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Gesundheit: Bessere Versorgung für chronisch Kranke?

Von Rosemarie Stein Chronisch Kranke sind oft unzulänglich versorgt. Nur ein Beispiel: „Brustkrebskranke Frauen werden häufig in Kliniken operiert, wo es gar keine Spezialisten dafür gibt und wo solche Eingriffe vielleicht nur ein Dutzend Mal im Jahr stattfinden.

Von Rosemarie Stein

Chronisch Kranke sind oft unzulänglich versorgt. Nur ein Beispiel: „Brustkrebskranke Frauen werden häufig in Kliniken operiert, wo es gar keine Spezialisten dafür gibt und wo solche Eingriffe vielleicht nur ein Dutzend Mal im Jahr stattfinden. “

Wer hier so sachkundig sprach, war die Vertreterin einer Brustkrebs-Initiative betroffener Frauen. Die „Selbsthilfe-, Kontakt- und Informationsstelle“ (Sekis) hatte zu einem Expertendialog geladen, und Experten waren hier auch die Krankheits- und Behandlungserfahrenen selbst.

Es ging um Chancen und Risiken neuer Konzepte zur Versorgung chronisch Kranker, genauer: um das Vorhaben des Bundesgesundheitsministeriums, eine wirksamere Behandlung zunächst Patienten mit Diabetes Typ II (Alterszucker), Brustkrebs, chronisch-obstruktiven Atemwegskrankheiten (wie Asthma) und koronarer Herzkrankheit anzubieten und die Programme später auf andere chronisch Kranke auszudehnen.

Hermann Schulte-Sasse, Berliner Gesundheits-Staatssekretär, nannte zwei Gründe für die mangelhafte Versorgung chronisch Kranker: Erstens die Strukturdefizite des deutschen Gesundheitswesens, in dem ambulante und stationäre Versorgung sowie Rehabilitation mehr oder weniger gegeneinander abgeschottet sind. Zweitens Kompetenzmängel. Denn die medizinische Forschung konzentriere sich eher auf die akuten Krankheiten, weil die chronischen viel schwieriger zu erforschen seien und Erfolge hier nur langfristig erwartet werden könnten.

Im Zentrum der Debatte stand die Frage, ob die Versorgung chronisch Kranker sich durch strukturierte Programme – „Disease Management“ – spürbar verbessern ließe. Es handelt sich um einen „systematischen Behandlungsansatz, der für chronisch Kranke eine kontinuierliche und qualitativ hochwertige Versorgung nach dem neuesten Standard der Wissenschaft organisiert“. So umschrieb letztes Jahr der Kölner Gesundheitsökonom Karl Lauterbach den schwer übersetzbaren Begriff. Nach seiner Ansicht könnten solche Programme den Anteil der nach dem neuesten Stand der Medizin behandelten Patienten auf 80 Prozent steigern.

Auf dieser Expertentagung aber gewann man den Eindruck, dass außer Ministerin Ulla Schmidt selbst und ihrem Berater Lauterbach kaum jemand daran glaubt. Bertram Häussler vom Berliner „Institut für Gesundheits- und Sozialforschung“ (Iges) bezweifelt zum einem, dass die „Chronikerprogramme“ den Risikostrukturausgleich unter den Krankenkassen verbessern, zum anderen, dass sie für die Patienten zu mehr Gesundheit führen. Wissenschaftler der Medizinischen Hochschule Hannover hätten bei einer Analyse verschiedener Studien nur sehr wenige Hinweise dafür gefunden.

„Es könnte ja sein, dass es etwas bringt, aber bewiesen ist es nicht, und die amerikanischen Erfahrungen sind auf Deutschland nicht übertragbar“, sagte Hans-Peter Siedhoff von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung – auch er voller Skepsis, obwohl er im gemeinsamen Ausschuss der Ärzte und Kassen die Vereinbarung mit erarbeitet hat.

Die Ärzte wehren sich zum Teil gegen die therapeutischen Vorgaben, wollen aber auch die nötigen Patientendaten nicht an die Kassen weitergeben. Einen schon ausgehandelten Kompromiss hat ein Beschluss des Deutschen Ärztetages in Rostock gerade zunichte gemacht.

Die Programme seien sehr „manipulationsfähig“, und die Kassen hätten gegenüber ihrer Aufsichtsbehörde nachzuweisen, dass die Patienten tatsächlich teilnehmen und keine „Karteileichen“ sind, sagte Sabine Richard von der AOK Berlin. Die Ärzte aber wollten nicht „zum Denunzianten der Patienten werden, die den Kassen sagen, wer sich nicht an die Spielregeln hält“, meinte Siedhoff. Dagegen wurde im Auditorium die Vermutung geäußert, sie wollten wohl eher ihre eigene Behandlungsweise vor Kritik schützen.

Mehrere Patienten sagten, sie würden ihre Daten ohne Zögern den Kassen zur Verfügung stellen, damit ihnen „besser geholfen werden kann“. Ulrich Petersdorf, beim Berliner Datenschutzbeauftragten für Gesundheitsdaten zuständig, hält die Weitergaben „nicht für illegitim“, weil die Patienten sich frei für das Programm entscheiden können. Das zumindest das Diabetikerprogramm schon am 1. Juli beginnen kann, glaubt allerdings niemand mehr.

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