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Die Außenansicht des Hotel Kulm.

© Hotel Kulm

Unsere Hotelkolumne in St. Moritz: Eine Nacht im legendären Kulm

In diesem Haus  führte eine Wette zum Aufstieg des Wintertourismus  in der Schweiz. Heute steht das Kulm für Luxus, lange Flure und manchen Spontanauftritt von Stars. 

Das Kulm Hotel ist eine Legende. Was natürlich auch heißt: Mythos und Realität vermischen sich. Was stimmt, was ist überliefert, was ein Märchen? Der griechische Reeder Stavros Niarchos soll das Luxushotel 1968 erworben haben, um zu verhindern, dass daraus ein Club Med entstünde, wie es ein Plan vorsah. Der Stargeiger Nigel Kennedy hat bei seinem Besuch nachts um drei halbnackt von seinem Balkon gespielt – und Randy Crawford sich mit Hauslatschen ans Klavier in der Lobby gesetzt.

Alles nette Anekdoten. Je öfter man sie erzählt, umso wahrer werden sie. Was historisch wasserdicht belegt ist: Johannes Bardutt übernahm 1856 eine Sommerpension im kleinen St. Moritz und erfand mit seinem Kulm Hotel den Wintertourismus in den Alpen. Damals reisten die meist englischen Gäste für das Wasser der nahen Heilquellen an und genossen die Sommerfrische am See. Eines Abends im Herbst 1864 soll der Hotelbesitzer mit ein paar Gentlemen gewettet haben, dass es sich doch lohnen würde, die kalte Jahreszeit in St. Moritz zu verbringen.

Großes Gelächter der Briten, generöse Geste des Schweizers: Sollte es den Herren nicht gefallen, bekämen sie ihr Geld zurück. Beide Parteien schlugen ein, und die skeptischen Urlauber verbachten eine fabelhafte Zeit in den schneebedeckten Alpen. Seit jenem Winter lacht kein Engländer mehr über Schweizer Unternehmertum.

Der Gründergeist ging nun um im Engadin. Johannes Badrutt installierte 1879 das erste elektrische Licht der Schweiz und erleuchtete damit das Restaurant. Weitere Hotels und Herbergen öffneten ihre Pforten. Einige Jahre später empfing weiter unten im Tal das Badrutt’s Palace seine Gäste, vor dem Ersten Weltkrieg kam das mondäne Suvretta House dazu.

Die Lobby des Hotels: so schick wie respekteinflößend.
Die Lobby des Hotels: so schick wie respekteinflößend.

© Hotel Kulm

Mit der steigenden Touristenzahl wurde auch das Kulm größer. Heute erstrecken sich die 164 Zimmer und Suiten über verschiedene Gebäudeteile. Statt des Sommers wählten die Reisenden den Winter für ihre Auszeit in den Bergen. Skipisten wurden angelegt, Skischulen gegründet, selbst Menschen, die nicht mit Schnee aufgewachsen waren, wollten zum Jetset der Schlittenfahrer und Eisläufer zugehören. So kam auch Stavros Niarchos ins Tal.

Heute erinnern die breiten Flure an jene Tage, als die Damen noch ausladende Reifröcke trugen und es auf keinen Fall zu unangenehmen Kollisionen auf dem Korridor kommen durfte. An der Decke zeugen filigrane Intarsien von der Handwerkskunst der Baumeister, in der Lobby stoffbezogene Säulen von der Modernisierungslust der Innenausstatter. Überhaupt: die Lobby. Kronleuchter, Marmorsäulen, breite Treppe. Kaum ein anderer Ort in diesem 5000-Einwohner-Dorf verströmt so viel Grandezza.

So sieht die Deluxe Junior Suite im Kulm aus.
So sieht die Deluxe Junior Suite im Kulm aus.

© Hotel Kulm

Oben in den Zimmern riecht es. Würzig. Holzig. Intensiv. Aus der Zirbel stammt das helle Holz an der Wand, von manchen Möbeln und den begehbaren Schränken. Soll angeblich zu gesünderem Schlaf führen. Ansonsten finden sich je nach Kategorie cremefarbene Couches, dunkelblaue Sessel und immer ein weißes Himmelbett, von dem man aus den See erspähen kann – sofern man rückseitig im Hotel logiert. Das historische Haus hat vom Schweizer Gault Millau bereits mehrfach den Titel „Bestes Hotel“ des Landes erhalten, es gehört mit anderen Fünf-Sterne-Hotels zu den 39 „Swiss Deluxe Hotels“.

In der Sommersaison haben vier Restaurants für die Gäste geöffnet, im Winter sind es gar sieben. Vor der Pandemie hatte der Berliner Sternekoch Tim Raue eine Residenz im Hotel, seit einigen Monaten hat der argentinische Sternekoch Mauro Colagreco seinen Platz im „The K“ übernommen.

St. Moritz wirbt damit, 322 Sonnentage im Jahr zu haben. Dieser nun gehört nicht dazu. Wolken türmen sich vor den umliegenden Bergen. Um sich aufzuheitern, geht man einfach in die Stadt – also die drei Straßen und der Platz, die das Zentrum ausmachen. Vom Kulm links runter, vorbei an Boutiquen mit weltbekannten Vermögensmarkern. Vor dem Geschäft der italienischen Glamourtrash–Ikonen Dolce & Gabbana bleibt ein älteres Paar stehen, sie kichert, als sie das Ensemble im Schaufenster sieht, eine Mischung aus Trainingsanzug und Perserteppich. Er bemerkt distinguiert: „Wie soll ich denn darin joggen?“

Die Läden von St. Moritz erzählen Märchen von Mode und Money. Wer braucht eine „Vogue“, wenn er die Schaufenster entlang laufen kann? Bei Dsquared gibt es Fleece und Batik, Moncler animiert seine Kunden, hautfarbene Leggings und darüber lilafarbene Turnhosen zu tragen. Man versteht sehr schnell, dass Geld nicht unbedingt mit Geschmack einhergeht.

Irgendwie ehrlich dekadent ist da schon das Lädchen von Hermès, versteckt in einer Seitenstraße. Im Schaufenster hat ein Handwerker eine Rodelbahn aus Holz geschnitzt, in einigen Schlitten haben die Angestellten Mini-Artikel versteckt: ein Pferdchenanhänger aus Leder, eine Parfümflasche und etwas, das wie eine Schnalle aussieht, aber auch ein kunstvoll heruntergefallener Holzspan sein könnte.

Drinnen holt eine Verkäuferin erstmal eine Schüssel Wasser für den Hund eines Kunden, danach schenkt sie an zwei Herren Champagner aus und muss die Probleme wetterseniler Damen lösen. „Wo bekommen wir denn nun bitte schön einen Regenschirm her?“, fragt eine von ihnen und blickt auf den Nieselregen. Immerhin gibt es wirklich tragbare Kleidung, einen schönen dunkelgrünen Pullover für 1600 Euro beispielseise.

Als Tourist fällt einem irgendwie unangenehm auf, dass zwischen Bally und Benetton eine Reklamelücke klafft. Da steht blöderweise die Kirche. Ob sich da was machen ließe, um das Ensemble konsumfreudiger zu gestalten? Wenigstens einen richtigen Traditionsladen hat das Zentrum dann doch: die Confiserie Hanselmann. Deren Spezialität ist die Engadiner Nusstorte, die so unspektakulär aussieht, dass einem beinahe die Tränen kommen. Im Meer des Glitzers ist die sandfarbene Süßigkeit eine Wohltat.

Zurück im Kulm, wo sich Gäste noch das älteste Zimmer zeigen lassen, in dem die Badrutts wohnten und heute die Hoteldirektorin ihre Geschäfte führt. Kabelsalat vor Holzverkleidung. Über die langen Flure und die Granitsteintreppen geht es zum Zimmer in der dritten Etage hinauf. Leider hat die Kreditkarte wohl den digitalen Hotelschlüssel neutralisiert. Zur Rezeption zurück muss man ordentlich Fersengeld geben. Am nächsten Morgen geht der schlaftrunkene Blick über den nebelverhangenen See: Oder war alles nur geträumt?

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