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Sky du Mont im Bayerischen Hof in München (Archiv)

© dpa/Ursula Düren

Sky du Mont über Regisseur Kubrick: „Und Stanley sagte: Do the dance!“

Nicole Kidman im Arm, Stanley Kubrick hinter der Kamera – da vergisst sogar ein Vollprofi wie Sky du Mont den Text. Ein Interview.

Herr du Mont, Sie sind einer der wenigen deutschen Schauspieler, die mit dem Regisseur Stanley Kubrick gedreht haben. „Eyes Wide Shut“ wurde nur ein paar Tage vor seinem Tod fertiggestellt, der sich am 7. März zum 20. Mal jährt. War Kubrick wirklich so ein Technikfreak, wie es immer heißt?

Wenn ihm ein Kameramann gesagt hätte, dass etwas nicht geht, hätte er ihm das Gewünschte vorgemacht oder erklärt, welches Objektiv das richtige ist. Stanley konnte eine Kamera auseinandernehmen und wieder zusammenbauen.

Seine Karriere begann Kubrick als Fotograf, legte im Film großen Wert auf eine besondere Bildsprache. Bei „Eyes Wide Shut“ verzichtete er beispielsweise komplett auf Scheinwerfer, verwendete bloß Lichtquellen wie Kronleuchter oder Nachttischlampen.

Soviel ich weiß, hatte er sich dafür sogar eine extra Kamera bauen lassen und bei der Nasa spezielle Objektive bestellt. Ich konnte kaum Nicole Kidman vor mir erkennen, mit der ich die Szene drehte. Stanley beruhigte mich: „Keine Sorge, wir werden sie sehen.“

Kubrick war versessen auf Details. Während der Dreharbeiten flog sein Schwager Jan Harlan dreimal nach Venedig, um neue Masken für die Orgien-Szene im Landhaus zu besorgen. Es gibt eine Szene aus „Shining“, darin blättert Shelley Duvall in einem Stapel aus mehreren hundert Papierseiten, auf denen immer der gleiche Satz steht. Kubrick weigerte sich, Kopien anzufertigen. Mehrere Mitarbeiter tippten also jede Seite einzeln, obwohl man sie nur wenige Sekunden lang im Bild sah.

Es gibt eine Anekdote aus „Full Metal Jacket“ …

… seinem Anti-Kriegsfilm über Vietnam.

Kubrick wurde dafür angegriffen, dass er in England gedreht hatte und das Licht viel zu wolkig und grau sei. Da hat er seinen Kritikern den Wetterbericht aus Vietnam schicken lassen. Der war identisch mit dem aus England.

Angeblich hat er ganze Drehtage unterbrechen lassen, sobald die Sonne sich zeigte.

Während der Arbeiten zu „2001: A Space Odyssey“, der 1968 rauskam, meinten irgendwann die Produzenten: „Wir dachten, das sei der Filmtitel, nicht das Premierendatum.“ Stanley nahm sich die Zeit, die er brauchte. Und wenn es ewig dauerte, die Produzenten lagen ihm doch alle zu Füßen. Kubrick hatte eine besondere Macht, Dinge zu erreichen. Das geht Regisseuren heute anders. Denen sitzen die Redakteure der Studios und Sender im Nacken.

Bei Schauspielern war er gefürchtet, weil er so hart mit ihnen umging. Hatten Sie Angst vor dem Dreh?

Er galt ja selbst bei großen Namen wie Jack Nicholson als schwierig, ich war also ziemlich nervös. Immer, wenn ein Take abgedreht war, verließen alle das Set, sogar der Kameramann. Nur der Regisseur und die Darsteller blieben und schauten die Aufnahme gemeinsam an. In der Szene geht es darum, dass Nicole Kidman und Tom Cruise auf einen schicken Ball gehen, und während Tom von zwei jungen Frauen in einen anderen Raum geführt wird, tanze ich mit Nicole und mache ihr eindeutige Avancen. Stanley bat mich, die Rolle arroganter zu spielen. Als Schauspieler lernt man am Theater, dass es oft sinnlos sein kann, mit einem Regisseur zu diskutieren. Immer nicken und versichern: tolle Idee

Sie waren anderer Meinung?

Wir drehten die Szene noch mal, und ich spielte so, wie ich es für richtig hielt. Stanley blickte mich an und fragte: „Du hast nicht das gemacht, was ich wollte, stimmt’s?“ Ich beteuerte, ich hätte alles versucht. Er legte den Arm um mich und sagte: „Du hattest recht.“ Ich glaube, das hätten andere Regisseure wie ein Dieter Wedel wahrscheinlich nicht zugegeben.

Malcolm McDowell, der Hauptdarsteller aus „A Clockwork Orange“, lästerte später in einem Interview mit der „Welt“ über Kubrick: „Stanley verstand überhaupt nichts von Schauspielern, wie sie ihre Rolle anlegen. Und er wollte das auch nicht wissen. Er war immer ein bisschen angefressen, dass er mit ihnen arbeiten musste.“ Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Ich habe mit vielen Regisseuren drehen dürfen, und da waren natürlich ein paar dabei, die Schauspieler nicht mochten – zu anstrengend, zu zickig. Doch wir sitzen gemeinsam in einem kleinen Rettungsboot und versuchen, das Land zu erreichen, nämlich einen guten Film zu machen oder ein gutes Theaterstück. Der Regisseur geht genauso unter, wenn wir untergehen.

Kubrick ließ Shelley Duvall eine Einstellung in „Shining“ 127-mal wiederholen.

Den Tanz haben wir 20- bis 30-mal gedreht, aus verschiedenen Winkeln und mit einer Steadycam. Eine andere Szene wiederholten wir vielleicht sieben oder acht Mal. Das ist üblich. Vielleicht war er schon altersmilde.

„Heute bin ich nicht glücklich mit der Rolle“

Du Mont an der Seite von Nicole Kidman.
Du Mont an der Seite von Nicole Kidman.

© picture-alliance / dpa

Kam es Ihnen zugute, dass Kubricks Frau Christiane Deutsche war?

Wir sprachen zwar Englisch miteinander, doch er war sehr an Deutschland interessiert. Er fragte mich oft nach guten Produktionen von hier. Wenn er abends mit dem Schnitt fertig war, schaute er sich manchmal Filme an und war am nächsten Tag trotzdem topfit am Set. Einmal hatte ich ihm den „Sandmann“ mit Götz George empfohlen, der lief gerade frisch im Kino. Den kannte er da schon.

Kubrick entdeckte Sie in der Mini-Serie „Feuersturm und Asche“, in der Sie den Grafen von Stauffenberg spielten, und engagierte Sie ohne Probeaufnahmen. Wie war die erste Begegnung?

Ich wurde drei Mal in diese Villa gebeten, in der wir später drehten. Dort saß ich bereit in Kostüm und Maske, ohne dass etwas passierte. Am vierten Tag holte mich ein Regieassistent: „Mr. Kubrick würde gern proben.“ Da traf ich ihn zum ersten Mal. Sein Auftreten war distanziert und abwartend. Er kannte mich nicht, hatte mich wahrscheinlich nur in einem Film gesehen. Und er sagte: „Do the dance!“ Nicole und ich tanzten also – und ich hatte einen Texthänger. Plötzlich diesen Mann vor mir und Nicole Kidman im Arm zu haben, das war einfach zu viel für mich.

Was passierte dann?

Er beendete die Probe. Am Abend riefen nacheinander zwei seiner Assistenten an und sagten: „Mr. Kubrick besteht darauf, dass seine Schauspieler ihren Text können. Sonst können Sie gleich abreisen.“ Ich erinnere mich, dass ich beim zweiten Anruf ziemlich böse rief: „Ich kann meinen Text!“

Sie spielen im Film den schleimigen Verführer Sandor Szavost. Die Rolle des halbseidenen Beaus wollten Sie zu dem Zeitpunkt längst abgelegt haben.

Ich hatte mir geschworen, wenn ich noch einmal einen Smoking oder einen Seidenschal tragen muss, kotze ich. Für Kubrick war das eine Ausnahme. Aber heute bin ich nicht glücklich mit der Rolle, ich würde sie anders spielen.

Wie denn?

Moderner. Verführerischer. Gegenwärtig würde ein Mann mit diesem Benehmen nicht einmal eine blinde, taube 80-Jährige verführen können. Ich bin überzeugt, dass Stanley es auch anders inszenieren würde, eben moderner.

Bereuen Sie die Entscheidung?

Um Gottes willen, nein! Wenn man mich nach meinem beruflich größten Erlebnis fragen würde, dann war es bestimmt, mit Kubrick arbeiten zu dürfen.

Das klingt beinahe so, als hätten Sie entspannte neun Drehtage gehabt.

Wir waren eigentlich schon fertig und ich mit einem Bein im Flugzeug nach Deutschland, da kam sein Regieassistent und sagte: „Mr. Kubrick will noch eine Szene drehen.“ Also fuhr ich zurück zum Set, wurde wieder geschminkt und in einen Smoking gekleidet, und wir drehten eine Szene nach, die nie verwendet wurde.

Neben Nicole Kidman spielte in „Eyes Wide Shut“ Tom Cruise die Hauptrolle. Wussten Sie, dass Kubrick an seiner Stelle ursprünglich Woody Allen besetzen wollte?

Wirklich? Ich dachte, es wäre Alec Baldwin gewesen.

Die Idee mit Allen hatte Kubrick in den 70er Jahren, so lang trug er die Idee zum Film mit sich herum. Später entschied er, dass es ein Ehepaar werden sollte.

Und da kamen Alec Baldwin und Kim Basinger ins Gespräch. Ich hätte allerdings Tom Cruise nicht besetzt, obwohl er und Nicole ja damals verheiratet waren.

Wen hätten Sie gewählt?

Baldwin hätte ich mir gut vorstellen können, Woody Allen gar nicht. Es geht ja darum, dass Nicole nur den bloßen Gedanken an eine Affäre gesteht. Als Zuschauer muss man also annehmen können, dass sie ihren Mann noch so begehrt, dass sie eben nicht fremdgeht, sondern nur davon träumt. Bei Woody Allen wäre Nicole Kidman wahrscheinlich sofort mit dem Offizier ins Bett gegangen.

„Niemand kannte das ganze Skript“

Meisterregisseur. Stanley Kubrick bei den Dreharbeiten von "Eyes Wide Shut".
Meisterregisseur. Stanley Kubrick bei den Dreharbeiten von "Eyes Wide Shut".

© imago/Prod.DB

Über „Eyes Wide Shut“ gab es vor der Veröffentlichung die wildesten Gerüchte. Dass Kidman und Cruise nun einen Sexualtherapeuten bräuchten, dass es wilde Sexszenen wie in einem Porno geben würde. Dass zwischendurch der Cast teilweise ausgetauscht wurde, hat sein Übriges dazu beigetragen.

Harvey Keitel reiste ab, an seiner Stelle hat Sydney Pollack übernommen. Angeblich hat Keitel erst seine Suite demoliert und ging dann. Aber Sie wissen ja, wie viel gequatscht wird.

Wie schwer fiel es Ihnen bei all dem Rummel, Stillschweigen über den Film zu bewahren?

Ich wusste ja nichts. Ich hatte bloß meine Drehbuchseiten und war mit dem Buch vertraut.

Die „Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler, auf der der Film beruht.

Praktisch niemand kannte das ganze Skript. Einmal sagte ein Schauspieler zu Stanley: „Ich weiß gar nicht, wie die Dramaturgie des Films ist.“ Dann fragte Kubrick ihn: „Wo lebt deine Frau?“ – „In New York.“ – „Wir sind hier in England, weißt du, was sie gerade macht?“ – „Nein.“ – „So ist das auch mit dem Film.“

Hatten Sie überhaupt eine Ahnung, worauf Sie sich einließen?

Stanley erzählte mir anfangs von einer riesigen Fleischtheke im Supermarkt, zig Meter lang und gut ausgeleuchtet. Alles sieht so dermaßen appetitlich aus, doch nach fünf Metern interessiert es dich nicht mehr. Und so sei es mit den vielen wunderschönen, nackten Frauen im Film. Er wollte eine andere Wirkung von Sexualität. Da hatte ich ihn verstanden.

Sie hatten mal die Gelegenheit, der nächste James Bond zu werden, waren jedoch mit 24 letztlich zu jung, es wurde George Lazenby. Dafür hatten Sie eine Rolle als Dracula gerade abgesagt. Wenn Sie heute wählen müssten zwischen dem berühmtesten Agenten, dem berüchtigtsten Vampir oder einer Nebenrolle bei Stanley Kubrick – wie würden Sie sich entscheiden?

Für drei Dracula-Filme wurde mir richtig viel Geld angeboten. Ich habe abgesagt, weil ich wohl sonst auf ewig Dracula gewesen wäre. Bond hätte mir sehr viele Möglichkeiten geschaffen und eine Menge Geld noch dazu. Wahrscheinlich wäre ich ein Riesenarschloch geworden. Mit 24 ein Weltstar zu sein, steckt man wohl nur schwer weg, ohne arrogant zu werden. Als älterer Herr sehe ich meinen Job realistisch und würde mich für den Bond entscheiden.

Welcher ist Ihr liebster Kubrick-Film?

Sein Historien-Streifen „Barry Lyndon“. Der war absolut stimmig. „Clockwork Orange“ habe ich sehr jung gesehen, daran kann ich mich fast nicht mehr erinnern. In „Eyes Wide Shut“ steckt viel mehr drin, als man ahnte. Ich habe ihn zwangsläufig oft gesehen, allein für die Synchronisierung. Mit jedem Mal entdeckt man eine neue Ebene. Da gibt es den wiederkehrenden Klavierton …

… ein minimalistisches Stück von György Ligeti …

Als Zuschauer denkt man: Wenn der Ton noch einmal kommt, gehe ich aus dem Kino. Und genau in dem Moment ist er vorbei. Stanley wusste das. „Eyes Wide Shut“ ist ein Altersmeisterwerk.

Am 1. März 1999, genau eine Woche vor seinem Tod, zeigte Kubrick den finalen Schnitt den Warner-Chefs und den Hauptdarstellern. Sie sollen begeistert gewesen sein, berichtet seine Ehefrau und Witwe Christiane Kubrick später in einem Interview mit dem „Spiegel“. Wann haben Sie den Film denn das erste Mal komplett gesehen?

Bei der Premiere in Los Angeles, einige Monate nach Stanleys Tod.

Worum drehte sich das letzte Gespräch, das Sie mit ihm geführt haben?

Ich hatte ihm erzählt, dass ich noch nie in meinem Leben auf einer großen Filmpremiere in Los Angeles war und fragte ihn, ob ich denn wohl eingeladen werden könnte. Er sagte zu mir: „Ich kümmere mich.“ Und das tat er, bei der Gala in Hollywood saß ich dann neben Leuten wie Steven Spielberg. Dustin Hoffman fragte mich, wie das für mich sei, und ich sagte: Als würde ich zu Hause vor dem Fernseher sitzen. Einfach nicht real.

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