vögel zwitschern, und die eine oder andere Zivilisationsdissonanz zerschneidet die Stille. Mykonos ist ein ständig werdendes Feriengebiet, mit Säge oder Hammer wird Hand angelegt, damit am Ende alles weiß strahlt, glänzt und blendet. Die neue Saison auf Mykonos, sie soll schöner, demokratischer, weniger anrüchig werden. Im Amyth macht man einen guten Anfang.

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