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Wer nicht im Tourismus arbeitet, arbeitet meist als Fischer.

© REUTERS

Indonesien: Rushhour auf Bintan

Zackenbarsch und Vogelrotz als Delikatesse? Auf der indonesischen Insel geht’s nicht nur im Magen rund.

Mu Mu lächelt. Er grinst sanft und freundlich und eigentlich wirkt er wie die Insel, auf der er lebt. Strömt diese verdammte Ruhe aus, die Bintan ausmacht, ihre leise, helle Hitze, und das Gefühl, das einem ständig sagt, bleib einfach und genieße die Zeit. Aber auch Mu Mu weiß, dass das nicht immer so einfach ist.

Gerade erst sind wir angekommen. Haben uns eine Stunde lang mit dem Boot durch die knallvolle Straße von Malakka gezwängt, nur weg von diesem stickigen Moloch Singapur; durch ein unfassbar dichtes Meer von Schiffen, auf dem fast die halbe Welt nach Indonesien schwappt. Hier jedenfalls muss sie durch, wenn sie von Indien nach China will.

Irgendwo dahinten taucht Bintan auf, es liegt wie eine riesige Muschel im Wasser, man könnte meinen, Robinson Crusoe winke herüber. Früher legten dort oft Piraten an, um sich ihre Beute zu teilen. Lungerten herum und warteten auf weitere Pötte mit Gold und Gewürzen. Kein Wunder, sagt Mu Mu, dass sie oft lange blieben. Wie auch die Holländer, die viele Jahrhunderte mit den Briten um die koloniale Vormacht in dieser Region kämpften.

Es dauert nicht lange, bis du die Leute hier liebst

Guckt nur, ruft Mu Mu, als er uns begrüßt, das komme dem Paradies doch schon ziemlich nahe. Die Strände sind weiß, das Meer flüstert warm über den Sand, der Wald ist grün und kühl, und in den Hotels wird dir das Leben höflich hinterhergetragen. Mehr geht doch eigentlich nicht. You see, it’s rush hour, sagt Mu Mu, als uns ein einzelner, müde ruckelnder Lastwagen entgegenkommt. Er trägt schwankende Mangos, Bananen und Kokosnüsse auf der Ladefläche, der Auspuff spuckt seinen Sprit in die Mangroven am Straßenrand. Aus dem Radio plärrt Hardrockmusik, der Fahrer winkt heiter, und die Wolken tanzen flüchtig im Wind. Die Welt sieht aus wie ein Gemälde, und Mu Mu bestimmt, was wir davon sehen dürfen.

Sein richtiger Name ist Muhamad Mukarom. Doch jeder nennt ihn nur Mu Mu, seit er als junger Kerl von Java kam. Er wusste gleich, dass ihn die Insel auf ewig packen würde. Hatte keinen Flug zurück gebucht und nach ein paar schweren Jahren fand er die Liebe, die ihn für immer bleiben ließ. Er hat zwei kleine Kinder, er zeigt oft ihre Fotos – ein stolzer Vater, der mit sich zufrieden ist. Jetzt führt er Menschen über die Insel, trägt eine kitschige, bunte Jacke mit Aufklebern drauf und nennt sich Direktor. Wie fast jeder auf Bintan, der ein paar Brocken Englisch kann.

Mu Mu kam als Junge nach Bintan und blieb bis heute.

© Michael Schophaus

Wenn er dich anstrahlt, glaubst du ihm alles. Das Rütteln des Wagens ist dir plötzlich egal, und du lächelst, während er dir eine seiner vielen Geschichten erzählt. Das Handy bleibt dabei tief in der Tasche, weil du nicht wirklich wissen willst, ob sie stimmen. Gerade eben wieder. Da spricht er vom Sonnenmacher Mister Pras, den sie immer rufen, wenn die Insel im Regen versinkt. Er kriegt dann von einem Hotelbesitzer 30 Dollar auf die Hand und verschwindet mit Chili und Zitronengras in die Berge. Nach einem Tag kommt er wieder zurück, sagt Mu Mu und grinst, und na ja, die Sonne auch. Welcome to Bintan! Es dauert nicht lange, bis du die Leute hier liebst.

Alles, was die indonesische Küche zu bieten hat

Am Abend fällt die Sonne ins Meer, und die Moskitos fallen über uns her. Wir sitzen am Wasser, modrig riecht die Nacht herüber, und Mu Mu lässt sich langsam, lächelnd, von oben herab Gonggong in die Kehle gleiten. Er zieht eine glibbrige Schnecke aus ihrem Gehäuse, is good for man, sagt er, when he wants kids. Dann reißt er dem Weichtier die Beine aus, um es todesverächtlich herauszusaugen. Sicher sollst du glauben, dass er sich regelmäßig davon ernährt.

Aber da, sagt Mu Mu, der Tisch im Kelong Seafood Restaurant bietet alles, was die indonesische Küche zu bieten hat. Gekochten Zackenbarsch, Spießchen mit Huhn und Garnelen, Krabbenchips, frittierte Tintenfische, Sojagebäck, Erdnusssoße und in Bananenblättern verpackte Gemüseaufläufe.

Krabben, Garnelen, Tintenfische: Frische Meeresfrüchte gibt's auf dem Markt.

© REUTERS

Die Schalen mit Reis zählst du irgendwann nicht mehr, ohne sie ist auf Bintan keine Mahlzeit möglich. Essen sollte man nur mit der rechten Hand, die linke gilt als unrein. Man trinkt Tee, wer mutig ist, probiert Bird’s Nest. Das ist mit Zucker versetzter Speichel, den der Mauersegler für den Bau seines Nestes nutzt. Leckere Vogelrotze, ruft Mu Mu, und holt eine Dose. Er will dir weismachen, dass man ein ganzes Vogelnest in einen Topf schmeißt und zu Brei kocht, ehe es sich mit Sirup, ha, ha, einigermaßen herunterwürgen lässt. Man will gar nicht weiter darüber nachdenken, wie hart die Klebe dieses Vogelspeichels sein muss, um die Nester an glatten Klippenwänden zu befestigen. Von wegen cheers!

Singapur ließ in den 90ern schicke Villen und Golfplätze bauen

Gerade erzählt uns Mu Mu, warum Bintan so lange vergessen war. Indonesien ist groß, es krümmt sich mit mehr als 17 000 Inseln durch die Meere. 5120 Kilometer. Die Kette würde ausgestreckt von London bis New York reichen. Da kann man schon mal fragen, sagt Mister Mukarom, wo seine Insel eigentlich genau liegt. Ihre Küste schlängelt sich über 250 Kilometer Länge, das sei ja nicht besonders, wenn man bedenkt, dass sich sämtliche Gestade des Landes zusammengerechnet fast zweimal um die Welt winden würden.

Die teuren Hotels locken wohlhabende Touristen an.

© promo

Dann aber wurde Bintan für Singapur entdeckt. Der Stadtstaat pachtete in den frühen 90er Jahren den Nordteil der Insel für 99 Jahre, ließ teure Hotels, schicke Villen und Golfplätze bauen und lockte wohlhabende Touristen an. Gleichzeitig versorgte sich die durstige Millionenstadt mit Trinkwasser, indem sie riesige Speicher baute, die seit drei Jahrzehnten im Landesinnern den häufig heftigen Regen sammeln. Sechs Dörfer mit mehr als 2000 Familien wurden damals umgesiedelt, viel Geld bekamen sie dafür nicht. Es gab wütende, oft blutige Proteste, die mit Polizeigewalt niedergeschlagen wurden, ein Mensch verlor dabei sein Leben.

Du schaust raus, oh Mann, alles wie immer

Jetzt steht Mu Mu aufrecht im klapprigen Bus, der sich durch jede Kurve stöhnt. Er spricht nicht, er singt uns die Worte herüber, während sein Freund neben ihm mit einer furchtlosen Fahrweise die Strapazierfähigkeit unserer Mägen prüft. I love Dortmund, sagt Mu Mu, I love Jürgen Klopp, und wir lachen mit ihm, sehr gern. Doch dann sinkst du erschöpft und melancholisch in den Sitz, Deutschland ist weit weg, und da draußen ist leider alles so, wie es auf vielen Inseln dieser Welt ist, die in der Karibik, Afrika oder Südasien liegen.

Die Gegensätze brennen unerbittlich wie die Sonne, sie blenden dich in deiner Lust aufs Paradies. Du schaust raus, siehst Hütten aus Wellblech, schief, fleckig, und denkst, oh Mann, alles wie immer, arm macht reich erst möglich. Weil man den Herrschaften ihren feinen Rasen fürs Golfspielen mäht und die Spiegeleier beim Frühstück aufschlägt.

Es ist diese trostlose Abhängigkeit, die im Gefühl des Unrechts endet, wenn du die Schlagbäume siehst, die jedes Elend in die Schranken weist. Da hilft es auch nicht, dass man auf Bintan stets dicke Scheine in der Tasche hat. Eine Million Rupia kriegst du für 64 Euro. Münzen will keiner. Sie sind schlimmer als Dreck, ach was, eine Beleidigung.

Der Großteil der Menschen auf Bintan wohnt in Holzhäusern.

© REUTERS

Runzlige Männer hocken auf einem Haufen mit Palmwedeln. Sie quatschen, sie lachen, und küssen sich auf die Wangen. Manchmal reden sie mit ihrem ganzen Körper. Es gibt mehr als 500 Sprachen in Indonesien, auch einem Bintaner passiert es, dass er in eine Ecke kommt, in der man ihn plötzlich kaum noch versteht. Manche können sogar noch ein wenig Niederländisch, obwohl die Holländer schon seit 80 Jahren weg sind. Der Großteil der Menschen hier wohne in Holzhäusern, die auf hohen Stelzen der Brandung trotzen, hatte Mu Mu uns gesagt, die meisten von ihnen leben vom Fischfang. Doch viele nehmen mittlerweile lieber den Wasserschlauch vor Loch zehn oder den Putzeimer für Zimmer 102 in die Hand. Damit verdient sich das Geld leichter.

Weißt du, wir sind stolz, wir wollen Respekt und Würde und Geld für unsere Arbeit. Wie jeder auf der Welt, Allah hilft uns dabei, sagt Mu Mu. Er ist sehr gläubig. Wie die meisten Einwohner: Muslime, die nach strengen Regeln leben.

Aus fireflies werden am Ende fire lies

Jetzt aber wird es höchste Zeit, mal über die Tiere der Insel zu sprechen. Also, Mu Mu, Warane haben wir bisher nicht gesehen. Es hieß, dass sie hier wie streunende Hunde herumlaufen sollen. Mu Mu grinst und wird plötzlich ernst, als er über die Affen spricht. Passt auf, wenn ihr gleich in den Wald geht. Steckt Handy und Brille in den Rucksack. Die Makaken greifen gern nach allem, lachen dich aus, und verschwinden damit ruckzuck im Dschungel.

Wir passen auf, während sie sich kreischend über unseren Köpfen durch die Äste hangeln. Dann steigen wir in ein Boot, es schwappt träge auf dem Fluss Sungei Sebung. Gleich stürzt die Sonne vom Himmel, und wir wollen in der Dämmerung die fireflies funkeln sehen, die Glühwürmchen sollen jeden Strauch zum Weihnachtsbaum machen. Das Boot knattert los und wir plappern uns aufgeregt in den Abend hinein. Die tief hängenden Zweige streicheln über den Rücken, der Weg durch die Büsche wird immer enger.

Erst mal sehen wir eine Schlange. Snake, Snake, ruft Bootsführer Regar, sie kringelt sich genau über uns, in einer kuscheligen Astgabel. Das ist eine Ular Bakau, sagt Mu Mu, diskutiert mit Direktor Regar, aufreizend bedächtig, ob die Natter giftig ist oder nicht. Man einigt sich darauf, dass ihr Gift nur Vögel tötet.

Das Boot dreht nun um, die nächste Gruppe wartet schon. Irgendwie war heute wohl nicht die Zeit für fireflies. Einem von uns rutscht das Wort fire lies heraus, alles Lüge, ruft er vergnügt, und wir lachen, dass unser Boot zu kentern droht.

Michael Schophaus

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